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„Wir kommunizieren mehr als sonst in Blasen“

campus.leben-Serie „Corona – Fragen an die Wissenschaft“ / Teil 7: Interview mit Kommunikationswissenschaftler Joachim Trebbe von der Freien Universität Berlin

21.04.2020

Corona - Fragen an die Wissenschaft, Folge 7: Joachim Trebbe, Kommunikationswissenschaft

Corona - Fragen an die Wissenschaft, Folge 7: Joachim Trebbe, Kommunikationswissenschaft
Bildquelle:  shutterstock.com/khaleddesigner

Was verändert sich durch die Corona-Pandemie? Welche Folgen hat sie für das Leben jedes Einzelnen, welche Auswirkungen auf die Gesellschaft, die Politik, die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Kultur? Im aktuellen Interview der campus.leben-Serie „Corona – Fragen an die Wissenschaft“ spricht Lena Pflüger mit Joachim Trebbe, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität, über Krisenkommunikation, veränderte Rollen der Medien und was davon bleiben wird nach der Krise.

Herr Professor Trebbe, Kommunikation ist in Krisenzeiten besonders wichtig: um Informationen zu vermitteln, aber auch um Vertrauen herzustellen. Wie gut wird derzeit kommuniziert?

Prof. Dr. Joachim Trebbe, Arbeitsstelle Medienanalyse/ Forschungsmethoden: „Wir sind heute durch unsere digitale Medienumwelt schneller unterwegs, als wir es beispielsweise zu Zeiten von 9/11 waren.“

Prof. Dr. Joachim Trebbe, Arbeitsstelle Medienanalyse/ Forschungsmethoden: „Wir sind heute durch unsere digitale Medienumwelt schneller unterwegs, als wir es beispielsweise zu Zeiten von 9/11 waren.“
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

In der Kommunikationswissenschaft wissen wir, dass Krisenkommunikation in unterschiedlichen Phasen abläuft. Das trifft auch auf die Coronakrise zu: In der ersten Phase, die kommunikativ immer panisch und stark geprägt von Verlautbarungsjournalismus ist, wollen alle erst einmal klären, was überhaupt los ist, welche Risiken existieren und wie man mit ihnen umgehen kann. In dieser Phase gibt die Exekutive, bei uns die Bundesregierung, vor, wie zu handeln ist.

Journalistinnen und Journalisten sind in dieser Phase im Grunde nur damit beschäftigt, diese Entscheidungen zu kommunizieren und zu erklären: Da geht es darum, bei den Infektionszahlen auf dem neusten Stand zu sein, O-Töne der verantwortlichen Politiker einzuholen und beispielsweise zu erklären, mit wie vielen Leuten man im Park sitzen darf. In dieser ersten Phase ist es gut und wichtig, dass die Medien das Thema aufgreifen und die Öffentlichkeit informieren.

Jetzt sind wir vermutlich in der zweiten Phase – wie agieren die Medien jetzt?

In dem Moment, in dem der erste Peak vorbei ist, setzt die Metakommunikation ein. Das heißt, es wird nachgefragt – in der Politik, den Medien, in der öffentlichen Diskussion: Machen wir eigentlich das Richtige? Wer trägt Verantwortung? Wie verhalten sich Medien, Wissenschaft und Politik? Gibt es auch andere Meinungen? Welche Fakten sind wie einzuschätzen? In der Regel verändern sich die Narrative, also die Erzähl- und Erklärmuster im Journalismus, nach etwa zwei Wochen. Dieser Reflektionsprozess hat in Deutschland doch relativ spät eingesetzt.

Woran liegt das?

Das lag an der Dynamik der Krise. Es war kein Schock wie ein Erdbeben oder ein Terroranschlag, sondern eine Katastrophe mit Ansage – jeder Tag hat eine weitere Eskalation gebracht. Medien und Politik waren gefangen in einer Spirale von Hiobsbotschaften und kurzfristigen Gegenmaßnahmen. Zum Teil auch durch Entwicklungen und Maßnahmen in den Nachbarländern.

Hätten Sie vor dem Hintergrund unserer digitalisierten Welt und der damit einhergehenden Beschleunigung erwartet, dass diese zweite Phase schon früher einsetzt?

Ja, wir sind heute durch unsere digitale Medienumwelt schneller unterwegs, als wir es beispielsweise zu Zeiten von 9/11 waren. Das öffentlich-rechtliche Mediensystem könnte eigentlich ein größeres Selbstbewusstsein entwickeln und die als „alternativlos“ erklärten Maßnahmen von vornherein in Frage stellen. Dann kämen auch früher kritische Menschen zu Wort, und es gäbe eine tatsächliche Diskussion, die wiederum auch einen gesellschaftlichen Effekt hätte.

Über Social Media verbreiten sich Informationen vergleichsweise schnell, ist das ein Aspekt, der in Krisenzeiten nützlich ist?

In der ersten Phase der Krise, wenn es darum geht, möglichst breit über die Entwicklung und die beschlossenen Maßnahmen zu informieren, können Social-Media-Kanäle eine Möglichkeit sein neben den gängigen Massenmedien.

Allerdings ist Social Media als Informationskanal und -quelle immer ein zweischneidiges Schwert: Es wird viel Unsinn verbreitet, Absender sind mitunter nicht transparent, und die Betreiber der Plattformen sind bislang damit überfordert, die Datenmasse sinnvoll zu filtern und zu kuratieren.

In modernen, sehr diversen Gesellschaften gibt es Gruppen, die über die konventionellen Massenmedien nicht erreicht werden. Das sind in der Regel Minderheiten, beispielsweise Migranten. Das liegt mitunter an sprachlichen, kulturellen oder religiösen Unterschieden: Informationen werden in diesen Gruppen nur über bestimmte Kanäle – etwa Social Media oder persönliche Kontakte – weitergegeben, die wiederum nur von bestimmten Gruppen – entweder Männern, Frauen oder Kindern – genutzt werden.

Zeichnet sich durch die Pandemie bedingt eine Machtverschiebung ab zwischen den klassischen und den „neuen“ Medien?

Unter dem Druck der Krise finden die konventionellen Massenmedien gerade eine neue Rolle. Sie fungieren als Faktenchecker, Anti-Fake-News-Institutionen und glaubwürdige Instanzen für die Erklärung von Zahlen und die Bewertung durch Experten.

Berichterstattung ist aber nur ein Themenbereich; auch die Bereiche Unterhaltung und Kultur werden in diesen Zeiten ohne öffentliche Veranstaltungen von unterschiedlichen Medien und Plattformen getragen. Im Fernsehen gibt es jetzt zum Beispiel eine aufgeblasene Kultur- und Unterhaltungssparte. Die Angebote werden vervielfältigt durch Archivmaterial, vergessene Serien, historische Konzert- und Theateraufzeichnungen und ein Revival der guten, alten Samstagabendshows. Die Mediatheken sind prall gefüllt. Und die Nutzungszahlen geben den Anbietern Recht – die Reichweiten steigen.

In den Sozialen Medien geht es eher um Streaming: Kulturschaffende versuchen, die fehlenden Auftrittsmöglichkeiten auszugleichen und über die Sozialen Medien direkt zu streamen, da sie dort keine Rundfunklizenz brauchen und nicht an journalistischen Redaktionen vorbei müssen.

Werden diese neuen Rollen bleiben? Werden etwa die konventionellen Medien von der Krise profitieren?

Zum Teil sicher. Die zugeschriebene Informationskompetenz und Glaubwürdigkeit der konventionellen Medien ist nach meiner Wahrnehmung gestiegen. Voraussichtlich wird irgendwann eine gewisse Übersättigung eintreten. Der Wunsch, wieder in der physischen Welt unterwegs zu sein, wird stärker werden.

Die Verbreitung und die Nutzung sozialer Medien wird auch nach der Krise höher sein als zuvor. Besonders die weniger netzaffine ältere Generation macht sich die neuen Möglichkeiten im Moment zu eigen und wird sie nicht mehr aufgeben. Die Trennung zwischen medialer, öffentlicher und privater, sozialer Kommunikation wird mehr und mehr aufgehoben.

Wir kommunizieren im Moment anders miteinander, privat und beruflich. Was verändert sich – und was wird nach der Krise bleiben?

Da wir alle gerade viel mehr Zeit zu Hause verbringen, ändern sich unsere täglichen Abläufe und auch unser Mediennutzungsverhalten: Die digitalen Kommunikationstechnologien gehören jetzt ganz natürlich zu unserer Umgebung, wie früher etwa der Fernseher; die Mediennutzung insgesamt hat enorm zugenommen. Weil unsere realen, physischen Erfahrungen in der Welt durch die Beschränkungen minimiert sind, haben Medien und deren Inhalte größeren Einfluss auf uns.

In den Sozialen Medien stehen die Alltagserfahrungen der Menschen stärker im Mittelpunkt, das öffnet den Raum für zwischenmenschliche Kommunikation. Im Privaten ist zu beobachten, dass die Art und Weise, wie wir gerade Kontakt halten, in bestimmten Bereichen zu einer Annäherung der sozialen Gruppen führt. In der Familie etwa tauschen sich Verwandte häufiger und intensiver aus. Weil im Moment zufällige Begegnungen und der Kontakt über gewohnte Kreise hinaus kaum möglich ist, kommunizieren wir aber mehr als sonst in Blasen.

Besonders im Arbeitskontext zeigt sich, dass sich durch die überwiegend medienvermittelte Kommunikation auch die menschlichen Umgangsformen verändern. Die eigene Persönlichkeit steht hinter dem leicht zu manipulierenden virtuellen Auftritt zurück. So werden online etwa Tipps publiziert, welche Bücher bei einer Videokonferenz unbedingt im Regal stehen sollten oder ob es erlaubt ist, im Homeoffice Kapuzenpullover zu tragen. Fernsehinterviews werden häufig in informeller Umgebung gedreht; über Software lässt sich ein virtueller Hintergrund einsetzen.

Und dann kommt natürlich noch die Ästhetik hinzu: Das teilweise schwache Internet, Unterbrechungen, ruckelnde Videos – oder Katzen, die durchs Bild laufen. Ich glaube, wir werden diese Zeit rückblickend mit großer Nostalgie betrachten.

Die Fragen stellte Lena Pflüger

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Englische Übersetzungen: