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Ein notorischer Wiederholungstäter

Christian Hansen ist in diesem Semester August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessor für Poetik der Übersetzung

18.01.2017

Christian Hansen ist seit 1995 freier Übersetzer aus dem Spanischen und Französischen.

Christian Hansen ist seit 1995 freier Übersetzer aus dem Spanischen und Französischen.
Bildquelle: Marina Kosmalla

Ist Literatur wiederholbar? Christian Hansen stellte diese Frage in seiner Antrittsvorlesung als Gastprofessor. Und er stellt sie in seinem Seminar „Kunst der Übersetzung oder: Ist Literatur wiederholbar?“, das er im laufenden Wintersemester am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität anbietet. Der Übersetzer beschreibt sich selbst als notorischen Wiederholungstäter: „Ich wiederhole in meiner Sprache, was ein anderer vor mir schon einmal in seiner geschrieben hat.“

Brillanten Übersetzern wie Christian Hansen sei es zu verdanken, dass großartige Werke wie die von Roberto Bolaño nicht nur dem spanischsprachigen Publikum zugänglich sind, sagte Christina Conde de Beroldingen, Direktorin des Instituto Cervantes in Berlin. Das spanische Kulturinstitut bot den passenden Rahmen für die Antrittsvorlesung des Literaturübersetzers, dessen Schwerpunkt auf lateinamerikanischen Autoren wie Vizconde Lascano Tegui, Alan Pauls und Roberto Bolaño liegt.

Über Hansens Anfänge berichtete Thomas Brovot, Vorsitzender des Deutschen Übersetzerfonds, in seiner Laudatio. Er kennt Hansen schon seit 1996. Am Anfang sei die Leidenschaft gewesen: zunächst für die Werke Julio Cortázars. Im Rahmen seiner Magisterarbeit am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität hatte Christian Hansen einen Text des argentinischen Autors übersetzt. An der Studiobühne der Freien Universität, an der Hansen damals als Dramaturg tätig war, hatte ihn der Regisseur gebeten, ein Theaterstück von Cortázar neu zu übersetzen. „Ich war nicht dabei“, sagte Brovot, „aber in der Regel geht das so: Du kannst doch Spanisch…“

Croissant oder Hörnchen?

Thomas Brovot, der Christian Hansen seit 20 Jahren kennt, berichtete über dessen Anfänge.

Thomas Brovot, der Christian Hansen seit 20 Jahren kennt, berichtete über dessen Anfänge.
Bildquelle: Marina Kosmalla

Bei gemeinsamen Übersetzungsprojekten von Christian Hansen und Thomas Brovot vor etwa 15 Jahren seien die unterschiedlichen Herangehensweisen und Entscheidungen beim Literaturübersetzen immer wieder deutlich geworden. Bei der Arbeit an zwei Essaybänden des Spaniers Juan Goytisolo sei es noch recht einfach gewesen. Da hätten sie die Essays einfach aufgeteilt. Bei dem Krimi „Die Verbrechen des van Gogh“ des Argentiniers José Pablo Feinmann sei es dagegen schon anders gelaufen. „Nach Aufteilung der Kapitel, immer abwechselnd und mit gegenseitigem Lektorat, saßen wir uns eine Woche lang mit Laptops bewaffnet gegenüber und haben um Formulierungen gerungen“, erinnerte sich Brovot. Croissant oder Hörnchen? Um solche Übertragungsentscheidungen sei es gegangen, das Original habe da schon kaum noch eine Rolle gespielt. „So blieb uns nichts anderes übrig, als die Verantwortung nicht nach Kapiteln, sondern nach Romanfiguren aufzuteilen – weshalb in dem Buch Inspektor Colombres Croissants isst und seine Freundin Nelly Hörnchen. Unerheblich, dass wir beide damals nicht wussten, dass diese typischen argentinischen medialunas gar nicht das waren, woran wir jeweils gedacht hatten.“

Professorin Annette Gerstenberg, Studiendekanin des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität, hob in ihrer Begrüßungsrede die herausragenden Leistungen des diesjährigen August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessors als Übersetzer spanischsprachiger Literatur hervor. Christian Hansen sei längst einer der bekanntesten Übersetzer Deutschlands, seine Arbeit mehrfach preisgekrönt. 2010 wurde seine Übertragung von Roberto Bolaños „2666“ für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert mit der Begründung, er habe in einem gewaltigen Kraftakt das Mammutwerk, die suggestive und bildmächtige Sprache brillant ins Deutsche übertragen. Ebenfalls 2010 erhielt er den Jane-Scatchered-Preis. Aufgrund einer großen sprachlichen und kulturellen Sensibilität wurde Hansen 2014 mit dem Europäischen Übersetzerpreis Offenburg ausgezeichnet. Die Jury: Hansen sorge dafür, dass spanische und lateinamerikanische Autoren in Deutschland bekannt und gelesen würden.

Zurück zu den Anfängen

Der Vortragssaal im Instituto Cervantes war bis auf den letzten Platz belegt.

Der Vortragssaal im Instituto Cervantes war bis auf den letzten Platz belegt.
Bildquelle: Marina Kosmalla

Der gebürtige Kölner studierte an der Freien Universität Berlin Theaterwissenschaft, Germanistik, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Lateinamerikanistik. Nach einer Zwischenstation als Dramaturg und Schauspieler an der Studiobühne der Freien Universität war er von 1993 bis 1994 als Lehrbeauftragter am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft tätig. Für die deutschsprachige Ausgabe der Zeitung Le Monde diplomatique arbeitete Christian Hansen von 1996 bis 2007 als freier Mitarbeiter und übersetzte Texte aus dem Französischen. Die Promotion, die er mit dem Job eigentlich finanzieren wollte, war bald vergessen. Seit 1995 ist er freier Übersetzer aus dem Spanischen und Französischen. Zudem war er bei der Berliner Übersetzerwerkstatt sowie der Berliner Autorenwerkstatt tätig und ist Mitbegründer der Weltlesebühne, eines Vereins zur Förderung und Durchführung von Veranstaltungen von und mit Übersetzern. „Mit einem Sack voller Erfahrung kehrt Hansen jetzt zurück an den Ort, an dem alles angefangen hat“, stellte Thomas Brovot fest.

Weitere Informationen

Die vom Deutschen Übersetzerfonds und der Freien Universität Berlin 2007 ins Leben gerufene August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur ist die erste Professur für Poetik der Übersetzung im deutschsprachigen Raum. Sie wird jährlich im Wintersemester am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft eingerichtet. Ihr Zweck ist die kritische Reflexion eigener und fremder Übersetzungsmethoden sowie die vergleichende Textanalyse (Original und Übersetzung, Übersetzungsvarianten). Zudem soll die Professur ein exponierter Ort der historischen Reflexion von Methoden und Theorien des literarischen Übersetzens sein.