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Umstrittene Protestaktion: Die Verbrennung des FU-Wappens 1968

02.02.2024

Teil des zerstörten Wappens der Freien Universität Berlin

Teil des zerstörten Wappens der Freien Universität Berlin
Bildquelle: Foto: Josepha Schwerma | FU Berlin, UA, MO, MO/44

Teil des zerstörten Wappens der Freien Universität Berlin

Teil des zerstörten Wappens der Freien Universität Berlin
Bildquelle: Foto: Josepha Schwerma | FU Berlin, UA, MO, MO/45

In der musealen Sammlung des Universitätsarchivs befinden sich die Reste des Wappens der Freien Universität, das bis ins Jahr 1968 die Rückwand der Bühne Audimax im Henry-Ford-Bau schmückte. Hinter einer verschließbaren Faltwand aufgehängt, wurde das Wappen vor allem zu feierlichen Anlässen gezeigt. Im Mai 1968 wurde es im Anschluss an eine Diskussionsveranstaltung mit dem Soziologen und Philosophen Herbert Marcuse von einer Studierendengruppe gewaltsam abgenommen und anschließend auf dem Gelände der FU verbrannt.

Der Wappenverbrennung am späten Abend des 13. Mai 1968 geht ein Vortrag mit anschließender Diskussion von Herbert Marcuse zum Thema „Geschichte, Transzendenz und sozialer Wandel“ im Audimax voraus. Die Veranstaltung hat mit etwa 4.000 Besucher*innen einen so großen Zulauf, dass bereits eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn um 20 Uhr der Saal und die Empore vollständig besetzt sind. Drei weitere Hörsäle müssen geöffnet werden, in welche die Veranstaltung synchron übertragen wird.

Marcuses Vortrag und die anschließende von Jacob Taubes moderierte Podiumsdiskussion, unter anderem mit der Philosophin Margherita von Brentano und dem Theologen Helmut Gollwitzer, stehen von vornherein im Kontext der Studentenbewegung in Deutschland sowie der für den 15. Mai 1968 geplanten Zweiten Lesung der Notstandsgesetze im Deutschen Bundestag. Ein besonderer Fokus der deutschen Studierenden liegt zum Zeitpunkt von Marcuses Vortrag auf den Entwicklungen der Studentenproteste in Frankreich. Als die Diskussion schließlich für das Publikum geöffnet wird, kommt es zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen dem Lager, das den Austausch mit Marcuse über die Theorie fortsetzen will und jenem, das eine konkrete Besprechung der Pariser Ereignisse, möglicher Solidaritätsaktionen für die Pariser Student*innen und eine Diskussion über Streikmaßnahmen an der Freien Universität anlässlich der bevorstehenden Lesung der Notstandsgesetze fordert. Fürsprecher der letzteren Gruppe ist unter anderem Dieter Kunzelmann, der trotz eines im Juni 1967 gegen ihn verhängten Hausverbots der Veranstaltung beiwohnt. Er fordert eine Solidarisierung des Kampfes der Pariser Studierenden und eine Diskussion über eine Besetzung des Rektorats. Helmut Gollwitzer schlägt nach Kunzelmanns Antrag auf „Umfunktionierung“ der Veranstaltung eine Abstimmung über den weiteren Verlauf des Abends vor. Nach dem von Taubes durchgeführten Votum, dessen Ergebnisverkündung von Pfiffen und Zwischenrufen kleinerer Gruppen begleitet wird, wird die Diskussion mit Marcuse auf Wunsch der Mehrheit zunächst fortgesetzt, will aber nicht recht in Gang kommen. Marcuse verlässt die Veranstaltung schließlich gegen 22 Uhr.

Im Laufe des Abends, der als Diskussions- und Informationsveranstaltung zu den Studentenprotesten weitergeführt wird, wird der Beschluss des Akademischen Senats bekannt, einen generellen Vorlesungsausfall für den Tag der Zweiten Lesung der Notstandsgesetze nicht unterstützen zu wollen. Während ein Vertreter aus der Streikleitung des Otto-Suhr-Instituts Bericht erstattet, beginnt eine Gruppe Studierende – unter ihnen auch, wie der Tagesspiegel tags darauf berichtet, der ‚Kommunarde‘ Kunzelmann – als Reaktion auf den Senatsbeschluss das etwa zwei Meter hohe Holzwappen von der Bühnenrückwand abzunehmen. Unklar ist, ob die Faltwand, hinter der das Wappen hängt, zu diesem Zeitpunkt bereits offensteht oder erst im Zuge der Aktion gewaltsam geöffnet und dabei stark beschädigt wird. Der Großteil der Anwesenden reagiert ungehalten auf die Vorgänge. Die AStA-Vorsitzende Sigrid Fronius und andere Studierende versuchen, die randalierende Gruppe von weiteren Ausschreitungen abzuhalten, können aber nicht verhindern, dass der Rand des Emblems zertreten und der Wahlspruch „Libertas“ in der Mitte des Wappens herausgebrochen wird. Der Vertreter der Streikleitung des OSI kommentiert am Rednerpult die Aktion mit den Worten, dass „[wir] [u]nseren Kampf gegen die Notstandsgesetze […] nicht abreagieren [können], indem wir ein paar Symbole zerstören“ und erntet für die Äußerung Applaus aus dem Publikum. Trotzdem wird das Wappen aus dem Audimax getragen und vor dem Henry-Ford-Bau in Brand gesetzt. Wenig später zieht die Gruppe mit dem schwelenden Wappen weiter vor das Rektoratsgebäude in der Ihnestraße 24, zerschlagen es in mehrere Teile und entzünden sie, während eine junge Frau den Balkon im ersten Stock erklimmt, um dort eine rote Flagge anzubringen. Währenddessen werden mehrere Fensterscheiben des Amtszimmers von Rektor Ewald Harndt durch Steinwürfe zertrümmert. Die auf dem Gelände anwesende Polizei greift nicht ein, um eine mögliche Eskalation zu vermeiden. Im Saal wird die Aktion von noch anwesenden Studentenvertretern weitestgehend mit Unverständnis aufgenommen, als „Onanie“ und „privatistisches“, unpolitisches Happening kritisiert.

Zahlreiche regionale und überregionale Tageszeitungen berichten in den Folgetagen über die Wappenverbrennung auf dem Gelände der Freie Universität. Den Berichten zufolge ist nicht nur Dieter Kunzelmann, sondern auch ein weiteres Mitglied der Kommune I, Fritz Teufel, bei der Wappenverbrennung gesehen worden. Einige Artikel behaupten eine direkte Beteiligung der beiden ‚Kommunarden‘ an der Zerstörung des Emblems. Sie stellen aber auch klar, dass der Großteil der Besucher*innen von Marcuses Vortrag an der Verbrennung des Wappens unbeteiligt gewesen und diese von einer kleineren Gruppe zwischen 50 und 100 Personen durchgeführt worden sei, die angeblich nicht aus dem Umfeld der Studentenbewegung stammen. Fast alle Artikel zitieren Werner Stein, Senator für Wissenschaft und Kunst, der die Zerstörung „[d]ieses Zeichen[s] aus der Gründungsstunde der Freien Universität“ als ein „ernstes Symptom“ dafür wertet, „welche zerstörenden Kräfte die berechtigte Unruhe der Studenten mißbrauchen.“ Rektor Ewald Harndt erstattet am 14. Mai 1968 Strafanzeige gegen Unbekannt.

Detaillierte Einblicke in die Ereignisse bieten eine Akte des Rektorats mit Berichten der technischen Angestellten, die am Abend des 13. Mai 1968 im Audimax der FU Berlin Dienst hatten, sowie die Zeitungsausschnittsammlung des Universitätsarchivs. Die Tonaufzeichnung von der Veranstaltung mit Herbert Marcuse ist ebenfalls vollständig im Universitätsarchiv erhalten und zeichnet ein lebendiges Bild vom Ablauf des ereignisreichen Abends.

Die Überreste des Wappens wurden im Keller des Rektorats in der Ihnestraße gelagert. Zwei davon nahm Peter Dehn, zum Zeitpunkt der Wappenverbrennung Student und von 1969 bis 1972 Pressesprecher der FU, an sich und hat diese 2009 der Freien Universität wieder übergeben. Überliefert sind nur diese beiden Bruchstücke aus dem umliegenden Schriftband, das ursprünglich die Inschrift „Freie Universität Berlin – Veritas Iustitia Libertas“ zeigte. Im August 2023 wurden die beiden Objekte im Zuge bestandserhaltender Maßnahmen neu in eigens dafür angefertigte Archivkartons verpackt und durch an die Form angepasste Ecksegmente zusätzlich gesichert.