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Krebsdiagnostik mit schwingenden Molekülen

Der österreichisch-ungarische Physiker sprach in der Einstein Lecture Dahlem über die Bedeutung molekularer Fingerabdrücke für die Medizin

10.11.2022

Prof. Dr. Ferenc Krausz hielt am 2. November 2022 im Max-Kade-Auditorium der Freien Universität Berlindie 21. Einstein Lecture.

Prof. Dr. Ferenc Krausz hielt am 2. November 2022 im Max-Kade-Auditorium der Freien Universität Berlindie 21. Einstein Lecture.
Bildquelle: Christoph Assmann

Ferenc Krausz gehört weltweit zu den bedeutendsten Physikern. Im Rahmen der 21. Einstein Lecture Dahlem an der Freien Universität zeigte er auf, wie seine jahrzehntelange Grundlagenforschung in der Laserphysik dazu dienen kann, Krebs und andere Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Mit der Einstein Lecture Dahlem wird seit 2005 das Wirken Albert Einsteins in Dahlem gewürdigt. Seit 2017 wird die Einstein Lecture der Freien Universität Berlin in Kooperation mit der Max-Planck-Gesellschaft durchgeführt.

Elektronen sind so klein und schnell, dass ihre Bewegung in atomaren Systemen seit ihrer Entdeckung vor über hundert Jahren lang als unmessbar galt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Elektron zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort befindet, kann sich innerhalb von Attosekunden verändern – eine Attosekunde ist ein Millardstel einer Millardstel-Sekunde. Seit Anfang des neuen Jahrtausends ist es möglich, diese Bewegungen der menschlichen Beobachtung zugänglich zu machen.

Maßgeblichen Anteil daran trägt der österreichisch-ungarische Physiker Ferenc Krausz, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching und Professor für Experimentalphysik – Laserphysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Jahr 2001 hatte Ferenc Krausz die ersten Attosekunden-Lichtblitze der Welt experimentell demonstriert, mit einer Dauer von 650 Attosekunden. Damit haben sich die atomaren Bewegungen von Elektronen in Momentaufnahmen festhalten und in Zeitlupe wahrnehmbar machen lassen.

„Wir erreichen eine zehnbilliardenfache Zeitdehnung“, sagt Krausz. „Wenn wir das Wort Zeitlupe einmal wörtlich nehmen und uns analog eine optische Vergrößerung im Ortsraum vorstellen, dann entspricht dieser Faktor in etwa einer Lupe, die aus 1000 Kilometern Entfernung ein einzelnes Atom sichtbar machen kann.“

Attosekunden-Physik hilft, um Krankheiten frühzeitig erkennen zu können

In seinem Vortrag an der Freien Universität ging Ferenc Krausz der Frage nach, wie sich die von ihm begründete Attosekunden-Physik abseits der Grundlagenforschung nutzbar machen lässt – zum Beispiel für die Früherkennung von Krankheiten.

„Wir können mit der Attosekunden-Messtechnik nicht nur Elektronen nachverfolgen, sondern auch den zeitlichen Verlauf von Lichtwellen präzise abtasten“, sagt der Wissenschaftler. „Mein Team und ich glauben, dass wir damit neue Möglichkeiten in der medizinischen Diagnostik schaffen können.“

Hierzu werden kürzeste Infrarot-Lichtpulse genutzt, um Blutproben zu durchleuchten. Die in der Probe vorhandenen Moleküle werden durch diese blitzartig angeregt und in Schwingung versetzt. Diese Schwingungen können ausgelesen werden. „Sie beinhalten eine Unmenge an Informationen“, sagt Krausz. „Wir sprechen daher auch von einem molekularen Fingerabdruck, der in diesem Falle in Infrarotwellen vermittelt wird.“

(v. l. n. r.) Prof. Dr. Petra Knaus, Vizepräsidentin der Freien Universität für Forschung, Prof. Dr. Tobias Kampfrath, Institut für Experimentalphysik, Freie Universität, und Prof. Dr. Ferenc Krausz, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik.

(v. l. n. r.) Prof. Dr. Petra Knaus, Vizepräsidentin der Freien Universität für Forschung, Prof. Dr. Tobias Kampfrath, Institut für Experimentalphysik, Freie Universität, und Prof. Dr. Ferenc Krausz, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik.
Bildquelle: Christoph Assmann

Die Frage ist nun: Lassen sich die kleinen Veränderungen, die Krankheiten in der molekularen Zusammensetzung von unserem Blut verursachen, mittels Infrarot-Fingerabdrücke der Blutproben nachweisen?

Dieser Hypothese geht Ferenc Krausz seit einigen Jahren gemeinsam mit seiner Kollegin Mihaela Zigman nach, die als Molekularbiologin im Team von Ferenc Krausz das einschlägige Forschungsprogramm leitet.

In einer ersten Studie versetzten sie mit ihrem Laser Blutproben von 64 Lungenkrebs-Patienten in Schwingung. Die Kurven verglichen sie mit denen einer Kontrollgruppe. Das Ergebnis war eindeutig: Bereits mit bloßem Auge waren Unterschiede im infraroten molekularen Fingerabdruck erkennbar – die Schwingungen bei den Proben der Krebskranken ließen sich identifizieren.

Die Forschenden trainierten einen Algorithmus darauf, die Unterschiede ausfindig zu machen. Bereits im ersten Versuch konnte er 81 Prozent der Krebskranken identifizieren. Weitere Versuche mit größeren Gruppen und anderen Krebsarten zeigten ähnliche Ergebnisse. „Und das, obwohl unser Laser im Moment weniger als zehn Prozent des Fingerabdrucks erfassen kann“, sagt Krausz.

Solidarität mit der Ukraine: Bildungsangebote für junge Menschen unterstützen

Seinen Vortrag – das hatte der Wissenschaftler anfangs gesagt – widme er den Menschen in der Ukraine. Die letzten Minuten nutzte er für einen Solidaritätsaufruf. Er machte auf die Situation von jungen Menschen in der Ukraine aufmerksam, die aufgrund des Krieges keinen Zugang mehr zu Bildungsangeboten hätten. „Im ganzen Land fehlt es an Lehrkräften, Schulen und Universitäten sind geschlossen“, sagt er. „Eine ganze Generation wird ihrer Zukunftschancen beraubt.“

Mit seiner Initiative „Science4People“ möchte Krausz Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewinnen, um Bildungsprojekte vor Ort zu unterstützten. In einem ersten Projekt konnte bereits 300 Kindern aus der Ostukraine ermöglicht werden, weiter eine Schule zu besuchen.

„Zukünftige Generationen werden mit molekularen Fingerabdrücken Durchbrüche in der medizinischen Diagnostik erzielen“, sagt Krausz. „Die Frage ist allerdings, welche Welt diese Generationen vorfinden werden. Wir alle stehen in der Verantwortung.“