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Fluch und Segen der sozialen Medien

Im Rahmen der „Joint Speaker Series“ der Freien Universität und der Indiana University diskutierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beider Einrichtungen über Auswirkungen sozialer Medien auf den Journalismus und die öffentliche Kommunikation

07.03.2018

Es diskutierten (v.l.n.r.) Alexander Görke, Elaine Monaghan, Moderatorin Anne Haeming, Margreth Lünenborg und Jim Shanahan.

Es diskutierten (v.l.n.r.) Alexander Görke, Elaine Monaghan, Moderatorin Anne Haeming, Margreth Lünenborg und Jim Shanahan.
Bildquelle: Sören Maahs

Auch der Papst twittert. Am Tag vor der Podiumsdiskussion im Indiana University Europe Gateway in Kreuzberg hatte Franziskus seine 40 Millionen Follower eingeladen, einen „Journalismus für den Frieden“ voranzutreiben. Dass soziale Medien heute fester Bestandteil sogar der päpstlichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sind, darf durchaus als Indiz für einen grundlegenden Kommunikationswandel gewertet werden: Facebook, Twitter, Youtube, WhatsApp, Instagram oder Snapchat haben sowohl die Mediennutzung als auch den Journalismus verändert. Ob zum Guten oder Schlechten, ist nicht ganz leicht festzustellen.

Auf dem Podium an diesem Abend wurde diese Frage in sauber verteilten Rollen diskutiert: Elaine Monaghan, Reporterin und Professorin der Indiana University Media School, vertrat einen selbstbewussten Fortschrittsoptimismus, während Alexander Görke, Professor für Medien und Kommunikation an der Freien Universität, eine tendenziell skeptischere Position einnahm. Im Feld dazwischen fanden sich Margreth Lünenborg, Professorin an der Arbeitsstelle Journalistik der Freien Universität, und Jim Shanahan, Dekan der Indiana University Media School.

Demokratisierungspotenzial in totalitären Regimen

Für Elaine Monaghan haben soziale Medien eine doppelte Funktion: Sie dienen einerseits der traditionellen massenmedialen Kommunikation und andererseits dem zwischenmenschlichen Austausch. Es sei diese Kontextvermischung, die das Feld der sozialen Medien für sie so neu und interessant mache: „Journalistische und nicht-journalistische Internetnutzer nehmen sich gegenseitig wahr und nutzen einander als Quellen.“ Folglich wandele sich auch die Beziehung zwischen Journalisten und Nutzern. Mediennutzerinnen und -nutzer würden als Rezipienten sichtbarer und produzierten bisweilen auch journalistische Beiträge. Die Grenzverwischung zwischen professioneller und nicht-professioneller Publikation im Internet empfindet Elaine Monaghan aber nicht als Bedrohung, sondern als Demokratisierungs- und Partizipationspotenzial, besonders in totalitären Regimen.

Auf die Frage, wie die neue Medienumgebung den Journalismus verändere, zitierte Margreth Lünenborg den australischen Journalismusforscher John Hartley. Dessen Begriffsbestimmung von Journalismus als der sinnstiftenden Praxis der Moderne und Instanz der massenhaften Verbreitung von modernen Vorstellungen von Gesellschaft, Politik und Konsum möge im 20. Jahrhundert gültig gewesen sein, sagte Lünenborg. Im 21. Jahrhundert stimme sie nicht mehr: Journalismus habe seine Rolle als exklusiver, solitärer Relevanzproduzent eingebüßt. Daneben seien andere Akteure auf der Bildfläche erschienen, die die vom herkömmlichen Gatekeeper-Journalismus unzureichend artikulierten Themen adressieren. Die #MeToo-Bewegung zum Beispiel, die ohne soziale Medien nicht existieren würde, mache einen solchen blinden Flecken sichtbar und trete mit dem Berufsjournalismus in interessante Wechselwirkungen, erläuterte die Wissenschaftlerin.

Alexander Görke und Elaine Monaghan.

Alexander Görke und Elaine Monaghan.
Bildquelle: Sören Maahs

Emotionaler Katalysator oder herrschaftsfreier Dialog?

Alexander Görke zufolge haben soziale Medien auch soziale Probleme: nämlich das Bedienen von und Spielen mit Emotionen. „Wir bewegen uns gegenwärtig von der traditionell eher rational argumentierenden Öffentlichkeit hin zu einer von Gefühlsausbrüchen beherrschten Öffentlichkeit.“ Donald Trump sei ein Meister der politischen Ausbeutung von Gemütsbewegungen – und soziale Medien, die ihre Nutzer vor allem bei ihren Ängsten und Reizbarkeiten packen, spielten ihm in die Hände. Soziale Medien liefen mithin Gefahr, zum affektgesteuerten Katalysator für Fake News zu werden, sagt Görke: „Wenn wir die Errungenschaften der Aufklärung vergessen, besteht die Möglichkeit, unsere demokratische Öffentlichkeit zu ruinieren.“ Hinzu komme, dass Kommunikation nicht mehr in einer von allen geteilten Öffentlichkeit stattfinde, sondern innerhalb von abgeschotteten Online-Diskursräumen, den „Blasen“ oder Filter Bubbles, was eine Spaltung in „wir“ gegen „die“ nach sich zöge.

Margreth Lünenborg kritisierte die Auffassung, wonach Journalismus vornehmlich unter dem Aspekt der gefühlsneutralen Datenübertragung zu operieren hätte. Ein Titelfoto beispielsweise, das die emotiven Dimensionen der Aussage zugunsten rationaler Argumente oder purer Informationen vernachlässige, sei schlichtweg kein gutes Titelfoto. „Man macht es sich zu einfach, wenn man sagt: ‚Gefühle sind schlecht, Argumente sind gut‘.“ Stattdessen hob die Wissenschaftlerin im Sinne einer Untrennbarkeit die Wechselbeziehungen von Kognition und Emotion hervor, die in jeder Kommunikationsform präsent seien. Elaine Monaghan pflichtete ihr bei: Guter Journalismus rufe in konstruktiver Weise Gefühle hervor, die zum ethischen Handeln anregten.

Margreth Lünenborg und Jim Shanahan.

Margreth Lünenborg und Jim Shanahan.
Bildquelle: Sören Maahs

Homogenisierung der Weltwahrnehmung

Jim Shanahan ist sich sicher, dass soziale Medien nicht die einzige Ursache für die politische Polarisierung sind: „Nie waren die USA so polarisiert wie zur Zeit des Bürgerkriegs." Und das ganz ohne soziale Medien. Und während heute mit Bangen verfolgt werde, wie Donald Trump effektiv über Twitter regiere, schwärmte man noch 2008, bei der Wahl Barack Obamas, von der neuen, online organisierten Graswurzelbewegung. „In Wahrheit war Obama, nicht Donald Trump, der erste Social-Media-Präsident“, sagte Jim Shanahan. Aber letztlich sei jeder Präsident erfolgreich im Umgang mit den Medien seiner Zeit gewesen: „Sonst wäre er nicht Präsident geworden.“

Elaine Monaghan merkte an, dass trotz aller Beschwörung der Filter Bubble, die eine Homogenisierung der Weltwahrnehmung nach sich ziehe, man im Internet immer wieder Äußerungen begegne, von denen man sonst nie erfahren hätte. „Dazu gehören leider auch Aussagen, die besser niemals aufgeschrieben worden wären“, sagte Monaghan. Im Guten wie im Schlechten bahnten sich im Web Interaktionen zwischen Personenkreisen an, die nicht von vorherein die gleichen Überzeugungen teilen und deren Ansichten und Haltungen das eigene Verständnis vom Anderen hinterfragen oder erweitern können.

Alexander Görke teilte diese Meinung nicht. Er sieht in der Entstehung homogener digitaler Räume, zu denen abweichende Blickwinkel nicht durchdringen könnten, eine große Gefahr für die öffentliche Meinungsbildung: „Soziale Medien bieten keine Überraschungen, weil sie nicht dafür vorgesehen sind, öffentlichen Diskursen zu mehr Vielfalt zu verhelfen.“ Facebook bediene nur die Wünsche und Vorlieben seiner Nutzer, um im Tunnel der Selbstbestätigung die Verweildauer und damit Werbeeinnahmen zu erhöhen.

Bei allen Unterschieden herrschte bei den vier Diskutanten Einverständnis darüber, dass sich der Journalismus auch im Zeitalter der sozialen Medien nicht von Schlagzeilen und Clickbaits – reißerischen Draufklickködern – leiten lassen und nicht nur solche Positionen vermelden dürfe, die ins eigene Konzept passten. Gegen Fake News und tendenziösen Boulevardjournalismus müssten Journalisten saubere Recherche setzen.