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„Je mehr wir forschen, desto komplizierter wird es“

Sutapa Chakrabarti ist Heisenberg-Professorin am Institut für Chemie und Biochemie. Sie untersucht Prozesse rund um den Abbau von mRNA-Molekülen in Zellen

06.09.2022

„In der Biochemie ist nichts exakt und präzise“, sagt Sutapa Chakrabarti. Modelle seien in der Wissenschaft beliebt – doch dürfe man sie nicht mit der Wirklichkeit verwechseln.

„In der Biochemie ist nichts exakt und präzise“, sagt Sutapa Chakrabarti. Modelle seien in der Wissenschaft beliebt – doch dürfe man sie nicht mit der Wirklichkeit verwechseln.
Bildquelle: Michael Fahrig

Die Abkürzung mRNA – sie steht für messenger ribonucleic acid, auf Deutsch: Boten-Ribonukleinsäure – haben die meisten Menschen schon einmal gehört, weil neue Corona-Impfstoffe darauf basieren. Doch was ist das eigentlich? Die Biochemikerin Sutapa Chakrabarti beschäftigt sich in ihrer Forschung mit mRNA und erklärt es so: „mRNA-Moleküle übertragen die Baupläne für Proteine aus dem Erbgut, also aus der DNA, die im Zellkern lagert, in die Ribosomen, die Proteinfabriken der Zelle. Dort werden benötigte Proteine nach dieser Anleitung hergestellt. Ohne sie würde der menschliche Körper nicht funktionieren.“

Seit mRNA-Moleküle und ihre Funktion 1961 entdeckt wurden, sind sie ein wichtiges Thema der Grundlagenforschung. Die Wissenschaftlerin erforscht in ihrer Arbeitsgruppe, wie mRNA aus eukaryotischen Zellen, also solchen Zellen, aus denen auch Pflanzen, Pilze, Tiere und Menschen bestehen, wieder verschwindet, wenn die Proteine nicht mehr benötigt werden. Seit 2021 wird ihre Arbeit durch das Heisenberg-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Nach fünf Jahren als Heisenberg Fellow ist Sutapa Chakrabarti eine ordentliche Professur sicher, eine Habilitation braucht sie dafür nicht mehr.

Schockgefrostet: mRNA-Moleküle unter dem Kryo-Elektronenmikroskop

„Der einfachste Weg, die Proteinproduktion zu stoppen, besteht darin, die mRNA mit der Bauanleitung aus der Zelle verschwinden zu lassen“, erklärt die Biochemikerin. Aber welche Enzyme sind dafür notwendig? Und wie bekommen sie von der Zelle das Signal, die mRNA abzubauen? Um den Ablauf zu verstehen, beobachtet und rekonstruiert Sutapa Chakrabarti die Architektur der beteiligten Moleküle in einzelnen Phasen.

Bis vor ein paar Jahren nutzte sie dazu vor allem die Methode der Röntgen-Kristallographie, inzwischen ist die Kryo-Elektronenmikroskopie so weit entwickelt, dass sie große Fortschritte bringt. Um die äußerst beweglichen Moleküle einzufangen, ohne sie zu beschädigen, werden diese extrem schnell abgekühlt, sozusagen schockgefrostet. Die gefrorenen Proben werden mit Elektronen beschossen. Aus den dabei entstehenden Aufnahmen lässt sich ihre dreidimensionale Struktur in verschiedenen Stadien berechnen.

Die Forscherin untersucht einen Prozess, der unter anderem für die Synthese von Zytokinen verantwortlich ist. Zytokine sind Botenstoffe, die beispielsweise die verschiedenen Immunzellen unseres Abwehrsystems alarmieren, wenn Fremdstoffe in den Körper eindringen. Die Boten sollen aber nur in begrenzter Menge und nur für begrenzte Zeit im Einsatz sein – so lange, bis die Immunzellen ihre Arbeit erledigt haben. Wird ihre Produktion dann nicht gestoppt, kann das zu chronischen Entzündungen und Autoimmunerkrankungen führen.

Zum Experimentieren gehört auch handwerkliches Geschick

„Mich interessiert, wie das Umschalten funktioniert“, sagt Sutapa Chakrabarti. Eigentlich sei ein recht einfacher Baustein der mRNA dafür verantwortlich, allerdings zeige sich auch an diesem Beispiel, was für die gesamte Biochemie gelte: In Wirklichkeit ist alles viel komplexer, als man zunächst denkt. Das sei zwar einerseits faszinierend, manchmal aber auch frustrierend. „In der Biochemie ist nichts exakt und präzise. Je mehr wir forschen, desto komplizierter wird es.“ Modelle seien in der Wissenschaft beliebt – doch dürfe man ein Modell nicht mit der Wirklichkeit verwechseln. „Das war eine wichtige Lernerfahrung für mich.“

Große Momente biete ihr Beruf, wenn sie etwas Neues entdeckt, aber auch die Arbeit mit jungen Menschen mache ihr viel Spaß. „Ich freue mich über aufgeregte Bachelorstudierende, die es nicht abwarten können, ins Labor zu gehen.“ Wer länger dabei ist, wird erleben, dass es manchmal Monate dauert, bis ein Experiment gelingt. Dann ist ihr Rat als Mentorin gefragt: Das ist normal, nimm‘ es nicht persönlich. Geh‘ zurück an die Arbeit, beschäftige Dich weiter mit der Literatur – und wir werden sehen. Auch handwerkliches Geschick gehöre zum Experimentieren, das richtige Gefühl: „Man muss alle Details im Blick behalten und auch unbewusst erfassen, was gerade im Experiment passiert.“

Delhi, Mumbai, San Diego, Martinsried ...

Als Kind wollte Sutapa Chakrabarti eigentlich Ärztin werden, wie ihre Eltern. Später interessierte sie sich auch für Literatur, aber in ihrem Umfeld war es damals üblich, dass Kinder mit guten Schulnoten naturwissenschaftliche Fächer studieren. Aufgrund ihres starken Interesses an Chemie, entschied sie sich für ein Chemiestudium an der Delhi University und absolvierte anschließend in Mumbai ihren Master in Biotechnologie. Für ihre Promotion zog es sie an die University of California nach San Diego.

„Meine Eltern haben mir geraten, ins Ausland zu gehen, doch sie haben mir auch die Freiheit gelassen, mich selbst zu entscheiden. Das ist für Familien in Indien heute noch ungewöhnlich“, sagt die Forscherin. Ihr Doktorvater habe viel verlangt, sie aber bei der Karriereplanung auch gut unterstützt. Am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München trat sie eine Postdoc-Stelle an, 2014 wechselte sie als Juniorprofessorin ans Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin.

... und jetzt zu Hause in Berlin

Berlin ist ihr Zuhause geworden, ihre Tochter geht hier in die Kita, Sutapa Chakrabarti wird einige Zeit bleiben. Es mache ihr zwar großen Spaß, an neuen Orten zu arbeiten, aber ein bisschen Stabilität tue ihr auch sehr gut. „Im Moment brauchen meine Promovierenden keine Angst zu haben, dass ich einfach aufstehe und woanders hingehe“, sagt sie. So könne sie langfristig denken, planen und Kooperationen aufbauen.

An Berlin gefalle ihr, dass es divers, kosmopolitisch und ein bisschen exzentrisch ist. Beeindruckt ist die Forscherin von der Geschichte der ehemals geteilten Stadt, die friedliche Wiedervereinigung gebe ihr Grund zur Hoffnung, dass sich auch andere Konflikte lösen lassen. In ihrer knapp bemessenen Freizeit liest sie und geht in der Natur spazieren. „Ich muss nicht weit fahren, um Schönheit zu finden. Manchmal steige ich einfach ein paar Stationen früher aus dem Bus aus und laufe ein Stück durch Dahlem.“

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