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Zwischen Aufbruch und Stillstand

Auf Reisen mit dem Bundespräsidenten in Nordmazedonien und Albanien

23.12.2022

Blick von der Burg über die Stadt Berat in Albanien.

Blick von der Burg über die Stadt Berat in Albanien.
Bildquelle: Jesco Denzel

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bereiste vier Tage lang Nordmazedonien und Albanien. Als Teil der Delegation auf dieser Reise Ende November begleitete ihn Benjamin Langer — Mitarbeiter der Freien Universität und langjähriger Kenner der mazedonischen Kultur und Sprache. 

Mazedonien ist seit 2005 Beitrittskandidat der Europäischen Union. Doch auf seinem Weg nach Europa muss das Land viel erdulden. Jahrelang ist das Beitrittsverfahren zunächst durch einen Namensstreit mit Griechenland blockiert. Der südliche Nachbar fordert, das Land müsse sich umbenennen und klarer von Makedonien abgrenzen — der historischen Region Alexanders des Großen, die zum Teil in Griechenland liegt. 2019 lenkt die Regierung in Skopje schließlich ein. Aus Mazedonien wird in einem als schmerzhaft empfundenen Kompromiss die Republik Nordmazedonien. Kaum aber ist die Sache gelöst, meldet sich der östliche Nachbar: Bulgarien verlangt, Nordmazedonien solle die gemeinsamen historischen und kulturellen Wurzeln und die bulgarische Minderheit im Land anerkennen.

„Das klingt zunächst harmlos, bekommt aber schnell eine andere Dimension“, sagt Benjamin Langer. „Denn zugleich erklärt die bulgarische Regierung, sie werde die mazedonische Sprache niemals anerkennen, da es sich lediglich um einen bulgarischen Dialekt handle.“

Benjamin Langer ist Mitarbeiter im Referat Wissenschaftsbeziehungen in der Abteilung Internationales der Freien Universität — und Experte der mazedonischen Kultur und Sprache. Er lebte vier Jahre lang in Skopje, promovierte über das Land und übersetzte zahlreiche literarische Werke aus dem Mazedonischen ins Deutsche. Als der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Ende November nach Nordmazedonien reist, begleitet Langer die Reise als Sondergast der Delegation.

Während eines Empfangs in Tirana: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Benjamin Langer.

Während eines Empfangs in Tirana: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Benjamin Langer.
Bildquelle: bpa (Jesco Denzel)

„Unter den neuen Bedingungen hat die Zustimmung der nordmazedonischen Bevölkerung zur EU-Integration massiv abgenommen“, sagt Langer. „Viele Menschen sind frustriert und enttäuscht. Sie möchten Teil der EU sein, sehen jedoch seit nunmehr fast 20 Jahren immer wieder Stillstand.“

Nun habe der Bundespräsident mit der Reise ein Zeichen gesetzt. Frank-Walter Steinmeier habe den Menschen vor Ort Mut gemacht, sie darin bestärkt, den Weg der europäischen Integration weiter zu gehen — wenn er auch steinig sei. Denn im Moment liegen die Beitrittsverhandlungen wegen des Zwistes mit Bulgarien wieder auf Eis. „Fortgeführt werden können sie derzeit nur unter der Voraussetzung, dass die bulgarische Minderheit in Nordmazedonien durch eine Verfassungsänderung offiziell anerkannt wird“, erklärt Langer. „Die dafür nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament ist aber nicht in Sicht. Auch, weil zusätzlich eine Einigung mit Bulgarien über geschichtliche und kulturelle Fragen zum Kriterium für den Beitritt gemacht wird.“

Ein verregneter Spaziergang durch die Altstadt Skopjes, mit einem Himmel aus EU-Regenschirmen.

Ein verregneter Spaziergang durch die Altstadt Skopjes, mit einem Himmel aus EU-Regenschirmen.
Bildquelle: Benjamin Langer

Der Status als Beitrittskandidat habe im Land durchaus vieles zum Positiven verändert. So sei mit europäischen Geldern viel Infrastruktur im Land aufgebaut worden. Die nordmazedonische Regierung habe viel für den Ausbau der Wirtschaft durch ausländische Investitionen getan. Dennoch gebe es weiter Reformbedarf etwa im Justizwesen und im Kampf gegen Korruption. 

„Durch den langen Stillstand in den Beitrittsverhandlungen sehen insbesondere viele jüngere Menschen keine Perspektive mehr im Land“, sagt Langer. „Die Abwanderung hat dramatische Ausmaße angenommen.“ Termine in den Botschaften europäischer Staaten müssten wegen des Andrangs mittlerweile im Losverfahren vergeben werden. 

Umso beeindruckender sei es für ihn gewesen, auf der Reise einen deutschen Betrieb zu besuchen, der vor Ort nach dem deutschen dualen System ausbildet. Auch eine Windkraftanlage – der erste Windpark auf dem Balkan –, die durch deutsche Investitionen entstanden ist, stand auf dem Besuchsplan. 

Zwei Tage reiste Langer als Teil der Delegation durch Nordmazedonien. Anschließend ging es weitere zwei Tage nach Albanien. Als Sondergast absolvierte Langer das offizielle Programm der Reise, nur während der politischen Gespräche gab es ein paralleles Kulturprogramm. „Wir haben viele bereichernde Gespräche führen können“, sagt Langer. „Und natürlich war es für mich auch eine Ehre, Deutschland und die Freie Universität im Ausland ein kleines Stück weit vertreten zu können.“

Zur mazedonischen Kultur kommt Langer nach Abschluss seines Germanistik-Studiums. Er bewirbt sich damals für das Lektorenprogramm der Robert Bosch Stiftung. „Eigentlich hatte ich das Ziel, nach Rumänien zu gehen“, sagt Langer. „Dass es am Ende Mazedonien wurde, ist der Auswahlkommission zuzuschreiben – wofür ich ihr heute noch dankbar bin.“ Vier Jahre bleibt Langer letztlich vor Ort, da er vom Boschlektorat direkt auf ein DAAD-Lektorat wechseln kann, und lernt die Sprache. Die mazedonische Kultur fasziniert ihn — gerade auch, weil in Deutschland oft so wenig darüber bekannt ist. Schließlich promoviert Langer über Darstellungen Mazedoniens in der deutschsprachigen Literatur und beginnt, mazedonische Literatur ins Deutsche zu übersetzen. 

Inzwischen ist Langer einer der namhaftesten Übersetzer für mazedonische Literatur. 2017 ist er für seine Verdienste mit der Blaže-Koneski-Medaille der Mazedonischen Akademie der Wissenschaften und Künste ausgezeichnet worden.

„Die Einladung des Präsidialamtes war für mich auch eine Anerkennung meiner bisherigen Arbeit im deutsch-mazedonischen Kulturaustausch“, sagt Langer. Als der Bundespräsident auf dem Höhepunkt der Reise eine Rede im nordmazedonischen Parlament hält, schließt sich ein Kreis. Frank-Walter Steinmeier zitiert aus dem Roman „Quecke“ von Petre M. Andreevski. Er ist ein Klassiker der mazedonischen Literatur — und auf Deutsch in der Übersetzung von Benjamin Langer erschienen.