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Sie oder Du, Sir or Mate?

Wissenschaftler erörtern die unterschiedlichen Formen der Anrede in verschiedenen Ländern /Tagung am 30. Mai und 1. Juni an der Freien Universität

28.05.2013

Wie spricht man wen in einer bestimmten Situation und in einem bestimmten Land an?

Wie spricht man wen in einer bestimmten Situation und in einem bestimmten Land an?
Bildquelle: Freie Universität Berlin

Mit „you“ macht man nichts falsch – oder doch? So einfach ist es selbst im Englischen nicht: In der heutigen Weltsprache gibt es ein komplexes System von Anredeformen. Wie das funktioniert, und wie andere Sprachen die Abstufungen zwischen Höflichkeit und Vertrautheit umsetzen, diskutieren Forscher auf einer internationalen Tagung, die vom 30. Mai bis 1. Juni 2013 an der Freien Universität stattfindet. Studierende, Wissenschaftler und Interessierte können die öffentliche Veranstaltung, die in englischer Sprache stattfindet, kostenfrei besuchen.

„Auch das Englische hatte einst eine Abstufung von Höflichkeitsformen wie ‚thou‘ (du) und ‚you‘ (Sie). Die vertraute Form ging jedoch kurz nach Shakespeares Epoche verloren. So wurde die Anrede mit Pronomen zwar vereinfacht – aber die Anrede mit Nomen differenzierte sich aus“, erläutert Horst Simon vom Institut für Deutsche und Niederländische Philologie.

Der Professor für Historische Sprachwissenschaft nennt „Sir“, „Mate“ oder „Love“ als Beispiele dafür, welche Rolle im heutigen England Status und Gesprächssituation spielen. So werde man tagsüber in einem Bekleidungsgeschäft mit „Sir“ angesprochen  – abends im Pub aber selbstverständlich mit „Mate“.

„Trend zur Lockerung der Anrede“

Ob es auch im Deutschen eines Tages nur noch eine Form der pronominalen Anrede geben könnte, gehört zu den  Forschungsfragen der Tagung. In Europa sei eine immer stärkere Verbreitung der familiären Form zu beobachten; so sei im benachbarten Dänemark die Höflichkeitsform mittlerweile fast völlig verschwunden.

Dass die Duz-Form auch irritieren kann, belegen Vorträge zu folgenden Phänomenen: Finnische Kunden der Filiale einer amerikanischen Café-Kette in Helsinki reagieren verunsichert und zuweilen gereizt, wenn sie mit ihrem Vornamen aufgerufen werden. Deutsche Verkäufer in Ikea-Filialen siezen die Kundschaft, auch wenn die Ikea-interne Kommunikation in der „Du“-Form geführt wird – sie empfinden das Duzen im Gespräch mit Kunden als unpassend. Schon die Wahl zwischen nur zwei Anredeformen birgt also Komplikationen.

Kaum vorstellbar, dass es im Deutschen im 18. Jahrhundert sogar fünf Abstufungen von Höflichkeits- und Vertraulichkeitsformen gab. „Noch heute finden sich in einigen Sprachen – zum Beispiel in Indien und Südostasien – drei bis fünf verschiedene Anredepronomen, anhand derer die Sozialbeziehung demonstriert wird“, betont Horst Simon.

Tagung selbst als Forschungsfeld

Noch ungewohnter für deutsche Ohren ist eine Eigenschaft der japanischen Sprache: Selbst unpersönliche und allgemeine Aussagen – wie „es regnet heute“– werden dem Status des Gesprächspartners entsprechend formuliert. Einige Wissenschaftler halten es für unmöglich, derartige sprachliche  Eigenheiten in eine andere Sprache zu übertragen.

Wie sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler während der Tagung untereinander ansprechen, könnte zu einem eigenen interessanten Forschungsfeld werden. „Wir können die Unterschiede zwischen den Anredeformen direkt beobachten“, sagt Simon. „Ich bin zum Beispiel gespannt, ob und wie die spanischsprachigen Kollegen nach den englischen Diskussionen und Vorträgen, bei denen sie sich mit Vornamen ansprechen, in ihre landesüblichen Konventionen zurückkehren.“

Weitere Informationen

Tagung „Adress(ing) (Pro)Nouns – Sociolinguistics and Grammar of Terms of Address

Zeit und Ort

  • Donnerstag, 30. Mai, bis Sonnabend, 1. Juni 2013, Beginn 9.15 Uhr (30. Mai) bzw. 9.30 Uhr (31. Mai und 1. Juni)
  • Seminarzentrum der Freien Universität Berlin, Otto-von-Simson-Straße 26, 14195 Berlin, U-Bahnhof Dahlem-Dorf oder Thielplatz (U3), Bus M11, 110

Das vollständige Programm ist online verfügbar. Die Veranstaltung ist öffentlich, der Eintritt ist frei.