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Das „Schulbuch der Zukunft“ schon heute nutzen

Mit der Plattform tet.folio der Arbeitsgruppe Didaktik der Physik ist interaktives Arbeiten kinderleicht

14.12.2017

Im Einsatz: Studierende der Veterinärmedizin nutzen tet.folio im Querschnitts-Bereich des Studiums, um sich mit realen Fallbeispielen auf den Alltag als Tierarzt oder Tierärztin vorzubereiten.

Im Einsatz: Studierende der Veterinärmedizin nutzen tet.folio im Querschnitts-Bereich des Studiums, um sich mit realen Fallbeispielen auf den Alltag als Tierarzt oder Tierärztin vorzubereiten.
Bildquelle: Lena Vogt und Alina Küper

Am Anfang ist auf dem Bildschirm nur eine leere weiße Seite zu sehen. Doch es braucht nur wenige Klicks, bis sie sich füllt: mit Textfeldern, YouTube-Videos und eigenen Filmen, dem Foto eines Versuchsaufbaus, der sich anklicken und bedienen lässt, einem Lückentext und vielen weiteren Elementen. Schließlich ist es fertig, das selbst gestaltete interaktive Schulbuch. Es ist ungemein flexibel, lässt sich beliebig erweitern und verbreiten, und mehrere Personen können gleichzeitig daran arbeiten – ob sie in China ihr Tablet benutzen oder den PC in Berlin. Tet.folio heißt die Plattform, die dies möglich macht.

„Die Grundidee hinter dem ‚Schulbuch der Zukunft‘ ist, dass es sich individuell an die eigenen Vorstellungen anpassen lässt“, sagt Sebastian Haase. Der promovierte Biophysiker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Didaktik der Physik und hat die plattformübergreifende Web-Applikation tet.folio 2013 auf Grundlage früherer Projekte der Arbeitsgruppe entwickelt. „Wir verstehen tet.folio als eine Art Werkzeugkasten, aus dem man sich frei bedienen kann, um interaktive Inhalte zu erstellen.“

Normalerweise sei es mit großem Aufwand verbunden, interaktive Lehrmedien herzustellen, sagt Jürgen Kirstein. „Deshalb greifen viele Verlage doch auf PDFs zurück.“ Der promovierte Physikdidaktiker ist gemeinsam mit Professor Volkhard Nordmeier verantwortlich für das Projekt. „Wir wollten eine Plattform schaffen, deren Gestaltung möglichst einfach ist. Und man sollte sich mit der Anwendung Wissen selbst erschließen können“, sagt er.

Unter www.tetfolio.fu-berlin.de können sich Angehörige der Freien Universität sowie externe Nutzer einloggen und die Plattform nutzen.

Unter www.tetfolio.fu-berlin.de können sich Angehörige der Freien Universität sowie externe Nutzer einloggen und die Plattform nutzen.
Bildquelle: Screenshot www.tetfolio.fu-berlin.de 

Schon 1996 hat Jürgen Kirstein das Konzept der „Interaktiven Bildschirmexperimente“ entwickelt, die nun ein Teil von tet.folio sind: Reale physikalische Experimente werden Schritt für Schritt fotografiert und die Fotoserie am Computer so zusammengesetzt und programmiert, dass sich Hebel bewegen und Knöpfe drücken lassen – zum Schein natürlich. „Der Nutzer hat den Eindruck, dass er das Experiment selbst durchführt, auch solche, die aus praktischen Gründen real nicht machbar wären“, sagt Kirstein.

2010 startete die Arbeitsgruppe das Projekt „Technology Enhanced Textbook (TET), das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Förderprogramms „Validierung des Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung“ (VIP) gefördert wurde. „Das Ziel war die Erstellung des Schulbuchs der Zukunft“, sagt Sebastian Haase. Dieses digitale und interaktive Lehrbuch legte den Grundstein für die heutige Lernplattform tet.folio. Deren Bedienung lässt sich etwa mit PowerPoint vergleichen. „Der Vorteil ist jedoch, dass man kein Programm vorinstallieren muss, sondern sich direkt anmelden kann – Name und E-Mail-Adresse genügen“, erklärt Sebastian Haase. „Angehörige der Freien Universität müssen nur ihre ZEDAT-Daten eingeben und sind automatisch registriert. Nach dem Log-in kann man von überall auf der Welt und von jedem Gerät auf die Plattform zugreifen.“

Die Daten der Nutzer werden in einer Cloud gesichert, einer Art virtuellem Speicher auf dem Server der Freien Universität. Alle Änderungen, die in tet.folio vorgenommen werden, werden automatisch gespeichert und sind auf anderen Geräten abrufbar, sofern die entsprechenden Seiten freigegeben wurden. Dass die Daten auf dem hochschuleigenen Server gespeichert werden, hat einen weiteren Vorteil: Sie unterliegen den Datenschutzrichtlinien der Freien Universität und sind gut geschützt.

Jürgen Kirstein, promovierter Physikdidaktiker, ist gemeinsam mit Professor Volkhard Nordmeier verantwortlich für das Projekt tet.folio.

Jürgen Kirstein, promovierter Physikdidaktiker, ist gemeinsam mit Professor Volkhard Nordmeier verantwortlich für das Projekt tet.folio.
Bildquelle: Privat

Sebastian Haase, promovierter Biophysiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Didaktik der Physik, hat die plattformübergreifende Web-Applikation auf Grundlage früherer Projekte entwickelt.

Sebastian Haase, promovierter Biophysiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Didaktik der Physik, hat die plattformübergreifende Web-Applikation auf Grundlage früherer Projekte entwickelt.
Bildquelle: Privat

Mittlerweile nutzen mehr als tausend Personen tet.folio – an der Freien Universität, aber auch außerhalb der Hochschule. Vor allem Schülergruppen und Studierende sind darunter. „Die Schülerinnen und Schüler besuchen unsere Universität und arbeiten dann mit tet.folio“, erklärt Sebastian Haase. Die Exkursion in die Welt der Wissenschaft können die Klassen zu Hause oder in der Schule vor- und nachbereiten – und die „Bücher“, die sie anlegen, vielleicht sogar weiterverwenden, wenn sie selbst studieren. „Lehramtsstudierende können ihre Inhalte wiederum später im Unterricht nutzen und tet.folio mit ihren Schülern verwenden“, sagt Jürgen Kirstein. „Stichwort: Lebenslanges Lernen.“ 

Die Studierenden nutzen die Plattform im Rahmen ganzer Seminare, zum Beispiel in der Veterinärmedizin und in der Grundschulpädagogik. Am Fachbereich Veterinärmedizin wird tet.folio aktuell insbesondere in drei Bereichen eingesetzt:

Im Bereich Veterinär-Physiologie wurde tet.folio bereits 2014 im Rahmen des Projekts „SUPPORT für die Lehre“ eingesetzt und seither mehrfach positiv evaluiert. „Es hat sich eine intensive Zusammenarbeit mit dem Veterinärmediziner Dr. Manfred Sommerer entwickelt, der mittlerweile die gesamte Praktikumsvorbereitung für Studierende auf tet.folio interaktiv umgesetzt hat“, freut sich Sebastian Haase. Dort sind zum Beispiel neue Formatvorlagen entstanden, die nun allen Nutzern zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung stehen. „Auch die Funktion, ein tet.folio-Buch als PDF zu speichern, geht auf diese gute Zusammenarbeit zurück“, sagt Sebastian Haase.

Im Querschnitts-Bereich des Studiums der Veterinärmedizin bereitet das Projekt QuerVet Studierende anhand von realen Fallbeispielen auf den Alltag als Tierarzt oder Tierärztin vor. Die dafür benötigten Materialien werden auf tet.folio bereitgestellt (campus.leben berichtete). Über die Zusammenarbeit mit dem Center für Digitale Systeme (CeDiS), das ebenfalls an dem Projekt mitwirkt, freuen sich Sebastian Haase und Jürgen Kirstein besonders.

Als dritter Bereich ist vor kurzem das Institut für Veterinär-Anatomie gestartet: Hier sollen Fotos interaktiv für die Prüfungsvorbereitung genutzt werden.

Das Projekt K2teach – Know how to teach, das zukünftige Lehrerinnen und Lehrer gezielt auf den Unterricht vorbereitet, setzt tet.folio als technologische Basis für das FOCUS-Videoportal ein. Und in der Arbeitsgruppe Didaktik der Physik wird tet.folio nicht nur im Rahmen von Lehrveranstaltungen genutzt: „Studierende verwenden es auch gern einfach als Online-Lösung für Präsentationen “, sagt Sebastian Haase, „statt PowerPoint.“

Wichtig ist Sebastian Haase und Jürgen Kirstein, dass tet.folio keinen etablierten Dienst an der Freien Universität ersetzen soll, weder das Content-Management-System noch die Lernplattform Blackboard. „Wir wünschen uns, dass tet.folio eine eigene Nische an der Universität findet und sich fest etabliert“, sagt Sebastian Haase. Derzeit ist er alleine für die Programmierung der Plattform zuständig, obwohl die Anforderungen an das System stetig wachsen. Sebastian Haase hofft aber, dass sich dies bald ändert und er mehr Unterstützung erhält. Die Gründe dafür liegen ihm zufolge klar auf der Hand: „Tet.folio ist intuitiv und auch für Laien einfach zu bedienen. Hinzu kommt, dass wir in der Didaktik angesiedelt sind, das heißt mitten im Geschehen! Wir können bei konkreten Fragen direkt helfen und Wünsche der Nutzer schnell umsetzen. – Und es macht einfach Spaß!“