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PharMetrX: ein Netzwerk für passgenaue Medikation und ihre Dosierung

Das Doktorandenprogramm der Freien Universität Berlin und der Universität Potsdam verbindet seit 15 Jahren Pharmazie und Mathematik – mit dem Ziel, Patient*innen individueller behandeln zu können

22.02.2024

Jahr für Jahr wächst das PharMetrX-Netzwerk. Das Foto entstand im September 2023 beim Treffen von Ehemaligen anlässlich des 15-jährigen Bestehens des Programms.

Jahr für Jahr wächst das PharMetrX-Netzwerk. Das Foto entstand im September 2023 beim Treffen von Ehemaligen anlässlich des 15-jährigen Bestehens des Programms.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher 

Dreimal täglich eine Tablette – wer in der Apotheke ein Rezept einlöst, erhält dazu zumeist eine Dosierungsempfehlung und kann diese auch im Beipackzettel nachlesen. Diese Dosierungen seien jedoch oftmals zu standardisiert, sagt Professorin Charlotte Kloft, Leiterin der Abteilung Klinische Pharmazie und Biochemie und Forschungsdekanin des Fachbereichs Biologie, Chemie, Pharmazie der Freien Universität Berlin: „Wenn eine Tablette eine bestimmte Wirkstoffmenge enthält, schlägt sie bei einer 50 Kilogramm schweren Frau ganz anders an als bei einem übergewichtigen Mann mit 120 Kilogramm Körpergewicht.“

Genau hier setzt das Promotionsprogramm PharMetrX an, eine Kooperation der Freien Universität mit der Universität Potsdam: „Wir wollen eine Brücke zwischen Pharmazie und Mathematik bauen – mit dem Ziel, dass jede einzelne Person genau die Menge an Wirkstoffen bekommt, die sie braucht, um gesund zu werden“, sagt Charlotte Kloft.

Kooperation von Freier Universität Berlin und Universität Potsdam

Das Programm PharMetrX – Pharmacometrics & Computational Disease Modelling gründete Charlotte Kloft im Jahr 2008 gemeinsam mit Wilhelm Huisinga, Professor für Mathematische Modellierung und Systembiologie an der Universität Potsdam. Es richtet sich als Promotionsprogramm an Studierende der Pharmazie, Lebenswissenschaften, Bioinformatik und Mathematik.

Gemeinsam lernen die Doktorand*innen, an der Schnittstelle von Pharmazie und Mathematik zu agieren: Die Pharmakometrie wertet mithilfe mathematischer Computermodellierung klinische Studiendaten aus, um abzuschätzen, wie Arzneimittel im Körper wirken. Als Trainingsprogramm bietet es zudem Promovierenden der Pharmakometrie, sich in den Teilbereichen unter anderem der Pharmakodynamik (Wirkung der Arzneimittel im menschlichen Körper) sowie der Pharmakokinetik (Zeitverlauf der Aufnahme eines Wirkstoffs) weiterzubilden und zu vernetzen.

PharMetrX-Gründungsteam: Charlotte Kloft, Professorin für Klinische Pharmazie und Biochemie an der Freien Universität, und Wilhelm Huisinga, Professor für Mathematische Modellierung und Systembiologie an der Universität Potsdam.

PharMetrX-Gründungsteam: Charlotte Kloft, Professorin für Klinische Pharmazie und Biochemie an der Freien Universität, und Wilhelm Huisinga, Professor für Mathematische Modellierung und Systembiologie an der Universität Potsdam.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher 

„Was PharMetrX auszeichnet, ist das Interdisziplinäre“, sagt Wilhelm Huisinga. „Studierende unterschiedlicher Fächer kommen zusammen und lernen nicht nur akademisch voneinander, sondern auch menschlich. Sie finden jenseits ihrer Fachsprachen eine gemeinsame, interdisziplinäre Sprache, um gemeinsam Probleme zu lösen.“

Dreieinhalb Jahre lernen die Promovierenden zusammen, in fünf Modulen. Beim jahrgangsübergreifenden Wiedersehen hatten die Ehemaligen viel Spaß.

Dreieinhalb Jahre lernen die Promovierenden zusammen, in fünf Modulen. Beim jahrgangsübergreifenden Wiedersehen hatten die Ehemaligen viel Spaß.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Mit jedem Jahrgang wächst das Netzwerk, auf das Studierende für Mentoring und Praktika zurückgreifen, Absolvent*innen für den Wissenstransfer und Karrierewege und alle gemeinsam für den Austausch. Anlässlich des 15-jährigen Bestehens von PharMetrX waren im vergangenen September Absolvent*innen aus allen Jahrgängen seit 2008 an die Freie Universität gekommen. „Unsere Ehemaligen sind das Herz des Programms, sie haben so tolle Karrieren gemacht“, sagt Charlotte Kloft. „Ich hätte nie gedacht, dass etwas so Großes und Neues aus unserem zunächst sehr kleinen Programm werden würde.“

Valerie Nock ist Absolventin des zweiten PharMetrX-Jahrgangs: „Mir ist der Wechsel von der Universität in die Industrie leichtgefallen, weil ich hier genau das machen kann, was ich bei PharMetrX gelernt habe.“

Valerie Nock ist Absolventin des zweiten PharMetrX-Jahrgangs: „Mir ist der Wechsel von der Universität in die Industrie leichtgefallen, weil ich hier genau das machen kann, was ich bei PharMetrX gelernt habe.“
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Valerie Nock ist Absolventin des zweiten PharMetrX-Jahrgangs. Heute arbeitet sie beim Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim in Biberach und ist dort für die Leitung aller Pharmakometriegruppen weltweit zuständig: ein Team von mehr als 35 Pharmakometriker*innen.

Sie selbst hat mehrfach die Rolle der Industriementorin übernommen, um PharMetrX-Doktorandinnen und -Doktoranden Einblicke in ihren Arbeitsalltag zu geben – was auch ihr während des Promotionsstudiums sehr geholfen habe: „Mir ist der Wechsel von der Universität in die Industrie leichtgefallen, weil ich hier genau das machen kann, was ich bei PharMetrX gelernt habe.“ Die Nähe zur Industrie, zum Arbeitsleben in der Arzneimittelentwicklung, sei für sie eine der Stärken des Programms.

Jane Knöchel kam 2014 als Mathematikerin zu PharMetrX: „Der enge interdisziplinäre Austausch und Zusammenhalt in der Gruppe ist einzigartig.“

Jane Knöchel kam 2014 als Mathematikerin zu PharMetrX: „Der enge interdisziplinäre Austausch und Zusammenhalt in der Gruppe ist einzigartig.“
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Jane Knöchel kam im Jahr 2014 als Mathematikerin zu PharMetrX und ist heute Klinische Pharmakometrikerin bei AstraZeneca in Schweden. Besonders schätze sie das aktive Netzwerk des Doktorand*innenprogramms: „Der enge interdisziplinäre Austausch und Zusammenhalt in der Gruppe ist einzigartig. Das ist während der Promotion eine gute Motivation, hilft aber auch, sich nicht zu sehr auf die Doktorarbeit zu fokussieren und sich nicht nur in der akademischen Fach-Bubble zu bewegen.“

Der Zusammenhalt bestehe über die Jahrgänge hinweg. „Dadurch fühlte ich mich sehr schnell der Community zugehörig und hatte keine Scheu, Fragen zu stellen.“ Auch ihr helfe im Berufsalltag die Fähigkeit, Menschen aus anderen Disziplinen inhaltlich zu erreichen und zu überzeugen, sagt Jane Knöchel. „PharMetrX hat mich gelehrt, eine transdisziplinäre Sprache zu sprechen.“

Charlotte Kloft: „Ich hätte nie gedacht, dass etwas so Großes und Neues aus unserem zunächst sehr kleinen Programm werden würde.“

Charlotte Kloft: „Ich hätte nie gedacht, dass etwas so Großes und Neues aus unserem zunächst sehr kleinen Programm werden würde.“
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Das sagt auch Andre Schäftlein. Er ist Absolvent des dritten Jahrgangs und heute Leiter der Klinik-Apotheke sowie stellvertretender Ärztlicher Direktor der Havelland Kliniken bei Berlin. „Ich habe mich bei PharMetrX beworben, weil mir Grundlagenforschung zu wenig war“, sagt Schäftlein. „Ich wollte Forschung für den Patienten machen.“

Zu Beginn habe ihn überrascht, wie wenig die einzelnen Disziplinen übereinander wussten. Durch PharMetrX habe er gelernt, offen zu sein für andere Denkweisen. „Menschen verurteilen andere leider relativ schnell, aber neue Lösungswege findet man am besten gemeinsam, wenn es gelingt, die Gedankenwelt anderer zu erschließen“, sagt er. „Dabei lernt man auch, sich selbst zu reflektieren.“

Interessierten Studierenden rät Andre Schäftlein, sich nicht von den fachfremden Modulen abschrecken zu lassen. „Interesse reicht, man braucht nicht viele Vorkenntnisse, weil man auf ein breites Netzwerk von Expert*innen zugreifen kann, die alles Nötige mit Begeisterung vermitteln.“

Alumnus Francis Williams Ojara ist heute Dozent für Pharmakometrie und Postdoc für Infektionskrankheiten an der Gulu University im Norden Ugandas. Er sagt, Berlin sei durch die PharMetrX-Zeit seine zweite Heimat geworden.

Alumnus Francis Williams Ojara ist heute Dozent für Pharmakometrie und Postdoc für Infektionskrankheiten an der Gulu University im Norden Ugandas. Er sagt, Berlin sei durch die PharMetrX-Zeit seine zweite Heimat geworden.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Francis Williams Ojara ist heute Dozent für Pharmakologie und Postdoc für Infektionskrankheiten an der Gulu University im Norden Ugandas. 2022 wurde er im PharMetrX-Programm promoviert. Rückblickend sagt er: „Das Programm gab mir noch mehr, als ich erwartet hatte. Durch meine Zeit bei PharMetrX ist Berlin für mich zu einem zweiten Zuhause geworden.“

PharMetrX sei nicht nur ein „hochqualitatives Ausbildungsprogramm“, sondern zeichne sich auch durch den jahrgangsübergreifenden Zusammenhalt aus: „Man gehört immer dazu. Neue Gesichter bedeuten, neue Freunde zu finden.“ Einer seiner Studierenden bewerbe sich gerade im Programm. „Ich kann PharMetrX allen empfehlen, die in der klinischen Forschung etwas bewegen und dabei ganz sie selbst sein wollen.“

Wilhelm Huisinga: Im Rahmen des PharMetrX-Programms finden die Doktorand*innen „jenseits ihrer Fachsprachen eine gemeinsame, interdisziplinäre Sprache, um gemeinsam Probleme zu lösen.“

Wilhelm Huisinga: Im Rahmen des PharMetrX-Programms finden die Doktorand*innen „jenseits ihrer Fachsprachen eine gemeinsame, interdisziplinäre Sprache, um gemeinsam Probleme zu lösen.“
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Sebastian Wicha hat das PharMetrX-Programm im Jahr 2015 abgeschlossen und ist heute Professor für Klinische Pharmazie an der Universität Hamburg. Mit der Pharmakometrie war er während seines Pharmazie-Studiums nicht in Berührung gekommen. Erst während eines Forschungsaufenthalts in den USA machte ihn der deutsch-amerikanische Pharmazeut Hartmut Derendorf damit vertraut. „Ich dachte mir: Spannend, damit kann ich ja meine größten Interessen, nämlich Pharmazie, Mathematik, Chemie und Programmieren, perfekt kombinieren“, erinnert sich Sebastian Wicha.

Hartmut Derendorf, der bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2018 als Professor für Pharmazie an der University of Florida lehrte, vernetzte Sebastian Wicha schließlich mit Charlotte Kloft – und nach erfolgreicher Bewerbung wurde Wicha Doktorand des Programms.

„Vor PharMetrX wurde die Pharmakometrie nur von der Industrie genutzt“, sagt Sebastian Wicha. „Mit PharMetrX haben Charlotte Kloft und Wilhelm Huisinga die Pharmakometrie im akademischen Bereich etabliert und eine deutsche Institution geschaffen, die weltweit anerkannt ist. Das Programm ermögliche über Stipendien „wertungs- und weisungsfreie Forschung“ – finanziert auch von forschenden Pharmaunternehmen mit dem gemeinsamen Ziel, das Forschungsgebiet insgesamt voranzubringen, allerdings ohne direkte Gegenleistung: „Ein Geniestreich!“, sagt Sebastian Wicha.

Voneinander lernen: Ehemalige diskutierten bei der Podiumsdiskussion.

Voneinander lernen: Ehemalige diskutierten bei der Podiumsdiskussion.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

In fünf Modulen lernen die Studierenden bei PharMetrX voneinander, damit alle, unabhängig vom Studienfach, inhaltlich auf den gleichen Stand kommen, auf den sie individuell in ihrer Promotion aufbauen können. In zwei sich anschließenden Industriemodulen erwerben die Doktorand*innen Einblicke in den praktischen Umgang mit Pharmakometrie. Ausgelegt ist das Programm auf dreieinhalb Jahre.

Unterstützt wird PharMetrX von einem Konsortium globaler Pharmaunternehmen AbbVie, AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Hoffmann-La Roche, Merck, Novo Nordisk und Sanofi-Aventis. Etliche Absolventinnen und Absolventen des Programms haben dort ihre berufliche Zukunft gefunden.

Andere Alumni und Alumnae tragen ihr Wissen in außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Apotheken, Kliniken, Zulassungsbehörden und Universitäten – mit dem Ziel, dass Patientinnen und Patienten genau die individualisierte Medikamentendosis verabreicht wird, die sie gesund macht.

Weitere Informationen

Weitere Informationen: www.pharmetrx.de