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„Wir brauchen eine stärkere Teilhabe von Frauen in der Wissenschaft“

Interview mit Dr. Nelly Mouawad, MINToring-Koordinatorin an der Freien Universität Berlin

25.04.2024

Beim letztjährigen Girls'Day konnten Schülerinnen am Fachbereich Geowissenschaften durch Sprünge Erschütterungen simulieren, die bei Erdbeben entstehen.

Beim letztjährigen Girls'Day konnten Schülerinnen am Fachbereich Geowissenschaften durch Sprünge Erschütterungen simulieren, die bei Erdbeben entstehen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Nelly Mouawad ist seit einem Jahr MINToring-Koordinatorin an der Freien Universität Berlin. MINToring ist ein Angebot für Schülerinnen der Klassen 7 bis 13, die Fächer Physik, Informatik und Geowissenschaften an der Freien Universität Berlin kennenzulernen. Nelly Mouawads erster Arbeitstag fiel auf den letztjährigen Girls’Day, der heute wieder stattfindet. Auch der Girls’Day ist ein Angebot für Schülerinnen, Fächer und Berufe zu erkunden, die männlich dominiert sind. Zeitgleich findet der Boys’Day statt.

Vor genau einem Jahr war Ihr erster Tag an der Freien Universität, das war der Girls'Day, eine Veranstaltung mit Hunderten von Schülerinnen auf dem Campus. Was nehmen Sie aus einem Jahr und zwei Girls'Days mit? 

Im vergangenen Jahr habe ich genau am Girls'Day morgens meinen Vertrag unterschrieben und war danach direkt im Einsatz. Ich sah die vielen, vielen Schülerinnen, die die Fachbereiche, die Hörsäle und die Seminarräume füllten. Ich hatte sofort das Gefühl, dass die Universität ein Ort für alle ist. Ich denke, dass es so auch sein sollte. Deshalb ist die Outreach-Arbeit so wichtig, wie es auch das MINToring ist: weil wir Menschen an die Universität bringen und diese somit nicht exklusiv für Akademiker*innen und Intellektuelle zugänglich ist. Ich glaube, dass wir mehr Programme brauchen, um eine höhere Repräsentanz von Frauen in der Wissenschaft zu erreichen. Der Girls'Day ist sehr wichtig, aber er allein reicht nicht aus, um mehr junge Frauen für ein Studium der Naturwissenschaften zu gewinnen.

Warum halten Sie Outreach-Programme wie das MINToring-Programm nach wie vor wichtig und notwendig?

Ich habe mehr als zehn Jahre in den USA, Deutschland und Frankreich studiert und gearbeitet und wurde nach meiner Rückkehr in den Libanon die erste Astrophysik-Professorin des Landes. Diese Stelle hatte ich zehn Jahre lang inne; das hat viele Studentinnen angezogen, die Interesse an meinem Fachgebiet hatten. Ich denke, dass Outreach-Aktivitäten und Vorbilder wichtig sind, weil wir die nächste Generation inspirieren und ihre Neugier gerade in Zeiten des Fachkräftemangels fördern sollten. Das MINToring-Programm ist eine einmalige Möglichkeit, da es einen multidisziplinären Ansatz mit Physik, Informatik und Geowissenschaften bietet und sich an Schülerinnen richtet, die immer noch ein großes ungenutztes Potenzial in unserer Gesellschaft darstellen. Wir brauchen eine stärkere Beteiligung von Frauen in der Wissenschaft und insbesondere in Führungspositionen, um die Gesellschaft, die Forschung und unsere Wirtschaft voranzubringen. Ich betrachte die Gleichstellung der Geschlechter als eine absolute Notwendigkeit und nicht als Luxus.

Nelly Mouawad koordiniert seit einem Jahr das MINToring-Koordinatorin an der Freien Universität.

Nelly Mouawad koordiniert seit einem Jahr das MINToring-Koordinatorin an der Freien Universität.
Bildquelle: privat

Sie haben gesagt, dass MINToring ein besonderes Programm ist, weil es sich an Schülerinnen richtet und sie ermutigt, MINT-Fächer zu studieren. Was sind die Hauptziele des Programms? 

Das Besondere am MINToring-Programm ist die einzigartige Möglichkeit für Schülerinnen weiterführender Schulen, das ganze Jahr über eine Vielzahl an außerschulischen Veranstaltungen zu besuchen. Jede Schülerin, die neugierig auf Naturwissenschaften ist oder mehr wissen möchte, als ihre Schule anbietet, hat die Chance teilzunehmen. Den Schülerinnen wird ein Raum eröffnet, in dem sie ihre wissenschaftlichen Interessen erkunden können, sich sicher fühlen und außerhalb des schulischen Wettbewerbs stehen: Sie müssen keine Angst haben, Fehler zu machen oder etwas Dummes zu sagen. Und sie können, was sehr wichtig ist, Vorbilder kennenlernen – gerade dies macht das MINToring-Programm einzigartig.

Mit unserem Programm bieten wir das ganze Jahr über Veranstaltungen für einige hundert naturwissenschaftlich interessierte Schülerinnen an. Nehmen wir etwa das Berufspraktikum im Sommer, bei dem 10 bis 20 Schülerinnen für drei Wochen an die Universität kommen. Ich finde es großartig zu sehen, wie motiviert sie sind, Teil dieses Programms zu sein, und dass es für sie von großer Bedeutung ist. 

Die derzeitige Projektlaufzeit des MINToring-Programms endet im Herbst. Was sind Ihre Pläne für die kommenden Monate?

Ich möchte sicherstellen, dass wir als Team Schritt halten können mit unseren Vorhaben, auch, weil wir kürzlich zwei neue Kooperationen, einmal mit der Schüler:innenUNI zum Thema Nachhaltigkeit und mit dem Europlanet Science Congress begonnen haben. Vor allem möchte ich das Programm mit einem großen Hurra beenden.

Außerdem möchte ich das Bewusstsein dafür schärfen, was MINToring in den vergangenen Jahren für die beteiligten Fachbereiche erreicht hat. Ich möchte darauf aufmerksam machen, warum es notwendig ist, junge Frauen für MINT-Fächer zu gewinnen und wie das Programm Schülerinnen unterstützt. Darüber hinaus versuche ich, unsere Arbeit in Berlin sichtbarer zu machen, indem ich an Konferenzen teilnehme, meine Erfahrungen rund um MINToring teile und über die Bedeutung von Outreach spreche. Gemeinsam mit der Projektleitung suche ich nach Wegen, unsere Aktivitäten in der ein oder anderen Form weiterzuführen. Für mich ist das ein sehr wichtiger Moment für Frauen in den MINT-Fächern – ich denke, wir könnten an einem Wendepunkt angelangt sein.

Wie war Ihr eigener Weg in die Wissenschaft?

Ich sehe mich heute als Wissenschaftlerin und Fürsprecherin von Bildung und Frauen in der Wissenschaft. Ich komme aus einem sehr kleinen Ort im Libanon, der voller Widersprüche und Komplexitäten ist. Nachdem ich meinen Herkunftsort verlassen hatte, habe ich viele Orte auf der Welt gesehen – heute fühle ich mich als Weltbürgerin. Dass ich mich der Welt als Ganzes zugehörig sehe, hat damit zu tun, dass ich Naturwissenschaften studiert habe. Bildung war meine Eintrittskarte in die Welt und Wissenschaft war mein Weg, mich gedanklich zu befreien und die Narrative, mit denen ich aufgewachsen bin, infrage zu stellen. Deshalb engagiere ich mich so stark für naturwissenschaftliche Bildung und Outreach-Aktivitäten.

Die Fragen stellte Merle Büter, Referentin im Team Zentrale Frauenbeauftragte.