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Comic im Kopf

Die ecuadorianisch-kolumbianische Comiczeichnerin Powerpaola, derzeit Samuel-Fischer-Gastprofessorin, verarbeitet in ihrem Werk biografische Erfahrungen und behandelt gesellschaftliche Fragen von Migration, Gewalt und Feminismus

30.11.2023

Powerpaola (2. v. l.) mit Tine Fetz, (l.) Angelica Liv und Mujer Gallina (r.)

Powerpaola (2. v. l.) mit Tine Fetz, (l.) Angelica Liv und Mujer Gallina (r.)
Bildquelle: Petra Salomon

Zum Comiczeichnen findet die Künstlerin Powerpaola im Jahr 2003 im australischen Sydney. Sie ist damals Ende Zwanzig, jobbt als Köchin und lebt das Leben einer Immigrantin aus dem Globalen Süden in einer reichen Metropole.

„Trist aber mit Geld“, wie sie sagt. Erste Zeichnungen, die sich mit ihrem Alltag auseinandersetzen, veröffentlicht sie zunächst im Internet. Dann, im Jahr 2011, gelingt ihr mit dem Buch „Virus Tropical“ der Durchbruch. In dem autobiografischen Comic setzt sich Powerpaola (ihr bürgerlicher Name lautet Paola Andrea Gaviria Silguero) mit ihrer Kindheit und Jugend in Ecuador und Kolumbien auseinander. Es ist auch die Geschichte einer rebellischen Tochter in einer konservativen Familie. „Es ist eine Art Bildungsroman“, sagt sie. „Eine Geschichte übers Erwachsenwerden.“

Die Verfilmung von „Virus Tropical“ lief auf der Berline

Heute werden die Comics der Zeichnerin und Illustratorin ins Französische, Italienische, Brasilianische und Deutsche übersetzt. „Virus Tropical“ wurde 2017 verfilmt und war unter anderem auf der Berlinale im Jahr 2018 zu sehen. In diesem Semester ist Powerpaola Samuel Fischer-Gastprofessorin für Literatur am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität.

Die ecuadorianisch-kolumbianische Comiczeichnerin und Illustratorin Powerpaola (Paola Gaviria) bei ihrer Antrittsvorlesung „Forget Myself” am 22. November an der Freien Universität Berlin.

Die ecuadorianisch-kolumbianische Comiczeichnerin und Illustratorin Powerpaola (Paola Gaviria) bei ihrer Antrittsvorlesung „Forget Myself” am 22. November an der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Petra Salomon

Samuel-Fischer-Gastprofessur für Literatur
Jedes Semester werden im Rahmen der Gastprofessur Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus verschiedenen kulturellen Kontexten nach Dahlem eingeladen, um gemeinsam mit Studierenden über Weltliteratur zu reflektieren. Getragen wird die Gastprofessur vom S. Fischer Verlag, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der Freien Universität Berlin und Holtzbrinck Berlin – Inspire together. Immer öfter werden dabei auch Künstlerinnen und Künstler eingeladen, die neben der klassischen Form der Literatur auch mit anderen Medienformaten arbeiten.

Eine junge Frau im Lateinamerika der 1980er und 90er Jahre

So auch Powerpaola. „Ich komme aus der Malerei“, sagt sie. „Aber ich bin eine Geschichtenerzählerin.“ In ihrer Antrittsvorlesung als Gastprofessorin am 22. November mit dem Titel „Forget Myself“ gab sie Studierenden einen Einblick in ihr Schaffen. Wie auch in ihrem Werk, wählte sie eine autobiografische Form: Über Bilder in ihren Comics sprach die Autorin über ihren Werdegang.

Als Tochter eines ehemaligen katholischen Priesters wurde sie im ecuadorianischen Quito geboren und lebte dort bis zu ihrem 13. Lebensjahr. „Ich wuchs in einem migrantischen Umfeld auf“, erzählt sie zu einer Zeichnung, die das bunte Treiben einer Hochhaussiedlung zeigt. „Umgeben von Menschen, die vor den verbrecherischen Regimen in Chile und Argentinien flohen.“

Vielfalt und Vermischung war für die Menschen dort ebenso Alltag wie Gewalt. Powerpaolas Comics setzen sich mit diesen Erfahrungen auseinander, gerade auch mit der Frage, was es heißt, als junge Frau im Lateinamerika der 1980er und 90er Jahre groß zu werden. „Ich bin mit Frauen aufgewachsen, die alle ganz unterschiedlich waren“, sagt sie. „Aber wir lebten in einer Gesellschaft, die sie einem einzigen Stereotyp unterwerfen wollte – so weiß, schön und still wie möglich.“

Die Vergangenheit hinterfragt sie in ihren Comics immer wieder aufs Neue – und lässt Raum für einen humorvollen, spielerischen Umgang mit der eigenen Autobiographie.

Comiczeichnen als Form der Therapie

Um erzählerische Verfahren im Grenzgebiet von Literatur und Comic geht es auch in dem Seminar, das Powerpaola in diesem Semester für Studierende der Freien Universität anbietet. Unter dem Titel „I’m not talking about me (but also)“ thematisiert es Selbstporträts und Autofiktion – Genres, die sich im Grenzbereich zwischen Autobiografie und Literatur bewegen.

Im Vordergrund stehen dabei nicht nur die Lektüre, sondern auch praktische Übungen: Tagebuch schreiben, Briefe an Freunde, Geister oder Fremde verfassen, Porträts und Comics zeichnen.

Das Comiczeichnen, sagt Powerpaola, begreife sie auch als eine Form der Therapie. „Als ich Malerei studiert habe, sagte man mir, dass sich therapeutische Kunst nicht gehöre“, sagt sie. „Aber heute mache ich genau das: um andere und mich selbst durch Kunst besser zu verstehen.“

Weitere Informationen

Veranstaltungshinweis

Filmgespräch „Virus Tropical – screening & talk“: Powerpaola im Gespräch mit Lea Hübner

  • 7. Dezember 2023, 19 Uhr
  • ACUD Kino Berlin, Veteranenstraße 21, 10119 Berlin