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„Wir haben noch immer einen eurozentrischen Blick“

Die Ausstellung „Lives from a Global Conflict. Cultural Entanglements during the First World War“ im Foyer der Universitätsbibliothek zeigt wenig bekannte Seiten des Ersten Weltkriegs

29.09.2016

Die Ausstellung „Lives from a Global Conflict. Cultural Entanglements during the First World War“ ist im Foyer der Universitätsbibliothek zu sehen.

Die Ausstellung „Lives from a Global Conflict. Cultural Entanglements during the First World War“ ist im Foyer der Universitätsbibliothek zu sehen.
Bildquelle: Jonas Huggins

Heike Liebau, promovierte Südasienwissenschaftlerin am Zentrum Moderner Orient, arbeitet an dem internationalen und interdisziplinären Forschungsprojekt „Cultural Exchange in a time of Global Conflict“.

Heike Liebau, promovierte Südasienwissenschaftlerin am Zentrum Moderner Orient, arbeitet an dem internationalen und interdisziplinären Forschungsprojekt „Cultural Exchange in a time of Global Conflict“.
Bildquelle: Jonas Huggins

Über den Ersten Weltkrieg ist vor allem bekannt, was sich in Europa abgespielt hat. Dabei war der Krieg von 1914 bis 1918 tatsächlich global. Eine Ausstellung im Foyer der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin zeigt die Lebenswege von 16 Menschen unter anderem aus Asien, Afrika und Ozeanien. Sie waren Soldaten, Krankenschwestern, Kriegsgefangene, Diplomaten, Dichter und Künstler und haben den Krieg an verschiedenen Orten erlebt. Ihre Biografien zeugen von Gewalt, Umsturz und erstaunlichen Begegnungen.

Mir Mast und Mir Dast, Paschtunen aus dem heutigen Pakistan, schlugen verschiedene Wege ein. Wie fast eine Million anderer Männer wurden die beiden Brüder aus der Kolonie Britisch-Indien zum Kriegsdienst eingezogen. Einer der beiden jedoch wechselte die Seiten: Während Mir Dast für seinen heldenhaften Einsatz an der Front in Frankreich mit dem höchsten britischen Militärorden, dem Viktoriakreuz, ausgezeichnet wurde, war sein Bruder Mir Mast zur deutschen Seite übergelaufen: Er bekam Gerüchten zufolge das Eiserne Kreuz, floh in seine Heimat und arbeitete dort an einem Aufstand gegen die britische Kolonialmacht.

Zwei Brüder an verschiedenen Fronten

Mir Mast starb bald nach dem Krieg an der Spanischen Grippe. Mir Dast überlebte bis zum Zweiten Weltkrieg – doch die Zeit von 1914 bis 1918 hatte ihre Spuren hinterlassen: Mir Dast war Opfer einer der ersten Giftgasangriffe geworden. „Das Viktoriakreuz ist eine feine Sache, aber das Gas gibt mir keine Ruhe“, wird Mir Dast in der Ausstellung zitiert. Mir Masts und Mir Dasts Geschichte ist eine von 16 Biografien, die die Ausstellung erzählt.

„Wir wünschen uns, dass die Schau zum Nachdenken darüber anregt, welche Auswirkungen Kriege und imperiales Machtstreben auf individuelle Biografien haben“, sagte Heike Liebau, promovierte Südasienwissenschaftlerin am Zentrum Moderner Orient, bei der Eröffnung der Schau. Sie arbeitet an einem Forschungsprojekt mit dem Titel „Cultural Exchange in a time of Global Conflict“, bei dem sowohl Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Geschichte und Literaturwissenschaft in London, Berlin, Utrecht und Poznań die Geschichte des Ersten Weltkriegs aus Sicht von Kolonialstaaten und neutralen Staaten beleuchten. Das Forschungsprojekt wird im Rahmen des geisteswissenschaftlichen Förderprogramms HERA der Europäischen Kommission gefördert. Aus diesem Projekt heraus ist die Ausstellung entstanden.

Larissa Schmid arbeitet ebenfalls an dem Forschungsprojekt und promoviert an der Freien Universität am Fachbereich Geschichts-und Kulturwissenschaften. In ihrer Doktorarbeit beschäftigt sich die Doktorandin mit dem sogenannten Halbmondlager südlich von Berlin, in dem mehrheitlich muslimische Kriegsgefangene untergebracht waren. Das Deutsche Reich versuchte dort, die Gefangenen zum Seitenwechsel zu überreden. Larissa Schmid interessiert sich für die vielfältigen Begegnungen, die in dem Lager stattfanden und untersucht es als einen Ort akademischer und propagandistischer Wissensproduktion.

Das Deutsche Reich rief zum Dschihad auf

Eine wichtige Rolle für ihre Dissertation spielt Scheich Salih Sharif Al-Tunisi, dessen Geschichte die Ausstellung ebenfalls dokumentiert. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges hatte der tunesische Religionsgelehrte seine Arbeit bei der „Nachrichtenstelle für den Orient“ aufgenommen, einer Propagandaeinrichtung, die dem Auswärtigen Amt des Deutschen Reiches unterstand. Deren Aufgabe: Muslime in den Kolonien Frankreichs, Russlands und Großbritanniens zur Rebellion anzustacheln – wie es bei Mir Mast gegen Ende des Krieges gelungen war. Al-Tunisi schrieb arabischsprachige Flugblätter und hielt Vorträge im Halbmondlager, um zum Dschihad gegen die Kolonialmächte aufzurufen. Später forderte er als Sprecher des algerisch-tunesischen Unabhängigkeitskomitees die Selbstbestimmung aller muslimischen Nationen.

„Wir haben noch immer einen eurozentrischen Blick auf den Ersten Weltkrieg“, sagt Larissa Schmid. „In unserer Erinnerung dominieren das Bild des weißen Soldaten und die Geschehnisse an der Westfront.“ Darum sei es wichtig, dass auch die außereuropäischen Schauplätze und Akteure in den Blickpunkt gerieten.

Weitere Informationen

Noch bis zum 4. November wird die Ausstellung in der Universitätsbibliothek zu sehen sein. Neben großen Postern, auf denen die Biografien anschaulich nachgezeichnet werden, finden sich in der Ausstellung zudem Bücher und Schriften, die die Ereignisse dokumentieren und in den Kontext setzen, darunter Kriegsberichte und wichtige Beiträge der Forschung zum Ersten Weltkrieg aus globaler Perspektive.

Zeit und Ort

  • Bis 4. November 2016
  • Foyer der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, Garystraße 35, 14195 Berlin. U-Bhf Thielplatz (U3)

Kontakt

Links

Einladung

Zentrum Moderner Orient:

• Projektwebsite: "Cultural Echange in a time of Global Conflict"