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Wegbereitend in der Wissenschaft, mutig im Widerstand

Einblicke in Leben und Wirken der Berliner Pflanzengenetikerin Elisabeth Schiemann

01.12.2014

Elisabeth Schiemann bei der Arbeit auf Versuchsflächen des Instituts für Vererbungsforschung um 1925.

Elisabeth Schiemann bei der Arbeit auf Versuchsflächen des Instituts für Vererbungsforschung um 1925.
Bildquelle: Archiv der Angewandten Genetik, Freie Universität Berlin

Die Berliner Pflanzengenetikerin Elisabeth Schiemann (1881–1972) ist außerhalb von Fachkreisen kaum bekannt. Dies soll sich ändern: Biologen, Historiker, Widerstands- und Frauenforscherinnen sowie Zeitzeugen haben in einem Sammelband ihr Wissen zusammengetragen und würdigen damit die vielfältigen Facetten des Lebens und Wirkens einer außergewöhnlichen Frau.

Elisabeth Schiemann war eine der ersten Studentinnen und Professorinnen in Deutschland. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt sich die neue Disziplin „Genetik“ rasch. Hier kann Schiemann auf dem Gebiet der Pflanzengenetik wissenschaftlich Fuß fassen. Mit ihren Arbeiten zur Geschichte der Kulturpflanzen gilt sie als Wegbereiterin der Archäobotanik, die die Agrar- und Siedlungsgeschichte mit Hilfe archäologischer Pflanzenfunde rekonstruiert.

Trotzdem ist Schiemanns Name im Vergleich etwa zu dem ihrer engen Freundin Lise Meitner in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Es ist Reiner Nürnberg, dem Sohn einer ehemaligen Mitarbeiterin Elisabeth Schiemanns, zu verdanken, dass ihr Leben und Werk jetzt in einem zusammenfassenden Forschungsband dokumentiert und gewürdigt werden.

Sammelband zur Würdigung

Die Stiftung Topographie des Terrors und der Botanische Garten und das Botanische Museum Berlin-Dahlem der Freien Universität (BGBM) luden kürzlich gemeinsam mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz zur Präsentation des Sammelbandes nach Dahlem ein.

Elisabeth Schiemann war unter schwierigen Umständen in der Zeit von 1931 bis 1943 als Gastforscherin am BGBM tätig gewesen – ein Grund, warum der Einrichtung heute besonders an der Würdigung der Wissenschaftlerin gelegen ist.

Schiemann ist Teil der Institutionengeschichte, die am Botanischen Garten und Botanischen Museum künftig stärker in den Blick genommen werden soll. Geplant sind weitere Einblicke zur Rolle von herausragenden Frauen in den botanischen Wissenschaften, die etwa durch eine Reihe von Führungen vermittelt werden sollen.

Am Botanischen Museum verbrachte Schiemann, wie ihr Schüler Anton Lang schreibt, trotz der unsicheren und prekären Beschäftigungssituation die produktivste Phase ihres wissenschaftlichen Lebens. Hier konnte sie frei, selbstbestimmt und unabhängig ihre Arbeiten in die eigene Richtung entwickeln.

Verbindung von genetischen und archäobotanischen Studien

So schreibt die mit Schiemann befreundete niederländische Kollegin und Pflanzengenetikerin Tine Tammes (1871-1947) in ihrem Brief vom 29.9.1932 an Schiemann: "Sie haben Arbeit und sogar Arbeit in Ihrer eigenen Richtung und sind grossenteils unabhängig, das ist von höchstem Wert."

Durch die Verbindung ihrer genetischen und archäobotanischen Studien mit den konventionellen Methoden der Morphologie, Systematik und Pflanzengeographie eröffnete sie ein neues Stadium der Geschichte der Kulturpflanzen.

In dieser Zeit bezog die Wissenschaftlerin auch als Mitglied der Bekennenden Kirche äußerst kritisch Stellung zur Rassenlehre der Nationalsozialisten. Ihr ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit und ihre moralische Integrität bewogen sie dazu, öffentlich gegen die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung zu protestieren und Verfolgte vor der Deportation zu schützen.

Ihr politisches Bekenntnis und Engagement bezahlte Schiemann 1940 mit dem Entzug ihrer Lehrbefugnis. 1946 wurde sie rehabilitiert und erhielt als 65-Jährige eine Professur mit vollem Lehrauftrag für Genetik und Geschichte der Kulturpflanzen an der Universität Berlin. 1953 wurde sie als erste Frau Wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft.

„Elisabeth Schiemann 1881–1972: Vom AufBruch der Genetik und der Frauen in den UmBrüchen des 20. Jahrhunderts“. Herausgegeben von Reiner Nürnberg, Mathematiker, dem Wissenschaftshistoriker Ekkehard Höxtermann und Martina Voigt, Mitarbeiterin der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, erschienen 2014 in der Basilisken-Presse Rangsdorf.