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Mit den „Augen“ von Algen sehen: Photobiologie als Berliner Erfolgsgeschichte

Der Biophysiker Peter Hegemann hat die diesjährige Einstein Lecture Dahlem gehalten

07.12.2023

„Berlin ist auf dem Gebiet der Photobiologie Weltspitze“, betonte Peter Hegemann in seinem Festvortrag.

„Berlin ist auf dem Gebiet der Photobiologie Weltspitze“, betonte Peter Hegemann in seinem Festvortrag.
Bildquelle: Christoph Assmann

Peter Hegemann ist einer der weltweit führenden Experten für sensorische Photorezeptoren – das sind Proteine, die Lichtinformation aufnehmen und in elektrische oder biochemische Signale umwandeln. Der Biophysiker lieferte die Grundlage für bahnbrechende Anwendungen in den Neurowissenschaften und der Medizin. Die diesjährige Einstein Lecture Dahlem an der Freien Universität nutzte der Wissenschaftler, um Berlin als herausragenden Standort für die Photobiologie zu würdigen.

Im Jahr 2002 konnte Peter Hegemann in einer kleinen Grünalge namens Chlamydomonas reinhardtii ein besonderes Sehpigment nachweisen – und löste damit eine Revolution in den Neurowissenschaften aus.

Heute gilt der Biophysiker aufgrund seiner Entdeckungen als Mitbegründer der sogenannten Optogenetik. Dabei werden Nervenzellen von Menschen und Tieren selektiv so verändert, dass sie mit Lichtreizen gezielt aktiviert werden können. Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt arbeiten daran, auf diese Weise etwa neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson zu behandeln. „Wir erforschen lichtsensitive Proteine in Mikroorganismen“, sagt Peter Hegemann. „Und verändern sie dann so, dass sie in der neuronalen Forschung eingesetzt werden können.“

Peter Hegemann ist seit 2005 Professor für Experimentale Biophysik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2015 hat er dort zudem die Hertie-Professur für Neurowissenschaften inne. Für seine Arbeit wurde er 2021 mit dem Albert-Lasker-Preis für medizinische Grundlagenforschung geehrt, eine der weltweit höchsten wissenschaftlichen Auszeichnungen. Am 7. November hielt Peter Hegemann an der Freien Universität die diesjährige Einstein Lecture Dahlem.

Ins Zentrum seines Vortrags rückte Hegemann die bedeutenden Leistungen auf dem Gebiet der Photobiologie, die in Berlin erzielt wurden. „Die Photosynthese ist der vielleicht wichtigste biochemische Prozess auf unserem Planeten“, sagt er. „Und kaum jemand weiß, dass seine Entschlüsselung maßgeblich in Berlin gelang.“

Die Anfänge, zeigte Hegemann in seinem Vortrag auf, liegen in der Forschungsarbeit von Wissenschaftlern wie Otto Warburg und Max Delbrück – beide Nobelpreisträger, die ihre Wirkungsstätten an Kaiser-Wilhelm-Instituten in Dahlem hatten, Vorläuferinstitutionen der späteren Max-Planck-Institute. „Doch es dauerte fast 100 Jahre, bis wir den Mechanismus vollständig entschlüsselt hatten“, sagt Hegemann. „Und dies verdanken wir Forscherinnen und Forschern aller drei Berliner Universitäten.“

Ein Protein namens Rhodopsin

Den letzten Baustein zur Entschlüsselung der Photosynthese habe erst in diesem Jahr die Forschungsgruppe um Holger Dau, Professor für Biophysik an der Freien Universität, geliefert. „Berlin ist auf dem Gebiet der Photobiologie Weltspitze“, sagt Hegemann. „Und ich setze mich sehr dafür ein, dass wir dieses herausragende Potenzial gemeinsam nutzen.“

Der Schlüssel zu Hegemanns eigener Forschung liegt in einem Protein namens Rhodopsin. Der auch als Sehpigment bezeichnete Stoff ist vor allem in der Netzhaut unserer Augen zu finden. Dort nimmt er Licht auf und setzt eine Reaktion in Gang, bei der optische Reize in elektrische Energie umgewandelt und schließlich über Nervenbahnen ins Gehirn weitergeleitet werden.

„Lange Zeit nahm man an, dass Rhodopsin ausschließlich in den Augen von Menschen und Tieren zu finden ist“, sagt Hegemann. „Erst in den 1970er Jahren wandelte sich das Verständnis.“ Es war Hegemanns Doktorvater, der Münchner Biochemiker Dieter Oesterhelt, dem es damals erstmals gelang, Rhodopsin auch in der Zellmembran von Bakterien nachzuweisen.

Dann, im Jahr 2002, gelang Peter Hegemann selbst ein Durchbruch: Er konnte Rhodopsin im Organismus einer einzelligen Grünalgenart nachweisen. „Die Algen können zwar nicht sehen wie wir“, sagt Hegemann, „sie besitzen aber einen kleinen sogenannten Augenfleck, ebenfalls bestückt mit Rhodopsin, durch den sie sich am Licht orientieren können.“

Die revolutionäre Entdeckung: Die Übersetzung von Licht in elektrische Energie verläuft bei der Alge um ein Vielfaches schneller als im Auge von Mensch und Tier. Während normalerweise ein mehrstufiger chemischer Prozess zwischengeschaltet ist, fungiert das Rhodopsin bei der Alge als direkter Kanal.

Das „Kanalrhodopsin“, wie Hegemann und sein Team ihre Entdeckung im Jahr 2002 tauften, entpuppte sich als äußerst effizienter Mechanismus. „Wir kamen daher auf die Idee, dieses Protein in andere Zellen einzubauen und dort nutzbar zu machen“, sagt Hegemann. Dies gelang zunächst in Froscheiern, schließlich auch in menschlichen embryonalen Nierenzellen. Die Zellen besaßen nun gewissermaßen einen An-Aus-Schalter, der sich mit Licht steuern ließ. Bestrahlte man sie, gerieten sie in Erregung.

Grundlagenforschung für „revolutionäre Anwendungen“

Schnell interessierten sich Forscherinnen und Forscher aus aller Welt für Hegemanns Arbeit. Zum Durchbruch brachte die Technologie schließlich der an der US-amerikanischen Stanford-Universität forschende Neurowissenschaftler Karl Deisseroth.

Heute gilt das Feld der Optogenetik als vielversprechender Weg, um die Rätsel des Gehirns zu entschlüsseln und Krankheiten zu heilen. In den vergangenen Jahren gelang es sogar, einem Menschen, der durch genetische Erkrankungen erblindet war, mithilfe der Algenrhodopsin wieder rudimentäres Sehen zu ermöglichen.

„Als wir anfingen, Algen zu erforschen, hätten wir uns nicht vorstellen können, dass sich einmal Hirnforscher und Mediziner für unsere Arbeit interessieren würden“, sagt Hegemann. „Aber so funktioniert Wissenschaft. Wenn man revolutionäre Anwendungen möchte, muss man Grundlagenforschung betreiben.“