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Deutschland und Israel – „rituelle Distanz“

Am 12. November erhält Dan Diner die Ehrendoktorwürde der Freien Universität / campus.leben im Gespräch mit dem Professor für Moderne Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem

10.11.2015

Dan Diner ist Historiker an der Hebräischen Universität Jerusalem und ehemaliger Leiter des Simon-Dubnow-Instituts für Jüdische Geschichte und Kultur in Leipzig.

Dan Diner ist Historiker an der Hebräischen Universität Jerusalem und ehemaliger Leiter des Simon-Dubnow-Instituts für Jüdische Geschichte und Kultur in Leipzig.
Bildquelle: Frank May / dpa-Report

Mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Dan Diner würdigt der Fachbereich für Philosophie und Geisteswissenschaften einen Wissenschaftler, der mit seinen Studien zur Bedeutung der jüdischen Lebenswelten für eine integrierte europäische Geschichte eine grundlegende Neuorientierung in den Geisteswissenschaften angestoßen hat. Nina Diezemann sprach im Vorfeld mit dem Historiker, der von 1999 bis 2014 Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für Jüdische Geschichte und Kultur in Leipzig war.

Herr Professor Diner, Sie haben im Laufe Ihrer akademischen Karriere in Deutschland und Israel gelehrt und geforscht – wie hat sich das Forschungsfeld der deutsch-jüdischen Geschichte in beiden Ländern seit den 1980er Jahren verändert?

Die Veränderungen sind paradox. Während in Deutschland der Gegenstand der jüdischen Geschichte gerade nach dem Doppeljahr 1989/90 einen enormen Aufschwung erfahren hat, findet es sich in Israel eher in seiner Bedeutung reduziert. Dies ist als eine Folge durchaus sehr unterschiedlicher Prozesse zu verstehen. So hat das Ende des Kalten Krieges dazu geführt, dass in Europa so etwas wie die Wiederkehr historischer Räume zu verzeichnen war und damit verbunden – zumindest in den Gedächtnissen – auch die mit diesen Räumen verbundenen vergangenen Zeiten. Die jüdische Geschichte spielt hier eine herausragende Rolle deshalb, weil die Juden früher ihrer diasporischen Lebensweise wegen die wohl europäischste aller europäischen Bevölkerungen waren. Hier sehe ich jedenfalls eine Quelle des Interesses.

In Israel hingegen streben die jungen israelischen Akademiker eher nach „außen“. Sie interessieren sich für die Welt, was vielleicht auch als Reaktion auf die empfundene Enge im Lande selbst verstanden werden kann.

Welche Rolle spielen inzwischen europäische oder globalgeschichtliche Perspektiven?

Europa wird in Israel eher mit Skepsis betrachtet. Europa ist ursprünglich als ein den Nationalismus neutralisierendes Projekt konzipiert worden. Dass dies in Zukunft so gewahrt bleiben kann, daran wollen viele Israelis nicht so recht glauben. Sie befürchten eher eine Wiederkehr der alten nationalistischen Geister und Gespenster der Vergangenheit. Umso mehr sind sie Freunde der Globalisierung, weil sich viele jüngere Israelis aus den verschiedensten Gründen – und nicht zuletzt auch deswegen, weil Israel eine weltweit respektierte Hightech-Macht ist – für Ostasien und Indien interessieren und dort die Zukunft aufgehen sehen.

Wo sehen Sie Unterschiede zwischen Universitäten in Deutschland und Israel? Wie ist es, an der Universität Leipzig etwa mit Studierenden zu diskutieren im Unterschied zu einem Seminar an der Hebräischen Universität in Jerusalem?

In aller Kürze würde ich sagen, dass in Israel die Besten besser als in Deutschland sind, während das breite Mittelfeld der Studierenden in Deutschland besser als in Israel ist. Dies ist wohl Ergebnis des Bildungswesens. Es ist in seiner Breite in Deutschland besser aufgestellt. Die besseren Besten in Israel haben ihre Leistungen wahrscheinlich dem intellektuellen und akademischen Humus ihrer Elternhäuser zu verdanken und stellen mithin eine Ausnahme dar.

In diesem Jahr erinnern zahlreiche Veranstaltungen an „50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel“. Sie selbst haben mit „Ritualisierte Distanz“ ein Buch zu einem Kapitel der Beziehungen zwischen beiden Länder vorlegt. Wie haben Sie das Gedenkjahr erlebt?

Ich bin diesen Dingen eher abgewandt, allenfalls professionell gefordert. Das Buch selbst ist Teil einer größeren Studie die sich mit der Verwandlung der Juden in der Moderne befasst.

In Ihrem Festvortrag anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde werden Sie sich mit zwei französischen Philosophen beschäftigen, Pierre Nora und Jacques Derrida. Worum wird es gehen?

Das verrate ich ungern. Aber im Großen und Ganzen lässt sich vorab sagen, dass es um den Zusammenhang von biografischer Erfahrung und epistemologischen Entscheidungen geht – wenn ich mich so ausdrücken darf. Dabei wird die algerische Erfahrung, die beide – Nora und Derrida – jeder für sich unterschiedlich gemacht haben, das historische Material abgeben.

Weitere Informationen

Festvortrags „Algerische Ouvertüren – Pierre Nora und Jacques Derrida im Widerstreit“

Zeit und Ort

  • Donnerstag, 12. November, 18 Uhr c. t.
  • Freie Universität Berlin, Henry-Ford-Bau, Hörsaal A, Garystraße 35, 14195 Berlin (U-Bhf. Thielplatz, U 3)

Die Laudatio hält Staatsminister a. D. Dr. Knut Nevermann. Um Anmeldung per E-Mail an admin@dhc.fu-berlin.de  wird gebeten.