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„Europa ist ein Produkt von Krisen“

In der Auftaktveranstaltung der Reihe „Berliner Europa-Dialog“ diskutierten Korrespondentinnen und Korrespondenten über die aktuellen Krisen

26.06.2015

Die Politik der Europäischen Union im Visier: Journalisten bei Ihrer Arbeit in Brüssel.

Die Politik der Europäischen Union im Visier: Journalisten bei Ihrer Arbeit in Brüssel.
Bildquelle: European Union 2012 - European Parliament / flickr , CC BY NC-ND 2.0

Hatten trotz Krisengespräch zu lachen: Politikprofessorin Tanja Börzel (3. v. r.) und ihre Gäste  auf dem Podium im Henry-Ford-Bau.

Hatten trotz Krisengespräch zu lachen: Politikprofessorin Tanja Börzel (3. v. r.) und ihre Gäste auf dem Podium im Henry-Ford-Bau.
Bildquelle: Deutsche Gesellschaft e.V.

„Man weiß ja gar nicht, wo man anfangen soll!“ Tanja Börzel, Leiterin der Arbeitsstelle Europäische Integration an der Freien Universität und Moderatorin der Podiumsdiskussion, eröffnete den Abend mit einer Auflistung von europäischen Krisen: Der drohende „Grexit“, der anhaltende Konflikt in der Ukraine, ein sich verbreitender Rechtspopulismus und eine Flüchtlingspolitik, die es dringend zu reformieren gilt. Unter dem als Frage formulierten Titel „Europa in der Krise?“ teilten europäische Berichterstatter vergangene Woche im Henry-Ford-Bau ihren Blick auf die Krisen Europas.

Populismus, eine schwache Wirtschaft und prekäre Arbeitsverhältnisse – in unterschiedlich starkem Ausmaß haben die Heimatländer der Korrespondenten – Spanien, Italien, Polen, Griechenland und Frankreich – diese Krisenherde gemein. Die Wahrnehmung hingegen sei in den Ländern mitunter unterschiedlich, wie Luis Doncel, Deutschland-Korrespondent der spanischen Tageszeitung „El Pais“, berichtete: „Deutsche Experten sagen mir, dass sie Spanien als Reformvorbild sehen. In Spanien aber ist die Unzufriedenheit sehr hoch.“

Freunde und Familie des Journalisten beklagten weiterhin schlechte Arbeitsbedingungen im Land. Zwar gebe es insgesamt weniger Arbeitslose, viele der neugeschaffenen Jobs seien aber stark befristet. „Manche Arbeitsverträge gelten nur für eine Woche“, sagte der Journalist.

„Krise? Welche Krise?“

Jacek Lepiarz von der polnischen Nachrichtenagentur „PAP“ sieht auf den ersten Blick keine Probleme in seinem Land: „Krise? Welche Krise? Die Wirtschaft wächst und die polnische Währung ist stark.“ Auf den zweiten Blick aber zeige sich ein „katastrophales soziales Sicherheitssystem“. Gut ausgebildete junge Menschen wanderten in andere Länder ab, weil die Löhne zu niedrig seien, sagt er, prekäre Arbeitsverhältnisse seien fast Normalität.

Natürlich spielte an diesem Abend auch der „Grexit“, der diskutierte Ausstieg Griechenlands aus der Währungsunion, eine Rolle. Für Spanien wäre dieser Schritt ein wichtiges politisches Signal, sagte Doncel. „Die Leute fragen sich: Wer wird der Nächste sein?“

Georgios Pappas von der griechischen Tageszeitung „Ta Nea“ stellte die Frage, ob Griechenland Auslöser oder Phänomen der Euro-Krise sei. „Griechenland ist ein sehr gutes Beispiel für die Probleme, die es in Europa gibt. 2010, zur Euro-Krise, hat sich gezeigt, was im Konstrukt Europäische Union falsch läuft“, sagte er. Derzeit fühlten sich die Griechen von Europa und dem Euro dominiert.

Während der „Grexit“ die Berichterstattung und die Treffen der EU-Politiker präge, werde Italien bei Gipfeln und Zirkeln häufig übergangen – das kritisiert zumindest die Journalistin Tonia Mastrobuoni von der italienischen Tageszeitung „La Stampa“: „Vor allem bei der Migrationspolitik wird Italien nicht angehört. Das ist unbegreiflich.“ Wenn Italien sich, wie bei der Flüchtlingspolitik, von Europa allein gelassen fühlt, stärke das Populismen in der Bevölkerung, befürchtet sie: „So werden Silvio Berlusconi und die rechtskonservative Lega Nord beflügelt.“ Die Euro-Krise ist für Mastrobuoni hausgemacht: „Es war ein Irrglaube der Gründerväter anzunehmen, eine politische Union würde automatisch zu einer wirtschaftlichen Union werden.“

Frankreich als Juniorpartner Deutschlands?

Wie verhält es sich denn mit Europas Allianzen? Angesprochen auf das deutsch-französische Verhältnis sagte Pascal Thibaut vom Radiosender „Radio France International“: „In Frankreich fragten sich die Leute, ob Frankreich nur der Juniorpartner von Deutschland ist, damit Deutschland nicht den Eindruck einer Großmacht erweckt.“ Das sei das Dilemma der deutsch-französischen Partnerschaft, so der Journalist: „Wenn sie funktioniert, ist sie erdrückend, wenn sie nicht funktioniert, wird eben das kritisiert.“ Insgesamt werde Europa in Frankreich mit eher negativen Themen wie Arbeitslosigkeit und Schulden verbunden.

Europa als ein Produkt von Krisen? Ja, findet Pascal Thibaut. Das könne man aber auch positiv sehen. Viele Diskussionen und Reformen, wie die des Bankensystems, seien erst durch die Krise angestoßen worden. Und der Franzose benennt einen aus seiner Sicht weiteren Fortschritt: „Heute gibt es so etwas wie eine europäische Öffentlichkeit. Das heißt, dass wir mittlerweile die Probleme unserer Nachbarn kennen.“

Weitere Informationen

Die Reihe „Berliner Europa-Dialog“ wird organisiert vom Europäischen Informationszentrum Berlin, dem Dokumentationszentrum Vereinte Nationen – Europäische Union der Freien Universität Berlin und der Kolleg-Forschergruppe „The Transformative Power of Europe“ am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin sowie der Europa-Union Berlin. Die nächste Veranstaltung wird voraussichtlich im Herbst stattfinden.