Springe direkt zu Inhalt

Die Codes der akademischen Welt knacken

Anita Traninger im Interview: Die Romanistin erhält einen von zehn Leibniz-Preisen, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im kommenden Jahr vergibt

12.12.2022

Romanistikprofessorin Anita Traninger.

Romanistikprofessorin Anita Traninger.
Bildquelle: Miriam Klingl

Die Romanistin, die seit 2015 als Professorin an der Freien Universität lehrt und forscht und seit 2019 Co-Sprecherin des Exzellenzclusters „Temporal Communities. Literatur als Praxis in globaler Perspektive“ ist, wird insbesondere für ihre Rhetorik-Forschung mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet. Im campus.leben-Interview berichtet sie, welche Bedeutung die Auszeichnung für sie hat und weshalb ihre wissenschaftliche Arbeit auch mit ihrer persönlichen Herkunft zu tun hat.

Frau Professorin Traninger, herzlichen Glückwunsch zum Leibniz-Preis – wie haben Sie von der Auszeichnung erfahren?

Herzlichen Dank! Eine Mitarbeiterin der DFG hat mich auf meiner privaten Festnetznummer angerufen und mir gesagt, dass ich mich hinsetzen soll. Also: Sitzend und mit Herzklopfen habe ich es erfahren.

Sie werden für Ihre international anerkannten Studien in der frühneuzeitlichen Romanistik ausgezeichnet. „Bahnbrechend“ sei dabei Ihr Verständnis der Rhetorik „als historisch variables Ensemble mediengebundener Praktiken“, heißt es in der Erklärung. Was ist damit gemeint, wie würden Sie Ihr Verständnis von Rhetorik erklären?

Man spricht ja gemeinhin von „der klassischen Rhetorik“, ganz so, als ob es eine einzige unveränderliche Rhetorik gäbe. In der Frühen Neuzeit, also in der Zeit zwischen 1400 und 1750, wird die Antike zwar zur alles überragenden Vorbildkultur, zugleich erfindet man die Rhetorik unter dem Vorzeichen des Buchdrucks und in der Auseinandersetzung zwischen Scholastik und Humanismus neu. Die Beziehungen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Präsenz- und Fernkommunikation werden ganz neu ausgehandelt.

Die Programme und Ideale mit den tatsächlichen Praktiken zu konfrontieren, darum geht es unter anderem in meiner Forschung. Ich fasse Rhetorik als Praxis zwischen den Medien auf, die Gelehrsamkeit, Dichtung und Wissensproduktion verbindet – und das quer durch die Sprachen.

Gibt es einen direkten Bezug Ihrer Forschung zur Gegenwart? Einen Anwendungsbezug?

Die Rhetorik ist vielleicht die am stärksten anwendungsbezogene Disziplin überhaupt. Was den Gegenwartsbezug betrifft, so lassen sich zum Beispiel die Medienrevolutionen der Frühen Neuzeit – nach dem Buchdruck auch die Erfindung der periodischen Presse – gut befragen mit Blick auf Herausforderungen, vor denen wir im Zeitalter der Sozialen Medien stehen.

Ganz praktisch habe ich mit meinem Team zum Beispiel ein Lehrprojekt ins Leben gerufen, das die Konventionen und Habitusformen, die die deutsche Universität prägen, unter dem Gesichtspunkt der Rhetorik historisch herleitet und erklärt. Das Angebot richtet sich nicht nur, aber ganz besonders an diejenigen, die aus dem Ausland oder aus nichtakademischen Elternhäusern zu uns kommen.

Ich bin selbst die Erste in meiner Familie, die Abitur – also Matura, ich komme ja aus Österreich – gemacht hat und an die Universität gegangen ist. Vor diesem Hintergrund fand ich Rhetorik als lehr- und lernbares Verfahren immer schon hilfreich, um die sprachlichen und nichtsprachlichen Codes der akademischen Welt zu knacken.

Der Leibniz-Preis ist der höchstdotierte Forschungspreis in Deutschland – wofür werden Sie das Geld einsetzen?

Natürlich für die Rhetorik-Forschung. Ich habe einige Herzensprojekte in der Schublade, die ich über die Jahre immer wieder aufschieben musste. Die nächsten Wochen werde ich nutzen, um ein Vorhaben zu entwerfen, für das ich über die nächsten sieben Jahre eine Arbeitsgruppe aufbauen kann.

Was bedeutet Ihnen der Preis persönlich?

Ich bin noch dabei, das alles zu realisieren. Absolut überwältigend ist das Vertrauen, das damit in meine zukünftige Forschung gesetzt wird. Das bedeutet mir persönlich unglaublich viel, weil damit nicht allein auf die historischen Geisteswissenschaften gesetzt wird, sondern auch auf eine fächerübergreifende Perspektive.

Wie haben Sie die Auszeichnung gefeiert?

Unmittelbar nach der Bekanntgabe haben wir spontan im Kreis von Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen angestoßen. Wie viele sich darüber hinaus so sehr mit mir gefreut haben, dass sie sich die Zeit genommen zu haben, um mir von überall her zu schreiben, anzurufen, zu twittern, hat mich tief berührt. Die richtige Party wird aber wohl nach der Verleihung stattfinden, dann mit ein bisschen mehr Vorlauf für die Planung.

Die Fragen stellte Christine Boldt