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Für ein faires Internet

Drei Fragen an die feministische Initiative „Stimmrecht gegen Unrecht“ zu ihrer Kampagne gegen digitale Gewalt gegen FLINT*

17.12.2020

Eine Illustrationsstudentin hat die Plakate für die Kampagne von „Stimmrecht gegen Unrecht“  entworfen.

Eine Illustrationsstudentin hat die Plakate für die Kampagne von „Stimmrecht gegen Unrecht“ entworfen.
Bildquelle: Stimmrecht gegen Unrecht

Doxing, Sexting, Hatespeech, Cybergrooming – die Wortschöpfungen für digitale Formen von Gewalt sind so jung wie ihre Plattform, das Internet. Sie bezeichnen Aggressionen, die sich vor allem gegen Frauen sowie homo-, inter- und transsexuelle sowie nonbinäre Personen richten und Gewalt aus dem analogen Raum fortführen. Gegen digitale Gewalt engagiert sich das aktivistische Kollektiv „Stimmrecht gegen Unrecht“. Die hochschulübergreifende Gruppe besteht aus Studierenden der Freien Universität, der Humboldt-Universität und der Universität der Künste. Vivienne Schreiber und Carla Zavard erläutern im campus.leben-Interview, wofür sie sich einsetzen.

Vivienne Schreiber, Carla Zavard, worum geht es „Stimmrecht gegen Unrecht“?

Carla Zavard: Es geht um Feminismus und politischen Aktivismus für Einsteigerinnen und Einsteiger! Wir möchten in dem Kontext einen möglichst niedrigschwelligen Zugang für Studierende und auch alle anderen bieten und dabei FLINT*-Personen – Frauen*, Lesben, inter, non-binary und trans* Personen – unterstützen. Wir wollen uns als Gruppe vernetzen und hochschulpolitisch aktiv sein. Aktuell setzen wir uns vor allem gegen digitale Gewalt im Internet gegen FLINT* ein.

Vivienne Schreiber: Dabei verbinden wir Online- und Offline-Aktivismus. Ziel ist es, über digitale Gewalt zu informieren und Betroffenen eine laute Stimme zu geben. Im Netz läuft unter unserem Hashtag #toxicmalenet unsere Social-Media-Initiative, analog gibt es eine entsprechende Plakat- und Sticker-Kampagne. So wollen wir auf Unrecht aufmerksam machen und Menschen für unsere Anliegen politisieren.

Welche Formen hat digitale Gewalt, und wie wollen Sie dagegen vorgehen?

Vivienne Schreiber: Unsere Generation ist mit dem Internet aufgewachsen. Wir haben uns den virtuellen Raum angeeignet und nutzen ihn tagtäglich, aber was vielen fehlt, ist ein Bewusstsein für die Gefahren. Was es in der Gesellschaft immer schon gab, Gewalt gegen vermeintlich Schwächere oder marginalisierte Gruppen, findet längst auch im Digitalen statt und zieht dort weite Kreise. Auch diese Taten sind meist geschlechtsspezifisch, das heißt, sie gehen häufig von Männern aus und richten sich gegen FLINT*, deshalb haben wir uns für #toxicmalenet entschieden. 

Erst kürzlich hat zum Beispiel eine Journalistin aufgedeckt, dass in den Damentoiletten auf einem deutschen Festival heimlich gefilmt und die Aufnahmen auf Pornowebseiten gestellt wurden. Im Internet bleiben viele Täter anonym, dadurch sinkt die Hemmschwelle. Gleichzeitig wachsen Verunsicherung und ein Gefühl von Ohnmacht bei den Betroffenen. Und dieses bleibt längst nicht am Bildschirm kleben. 

Carla Zavard: Ungewollte Filmaufnahmen, Cybermobbing oder Hassnachrichten haben reale Konsequenzen! Nicht nur psychisch, sondern auch zum Beispiel finanziell. Wenn Nacktaufnahmen im Internet kursieren, kann das etwa dazu führen, dass der oder die Betroffene den Job verliert oder zum Umzug gezwungen wird.

Doxing, zusammengesetzt aus document und tracing, ist das Zusammentragen und Veröffentlichen persönlicher Daten des Opfers, was häufig als Druckmittel eingesetzt wird. Diese Dimension der Gewalt gab es vor der Digitalisierung nicht. Unter Cybergrooming – gezielt Vertrauen erschleichen von meist Minderjährigen, oft mithilfe von falschen Profilen und mit der Absicht sexueller Belästigung – können sich viele nichts vorstellen, obwohl viele vielleicht sogar selbst schon betroffen waren. Das wollen wir ändern und über die Gewaltformen, deren Folgen und über Möglichkeiten der Prävention informieren.

Was wünschen Sie sich für die Universitäten?

Vivienne Schreiber: Wir wollen unter anderem eine (hochschul-)politische Debatte anstoßen: Wie kann ein gewaltfreies Internet aussehen, und welche Rahmenbedingungen braucht es? Darüber sollten wir interdisziplinär nachdenken. Unsere Gruppenmitglieder studieren unterschiedliche Fächer und bringen ganz verschiedene Perspektiven ein. Wir alle kommen aus verschiedenen Fachrichtungen und freuen uns über neue Mitmachende, gerne auch nicht nur Studierende. 

Gemeinsam mit den Universitäten sollten wir versuchen, die Gesellschaft über die Thematik aufzuklären, beispielsweise über die sozialen Medien. In Lehrveranstaltungen für Erstsemesterstudierende sollte fächerübergreifend Medienkompetenz im Hinblick auf digitale Gewalt vermittelt werden. Ebenso in der Lehramtsausbildung, damit die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer es wiederum im Unterricht weitergeben können. Was passiert mit unseren Daten im Internet? Welche Rechte habe ich bei Datenmissbrauch? Dazu könnten die Universitäten auch Workshops für Studierende anbieten.

Carla Zavard: Professionelle Beratungsstellen sind absolut zentral und oft die einzige Unterstützung für Betroffene, deren Sorgen von Polizei und Justiz häufig verharmlost werden. Deshalb sollten auch an den Universitäten etwa die Mitarbeitenden der Psychologischen Beratungsstellen besonders geschult und die Beratungsstellen personell möglichst noch verstärkt werden. Bisher gibt es außerdem wenige wissenschaftliche Publikationen zu digitaler Gewalt an FLINT*, In Zukunft wird die Thematik hoffentlich stärker erforscht.

Die Fragen stellte Jennifer Gaschler