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„Pegida ist Rechtspopulismus“

Über die politische Situation in Deutschland diskutierten Wissenschaftler bei einer Podiumsdiskussion am Otto-Suhr-Institut

06.02.2015

Für Weltoffenheit, Mitmenschlichkeit und Dialog: Bei einer Kundgebung vor der Dresdner Frauenkirche kamen Anfang Januar zahlreiche Pegida-Gegner zusammen.

Für Weltoffenheit, Mitmenschlichkeit und Dialog: Bei einer Kundgebung vor der Dresdner Frauenkirche kamen Anfang Januar zahlreiche Pegida-Gegner zusammen.
Bildquelle: Dr. Bernd Gross /Wikimedia Commons

Gespanntes Publikum: Zu der Podiumsdiskussion waren zahlreiche Interessierte ans Otto-Suhr-Institut gekommen.

Gespanntes Publikum: Zu der Podiumsdiskussion waren zahlreiche Interessierte ans Otto-Suhr-Institut gekommen.
Bildquelle: Nora Lessing

Politikwissenschaftlerin Cilja Harders (2. v. r.) moderierte. Neben ihr auf dem Podium: die Sozialwissenschaftlerinnen Naika Foroutan und Bilgin Ayata sowie der emerierte Politikprofessor Hajo Funke (von links).

Politikwissenschaftlerin Cilja Harders (2. v. r.) moderierte. Neben ihr auf dem Podium: Naika Foroutan und Bilgin Ayata sowie Professor Hajo Funke (von links).
Bildquelle: Nora Lessing

Seit Wochen zählen Pegida, Hogesa und Co. in den Medien zu den Top-Themen. Das Themenspektrum reicht dabei von einer sogenannten Islamisierung über eine vermeintlich christlich-jüdische Tradition Deutschlands bis hin zu den Terroranschlägen von Paris. Doch wie lassen sich die gegenwärtigen Entwicklungen einordnen und was sagen sie über die politische Kultur Deutschlands aus? Über diese und weitere Fragen sprachen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kürzlich am Otto-Suhr-Institut (OSI) der Freien Universität bei der Podiumsdiskussion „Deutsche Zustände 2015“. Gemeinsam mit mehreren hundert interessierten Zuhörern diskutierten die Politikwissenschaftlerin Bilgin Ayata, die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan sowie Politikprofessor Hajo Funke.

Die promovierte Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan berichtete von einem Wandel der nationalen Identität in Deutschland. „Das Bewusstsein, dass Deutschland bunt ist, wächst stark“, sagte die Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität. Dennoch gebe es auf vielen Ebenen noch Defizite. Zwar sieht sie ein gewisses Bewusstsein für Vielfalt in weiten Bevölkerungsteilen, dennoch seien insbesondere anti-muslimische Ressentiments stark ausgeprägt. „Man kann sagen, dass viele zwar Vielfalt im Allgemeinen bejahen, Muslime aber davon ausschließen wollen.“

Funke sieht Parallelen zu Thesen Thilo Sarrazins

Die Existenz starker islamfeindlicher Tendenzen in Deutschland, die sich unter anderem in der Pegida-Bewegung artikulierten, betonte auch Professor Hajo Funke. Dort würden Aggressionen auf einen Schwächeren projiziert, in diesem Fall die Muslime in Deutschland. „Pegida ist Rechtspopulismus“, sagte der emeritierte Politikwissenschaftler. Die Parolen der Bewegung erinnerten demnach an die rassistischen Thesen Sarrazins. Die Ursache für Pegida sieht er unter anderem in emotionaler Unsicherheit und einem allgemeinen Misstrauen gegenüber der Politik. In diesem Zusammenhang sei es wichtig, soziologische Ursachenforschung zu betreiben. Zusätzlich sieht Funke die Politik – aber auch die Bevölkerung – in der Pflicht: „Gegendemonstrationen sind entscheidend, um die dauerhafte Etablierung rechtspopulistischer Bewegungen in Deutschland zu verhindern.“

Die Pegida-Demonstrationen kommen für die Bilgin Ayata, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsstelle Transnationale Beziehungen, Außen- und Sicherheitspolitik (ATASP), nicht überraschend. Die deutschen Medien hätten jahrelang die Angst vor dem Islam geschürt. „Man muss diese Entwicklungen auch aus einer postkolonialen Perspektive betrachten“, ergänzte die promovierte Politikwissenschaftlerin. In den Thesen der Pegida-Anhänger offenbaren sich ihrer Einschätzung nach eurozentristische und rassistische Denkbilder. Das Problem beschränke sich jedoch nicht auf Pegida, sondern verweise auf gesamtgesellschaftliche Defizite. „Pegida ist Ausdruck einer gesellschaftlich weitverbreiteten rassistischen Gesinnung“, sagte Ayata. Solange es keine deutsche Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und dessen rassistischer Ideologie gebe, könne es auch keine vernünftige Debatte zur Gegenwart geben, bilanzierte sie.

Früher die Republikaner, heute AfD und Pegida?

Alle drei Wissenschaftler betonten die Bedeutung einer intensiven gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Entwicklungen. „Die liberal-politische Kultur ist derzeit umkämpft“, sagte Hajo Funke. „Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass rassistische Meinungen nicht in die Mitte der Gesellschaft vordringen.“ Bilgin Ayata sagte, dass es eine einheitliche deutsche Identität nie gegeben habe. Dennoch sei die Idee einer homogenen nationalen Identität nach wie vor sehr verbreitet. „Erst gab es die Republikaner, heute die AfD und Pegida. Seit den neunziger Jahren wiederholen sich die Diskussionen. Wir kommen da nicht weiter.“ Es sei nun unabdingbar, institutionellen Rassismus gesamtgesellschaftlich zu thematisieren. Naika Foroutan glaubt, dass es neben einem starken rechten Rand in Zukunft mehr Diversität in Deutschland geben wird. Es stelle sich die Frage, ob sich nationale Identität und Deutschsein auch als Einheit der Verschiedenen denken ließe.

Im Anschluss an die Redebeiträge entwickelte sich eine rege Diskussion. Dabei machte die Bandbreite der angesprochenen Aspekte vor allem die Vielschichtigkeit der politischen Kultur, rassistischer Stereotype und nationaler Identität deutlich. Einig waren sich alle Beteiligten in einem Punkt: Zukünftig können und sollten Diskussionsveranstaltungen wie diese zur aktiven Auseinandersetzung mit aktuellen „Deutschen Zuständen“ einen entscheidenden Beitrag leisten.