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Forschung ohne Tierversuche – Vermeiden, verringern, verbessern

Am Institut für Pharmazie der Freien Universität haben Vivian Kral und Christian Zoschke ein E-Learning-Angebot über Alternativmethoden zu Tierversuchen erstellt

16.02.2023

Foto einer Person am Laptop, der Bildschirm zeigt die Startseite der Lernplattform 3Rs Info Hub

Video, Podcast, Quiz – die Lernplattform „3Rs Info Hub“ vermittelt interaktiv Wissen über aktuelle Alternativmethoden zu Tierversuchen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Wirksamkeit und Risiken von neuen Arzneimitteln an Tiermodellen zu erforschen, galt lange als unvermeidbar, denn aus ethischen Gründen verbietet es sich, sie direkt am Menschen zu testen. Das deutsche Tierschutzgesetz, die EU-Richtlinie zum Schutz von Versuchstieren, aber auch die Ethik fordern jedoch, Tierversuche auf ein Minimum zu beschränken und nach aussagekräftigen Alternativmethoden zu suchen, ganz im Sinne des sogenannten 3R-Prinzips.

Die drei „Rs“ stehen für „replace, reduce, refine“ – auf Deutsch: vermeiden, verringern, verbessern. Diese Prinzipien biomedizinischer Forschung haben die britischen Wissenschaftler William Russel und Rex Burch bereits 1959 formuliert: Tierversuche ersetzen, die Zahl der Tiere verringern oder ihr Leiden zumindest auf das unerlässliche Maß beschränken. Ihr Ansatz blieb lange mehr Vision als Wirklichkeit, doch dank neuer biotechnologischer und computerbasierter Methoden sind insbesondere in den vergangenen zwei Jahrzehnten neue Forschungsansätze entstanden, die dem 3R-Prinzip gerecht werden.

Es sei allerdings schwierig, gutes Lehrmaterial zu finden, um gerade erst entwickelte Alternativmethoden in ein sowieso schon vollgepacktes naturwissenschaftliches Studium zu integrieren, sagt die promovierte Tierärztin Vivian Kral, die an der Freien Universität Berlin Studierende der Pharmazie unterrichtet. Warum also nicht die seltenen Fundstücke – frei verfügbare Erklärvideos aus dem Netz – auf einer Webplattform sammeln und zu sinnvollen Lerneinheiten zusammenstellen?

Eine neue Webplattform rund um das Thema Tierversuche

Gemeinsam mit dem habilitierten Pharmazeuten Christian Zoschke entwickelte Vivian Kral vor drei Jahren das Konzept für die englischsprachige Website „3Rs Info Hub“, zu der vier Bereiche gehören: die kompakte Darstellung organspezifischer Alternativmethoden, eine Podcast-Reihe, sorgfältig zusammengestellte Lerneinheiten sowie interaktive Quizze. „Auf der Lernplattform bündeln und gliedern wir die relevanten und aktuellen 3R-Themen“, erklärt Christian Zoschke. Anstatt sich in Tausenden Suchmaschinenergebnissen zu verlieren, können Nutzende sich dort in drei Schwierigkeitsstufen durch themenbezogene Lernszenarien klicken, die aus Videos, Podcast-Folgen und Lernkontrollen zusammengesetzt sind. Andere Forschende halfen beim Webdesign und programmierten Datenbanken, Studierende suchen nach aktuellen, verfügbaren Inhalten und erstellen die Erklärvideos und Podcasts.

Pharmaziestudentin Rebecca Rosengrün wäre ohne das Projekt nie auf die Idee gekommen, einen Podcast zu machen – und weiß jetzt, wie es geht. Gemeinsam mit Melissa Hansjürgens und Sarah Bednasch hat sie unter anderem Jan Bruder vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster interviewt. Der Biologe züchtet aus Vorläufern menschlicher Gehirnzellen dreidimensionale Gewebekulturen, sogenannte Organoide, an denen getestet werden kann, ob Wirkstoffe für Medikamente unwirksam oder gar toxisch sind. Die Aufnahme des Gesprächs ist nun ebenso auf der Website wie bei den üblichen Anbietern von Podcasts zu hören. In weiteren Folgen geht es auch um Bio-Prints aus dem 3D-Drucker, Modelle menschlicher Organe und Teststrategien zur Bewertung von allergieauslösenden Substanzen.

Wissen für Forschende der Lebenswissenschaften – weltweit

„Für viele Forschungsfragen existieren bereits etablierte Alternativmethoden“, sagt Vivian Kral. Allerdings würden diese vom Gesetzgeber und in Gutachten für wissenschaftliche Veröffentlichungen noch zu selten anerkannt. Der 3Rs Info Hub soll deshalb nicht nur Studierende, sondern alle Forschenden der Lebenswissenschaften erreichen und wissenschaftlich fundiert informieren.

National und international stieß die Plattform bereits auf großes Interesse. Jetzt gehe es um die kontinuierliche Weiterentwicklung des Projekts, sagt die Tierärztin. Ein neues Kurspaket über Gehirnorganoide sei bereits fest eingeplant – für das Konzept haben die beiden Forschenden kürzlich den mit 6000 Dollar dotierten Bildungspreis des „Johns Hopkins Center for Alternatives to Animal Testing“ (CAAT) mit Sitz im US-amerikanischen Baltimore und in Konstanz erhalten. Vivian Kral ist zuversichtlich, dass die Nachfrage nach Wissen über 3R-Methoden weiter steigen wird. Denn: „Meiner Erfahrung nach wollen viele Menschen Tierversuche lieber vermeiden, wenn es möglich ist.“

Dieser Artikel ist am 19.02.2023 in der Tagesspiegel-Beilage der Freien Universität Berlin erschienen. Eine erste Fassung erschien am 28.10.2022 in campus.leben.

Weitere Informationen

www.3rsinfohub.de

Kontakt:

  • Dr. Vivian Kral, Institut für Pharmazie, Abteilung Pharmakologie und Toxikologie, Freie Universität Berlin, E-Mail: vivian.kral@fu-berlin.de
  • Dr. Christian Zoschke, Institut für Pharmazie, Abteilung Pharmakologie und Toxikologie, Freie Universität Berlin, E-Mail: christian.zoschke@fu-berlin.de