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Forschung lässt die Muskeln spielen

Bei der Abschlussveranstaltung der „Research to Market Challenge“ im Max-Liebermann-Haus der Berliner Sparkasse wurden innovative Geschäftsideen aus den Einrichtungen der Berlin University Alliance ausgezeichnet

14.05.2024

Luis R. Paniagua Voirol (Mitte) und Mitja Remus-Emsermann (rechts) haben einen bakteriellen Booster für biologische Insektizide entwickelt.

Luis R. Paniagua Voirol (Mitte) und Mitja Remus-Emsermann (rechts) haben einen bakteriellen Booster für biologische Insektizide entwickelt.
Bildquelle: © 2024 Nomadic by Choice. All rights reserved

„Stellen Sie sich eine Welt vor, in der ein Viertel aller Gemüseernten nie auf unseren Tellern landet, weil hungrige Insekten sie vorher vernichten. Keine Science-Fiction, sondern bittere Realität“, sagt Luis R. Paniagua Voirol.

Mit diesem drastischen Einstieg sichert sich der promovierte Biologe die volle Aufmerksamkeit des Publikums. Gespannt lauschen Teilnehmende und Gäste seiner Präsentation bei der Abschlussveranstaltung des Ideenwettbewerbs Research to Market Challenge, der jedes Jahr vom Verbund Science & Startups ausgerichtet wird.

Das Problem, das der Biologe mit seiner Geschäftsidee lösen möchte, ist tatsächlich dramatisch: Weltweit gehen 15 bis 30 Prozent der Ernteerträge durch Schädlingsbefall verloren, erläutert er. Bei einer Klimaerwärmung um 2 Grad Celsius wird sich einer Studie zufolge der Ertragsverlust auf der Nordhalbkugel sogar noch verdoppeln.

Eine Bakterienmischung zum Aufsprühen verbessert das Mikrobiom

Chemische Insektizide sind zwar wirksam gegen Schadinsekten, gefährden aber auch die Gesundheit von Menschen und anderen Tierarten. In der Landwirtschaft werden daher vermehrt Bioinsektizide eingesetzt, etwa gegen Kohlraupen. Leider, so erklärt der Biologe, wirken diese oft zu langsam. Ihre Schlagkraft will Luis R. Paniagua Voiral nun erhöhen. Gemeinsam mit Mitja Remus-Emsermann, Professor und Leiter der Arbeitsgruppe für Mikrobiologie, hat er entdeckt, dass Biozide doppelt so schnell gegen Raupenbefall wirken, wenn vorher auf die Kohlblätter noch bestimmte andere Bakterien aufgebracht wurden, die ihr Mikrobiom, also die Zusammensetzung der Bakterien auf den Blättern der Pflanze, verbessern. Besprüht man die Pflanzen mit einer solchen Bakterienmischung, wirkt diese als Verstärker für Biozide, schadet aber anderen Organismen nicht. MicropBoost nennen die Wissenschaftler ihr Konzept.

Dr. Ina Czyborra (links), Prof. Dr. Günter M. Ziegler (2.v.l.) und Oleksandra Ambach (links) von der Berliner Sparkasse gratulierten dem Team.

Dr. Ina Czyborra (links), Prof. Dr. Günter M. Ziegler (2.v.l.) und Oleksandra Ambach (links) von der Berliner Sparkasse gratulierten dem Team.
Bildquelle: © 2024 Nomadic by Choice. All rights reserved

Eine Idee mit viel Potenzial, urteilte die Wettbewerbsjury und zeichnete sie mit dem ersten Platz in der Kategorie „Sustainability x Society“ aus, in der Ideen aus den Bereichen Nachhaltiges Wirtschaften, Soziale Ökonomie, Circular Economy, Bildung, New Work, Smart City, Digitale Lösungen etc. ins Rennen gehen.

Auch mit dem Fahrplan für den Weg von der Forschung zur Marktreife konnte das Team überzeugen: Eine Anmeldung zum Patent wird vorbereitet, weitere Laborexperimente laufen, demnächst folgen Tests im Gewächshaus und im Feld an wirtschaftlich wichtigen Kulturen wie Brokkoli, Blumenkohl, Rosenkohl, Grünkohl und Raps – später auch an Mais und Weizen. „Damit die Bakterienmischungen sich nahtlos in bestehende landwirtschaftliche Praktiken einfügen, werden wir sie kompatibel zu den Standard-Sprühgeräten machen“, betonte Luis R. Paniagua Voiral.

BatteryBoostAI will die Nachnutzung von alten Batterien aus E-Autos ermöglichen.

BatteryBoostAI will die Nachnutzung von alten Batterien aus E-Autos ermöglichen.
Bildquelle: © 2024 Nomadic by Choice. All rights reserved

In der Wettbewerbskategorie „Technologies x Resources“ präsentierten Pasha Alidadi und Denis Gördük, zwei Absolventen der TU Berlin, ihre Gewinner-Idee: Mit dem Projekt „BatteryBoostAI“ wollen sie das Potenzial von Second-Life-Batterien vorhersagen und optimieren. So soll es günstiger und attraktiver werden, alte Akkus aus Elektroautos noch zum Speichern von Wind- und Sonnenenergie zu nutzen, anstatt sie auf illegalen Deponien zu entsorgen.

Die Biochemiker*innen von Oncovirtuous zerstören Krebszellen mit Virus-mRNA.

Die Biochemiker*innen von Oncovirtuous zerstören Krebszellen mit Virus-mRNA.
Bildquelle: © 2024 Nomadic by Choice. All rights reserved

Das beste Konzept der Kategorie „Healthcare & Prevention“ zielt auf einen neuen Ansatz für die Krebstherapie: Oliver Reimann, Andreas Regnery, Henry Fechner, Leslie Elsner und Alexander Zeh gehören zum Team Oncovirtuous aus dem Arbeitsbereich Angewandte Biochemie der TU Berlin. Sie wollen ein sicheres onkolytisches Virus nutzen, um Tumoren zu bekämpfen, die Metastasen bilden und sich nicht operativ entfernen lassen. Die Virus-mRNA wird dabei ausschließlich von Krebszellen aufgenommen und zerstört diese von innen heraus.

Neue Datenquellen zum Training von KI-Modellen will das Team Y Information erschließen.

Neue Datenquellen zum Training von KI-Modellen will das Team Y Information erschließen.
Bildquelle: © 2024 Nomadic by Choice. All rights reserved

Der Sonderpreis für Künstliche Intelligenz ging an Y Information-as-a-Service. Leo Pinetzki und Lorenz Hufe von der TU Berlin sowie Jarek Liesen von der HU Berlin stellten eine Plattform vor, die es Kunden aus verschiedenen Branchen ermöglicht, kuratierte Datenquellen nahtlos in ihre KI-Anwendungen auf Basis von Large Language Models zu integrieren, damit diese leistungsfähiger werden und weniger Fehler produzieren.

Ina Czyborra, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege des Landes, war begeistert von der Kreativität der Konzepte: „In solcher Gesellschaft wie hier bin ich am liebsten: Menschen, die sich was trauen und die Welt verbessern wollen“, sagte sie in ihrem Grußwort. Die Fülle der Logos auf der Projektionswand stimme sie glücklich, ergänzte sie: „Je mehr Partner einen solchen Ideenwettbewerb unterstützten, desto besser.“

Gemeinsamer Service für Gründer*innen

Professor Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin, betonte, dass die insgesamt 34 Einreichungen auch deshalb eine so hohe Qualität erreicht hätten, weil die vier Partner der Berlin University Alliance unter dem Dach von „Science & Startups“ eng zusammenarbeiten und den Wettbewerb seit drei Jahren gemeinsam ausrichten. Er bedankte sich für den Beitrag der Berliner Sparkasse, die sich als langjähriger Partner nachhaltig für die Gründungsförderung an den Hochschulen einsetze.

Seit 2019 arbeiten Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Technische Universität Berlin und Charité – Universitätsmedizin Berlin in der Gründungsförderung unter dem Namen „Science & Startups“ in verschiedenen Projekten zusammen.
In diesem Jahr haben die Präsidien von FU, HU und TU Berlin beschlossen, den nächsten Schritt zu gehen und die Gründungs-Services ihrer Universitäten unter den Namen „Science & Startups“ zu fusionieren. Die Gründer*innen werden künftig nur noch gemeinsam unter dem Dach eines Joint Ventures betreut, mit dem Ziel, die bestmögliche Unterstützung für die Start-ups zu gewährleisten. Der gemeinsame Gründungsservice soll auch eine bessere Sichtbarkeit und internationale Wettbewerbsfähigkeit langfristig sichern.

Nach der Preisverleihung lud die Berliner Sparkasse zu Buffet und Getränken ein und bot Teilnehmenden und Gästen die Gelegenheit, sich auszutauschen und zu vernetzen. Luis R. Paniagua Voirol ließ die Chance nicht ungenutzt. Um die Forschung im Feld voranzutreiben, ist er auf der Suche nach Industriepartnern und einer Finanzierung, auch Teammitglieder mit Erfahrung in Geschäftsentwicklung und Marketing fehlen ihm noch zum Start-up-Glück. Der erste Platz im Wettbewerb habe ihn ermutigt, das Projekt weiterzuverfolgen, sagt der Biologe. „Das wird ganz anders, als in der Grundlagenforschung zu arbeiten. Aber ich freue mich darauf.“

Weitere Informationen

An der Research to Market Challenge können Studierende, Absolvent*innen, Doktorand*innen und wissenschaftliche Mitarbeitende aller Fachbereiche der drei großen Universitäten und der Charité – Universitätsmedizin Berlin teilnehmen. Nach einem Impuls- und einem Workshop-Day, der zur Schärfung der eigenen Ideenskizze diente, wurden die, laut Fachjury, zukunftsorientiertesten Ideen mit dem größten Innovationsgehalt in den drei Wettbewerbskategorien mit einem Preisgeld von jeweils 3.500 Euro ausgezeichnet. Die Preisgelder wurden gestiftet von der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universitäts-Gesellschaft, der Gesellschaft von Freunden der Technischen Universität Berlin, der Stiftung Charité und der Berliner Sparkasse. Darüber hinaus unterstützte das Berliner Unternehmen „ID Berlin – Information und Dokumentation im Gesundheitswesen GmbH“ den Wettbewerb als Sponsor.

Bereits zum dritten Mal wurde der Sonderpreis für Geschäftsideen, die in besonderer Art und Weise auf dem Einsatz künstlicher Intelligenz beruhen, verliehen. Gestiftet wurde der Preis auch in diesem Jahr von K.I.E.Z., dem Künstliche Intelligenz Entrepreneurship-Zentrum von Science & Startups.