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„Konfrontation als Kunst“

Der Schweizer Autor Lukas Bärfuss ist Berliner Literaturpreisträger und Heiner-Müller-Gastprofessor

28.02.2013

Preisträger Lukas Bärfuss (2.v.l.) mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (l.), Walter Rasch, Vorstandsvors. Stiftung Preußische Seehandlung (2.v.r.) und dem Präsidenten der Freien Universität, Prof. Dr. Peter-André Alt (r.).

Preisträger Lukas Bärfuss (2.v.l.) mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (l.), Walter Rasch, Vorstandsvors. Stiftung Preußische Seehandlung (2.v.r.) und dem Präsidenten der Freien Universität, Prof. Dr. Peter-André Alt (r.).
Bildquelle: Stephan Töpper

Die Schauspielerinnen Nina Hoss und Fritzi Haberlandt lasen aus  Lukas Bärfuss' Stücken „Öl“ und „Amygdala".

Die Schauspielerinnen Nina Hoss und Fritzi Haberlandt lasen aus Lukas Bärfuss' Stücken „Öl“ und „Amygdala".
Bildquelle: Stephan Töpper

Der Literaturhistoriker Peter von Matt hielt die Laudatio.

Der Literaturhistoriker Peter von Matt hielt die Laudatio.
Bildquelle: Stephan Töpper

„Am Werk von Lukas Bärfuss kann man sich blaue Flecken holen“ – wer seine Texte lese, stoße sich im übertragenen Sinne im Dunklen an einer Tür, die sonst immer offenstehe – mit diesem Bild veranschaulichte der Literaturhistoriker Peter von Matt in seiner Laudatio, dass sich die Dramen und der bislang einzige Roman des Schweizer Autors gängigen Deutungsschemata widersetzten – und dies auf preiswürdige Art und Weise. Lukas Bärfuss erhielt am Mittwochabend im Roten Rathaus den mit 30.000 Euro dotierten Berliner Literaturpreis 2013 der Stiftung Preußische Seehandlung. Gleichzeitig wurde er vom Präsidenten der Freien Universität, Professor Peter-André Alt, auf die Heiner-Müller-Gastprofessur berufen.

Lukas Bärfuss gab sich als frisch gekürter Träger des Berliner Literaturpreises bescheiden: „Entstellt zu einem Helden“ fühle er sich angesichts der vielen lobenden Worte an diesem Abend und wolle daher über seine Fehler sprechen – über platte Vergleiche, Wiederholungen und schwache Adjektive. „Die Geschichte meines Schreibens ist eine Geschichte meiner Krisen“, gestand Bärfuss; vom „Bewusstsein eigener Unvollkommenheit“ war die Rede. Die Vertrautheit mit Abgründen ist womöglich auch sein Erfolgsgeheimnis: Besonders Bärfuss‘ Darstellung von menschlichen Krisen und Katastrophen hatten die Festredner gelobt.

Ein Autor auf Konfrontationskurs

In seinen Theaterstücken und dem bislang einzigen Roman „Hundert Tage“ bricht der Autor gewohnte Ordnungen auf und lässt in den Dialogen „zwischenmenschliche Grausamkeiten“ zutagetreten, wie Laudator Peter von Matt sagte. „Ganz anders als alles, was Bärfuss vorher und nachher geschrieben hat“ sei der Roman, der vom Völkermord in Ruanda handelt. Durch die Erfahrungen, die ein junger Entwicklungshelfer in dem Land macht, werde das vermeintlich Gute entzaubert, allerdings frei von Besserwisserei: „Bärfuss setzt uns einer Wahrheit aus, der wir nicht gewachsen sind.“

Typische Leseerwartungen breche der Autor aus Prinzip: So sei etwa die Figur Dora aus einem Stück zugleich „stupid und taghell“ – die Charaktere agierten oftmals derart widersprüchlich, ja inkohärent, dass man dem Autor einen Kunstfehler unterstellen könnte. Peter von Matt zeigte die dahinterstehende Absicht auf: „Dass unsere flinken Deutungen versagen, ist das geheime Ziel von Bärfuss‘ Kunst. Er will die Konfrontation.“

Ohne Plattitüden an die Freie Universität

Einen „zielsicheren Blick“ für das Besondere und Preiswürdige bescheinigte Literaturwissenschaftler Peter-André Alt der Jury. Sie setzt sich aus Jens Bisky, Ulrich Janetzki, Ulrich Khuon, Kristin Schulz und Winfried Menninghaus, Professor der Freien Universität, zusammen: Bärfuss‘ Werk sei verwandt mit dem Œuvre Heiner Müllers, dem Namenspatron der Gastprofessur, da sich beide mit Gewalt und Diktatur beschäftigten. Indem er sprachliches Feingefühl zeigt und Plattitüden verweigert, steht Bärfuss Alt zufolge auch in der Tradition Peter Handkes und Thomas Bernhardts: „Seine Sprache richtet sich gegen Automatismen.“ Wenn Lukas Bärfuss am 18. April seine Antrittsvorlesung in Dahlem hält und Studierende aus Berlin und Brandenburg zu einem Autorenkolleg lädt, verbinden sich für Alt literarische Praxis und Literaturwissenschaft.

Mehr Bärfuss an Berliner Bühnen

„Lukas Bärfuss erhält den Berliner Literaturpreis 2013 für sein Werk, in dem die Freaks und Träumer, die Schlafwandler und Fremdlinge den Ton angeben“, zitierte Klaus Wowereit die Jury: Mit dem 1971 in Thun geborenen Autor begrüßte der Regierende Bürgermeister von Berlin den jüngsten der neun bisherigen Preisträger.

An die Berliner Theater richtete er abschließend eine dringliche Bitte: Auf den Bühnen der Stadt seien die Stücke von Lukas Bärfuss bislang zu selten zu sehen, anders als in anderen Städten der Welt. Das Rahmenprogramm der Preisverleihung kann die Verantwortlichen nur ermuntern: Nach szenischen Lesungen aus den Stücken „Öl“ und „Amygdala" mussten sich die Schauspieler Nina Hoss, Fritzi Haberlandt und Felix Goeser unter großem Beifall mehr als nur einmal vor dem Publikum verneigen.