Kulturwissenschaftlerin und Koran-Expertin Angelika Neuwirth mit Leopold Lucas-Preis 2015 der Universität Tübingen geehrt
Evangelische Fakultät würdigt Rolle der Wissenschaftlerin im Dialog zwischen Islam, Judentum und Christentum
Nr. 132/2015 vom 12.05.2015
Die Kulturwissenschaftlerin Angelika Neuwirth von der Freien Universität Berlin ist am Dienstag an der Eberhard Karls Universität Tübingen mit dem diesjährigen Dr. Leopold Lucas-Preis ausgezeichnet worden. In der Begründung der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität hieß es, die Wissenschaftlerin genieße höchste internationale Reputation und trage aktiv zum Dialog zwischen Islam, Judentum und Christentum bei. Die Wissenschaftlerin hatte über mehrere Jahre eine Professur für Arabistik an der Freien Universität Berlin inne und wirkte auch an zentralen Orten des östlichen Mittelmeerraumes; als Ko-Direktorin des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin sowie gegenwärtig als Leiterin des Forschungsvorhabens Corpus Coranicum. Zu ihrem wissenschaftlichen Werk gehören grundlegende Beiträge zum Koran und zur Koranexegese, die Analyse moderner arabischer Literatur der Levante und die Erforschung der palästinischen Dichtung und der Literatur des israelisch-palästinensischen Konflikts.
Angelika Neuwirth (geb. 1943) studierte persische Sprache und Literatur in Teheran, Semitistik, Arabistik und Klassische Philologie an der Universität Göttingen sowie Arabistik und Islamwissenschaft an der Hebräischen Universität Jerusalem. In Göttingen wurde sie 1972 promoviert, 1977 habilitierte sie sich an der LMU München für Arabistik und Islamwissenschaft. Als Gastprofessorin lehrte sie sechs Jahre Arabische Philosophie an der Universität von Jordanien in Amman und leitete dort von 1981 bis 1983 eine Sektion an der Royal Academy for Islamic Civilization. Von 1984 bis 1991 wirkte sie an der Universität Bamberg, bevor sie dem Ruf auf eine Professur für Arabistik an der Freien Universität Berlin folgte. Von 1994 bis 1999 war sie Direktorin des Orient-Instituts der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Beirut und Istanbul. Im Jahr 1996 erhielt die Wissenschaftlerin das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für ihre Verdienste um die kulturelle Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Libanesischen Republik. Im Jahr 2006 wurde sie mit dem Förderpreis der Fritz Thyssen Stiftung und der Volkswagen-Stiftung geehrt; 2008 wurde sie zum Mitglied der Sektion Kulturwissenschaften der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina berufen. Sie erhielt Ehrendoktorwürden der Universitäten Bamberg, Basel, Salzburg und Yale, ist Foreign Honorary Member der American Academy of Arts and Sciences und wurde 2013 mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa und dem Muhammad-Nafi-Tschelebi-Preis zur Förderung des interreligiösen Dialogs zwischen Religionen, Traditionen und Kulturen ausgezeichnet.
Der Dr. Leopold Lucas-Preis ist mit 50.000 Euro dotiert und würdigt hervorragende Leistungen auf den Gebieten der Theologie, Geistesgeschichte, Geschichtsforschung und Philosophie. Er ehrt Persönlichkeiten, die sich auch um die Verbreitung des Toleranzgedankens verdient gemacht und die Beziehungen zwischen Menschen und Völkern erkennbar gefördert haben. Generalkonsul Franz D. Lucas, Ehrensenator der Universität Tübingen, stiftete den Preis 1972 aus Anlass des 100. Geburtstages seines Vaters, des jüdischen Gelehrten und Rabbiners Dr. Leopold Lucas. Dieser wurde 1872 in Marburg/Lahn geboren und kam 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt ums Leben. Die Evangelisch-Theologische Fakultät verleiht den Preis jährlich im Namen der Universität Tübingen.
Zu den bisherigen Preisträgern gehören Gelehrte wie Schalom Ben-Chorin (1974), Karl Raimund Popper (1981), Karl Rahner (1982), Fritz Stern und Hans Jonas (1984), Paul Ricoeur (1989), Moshe Zimmermann (2002), Yosef Hayim Yerushalmi (2005), Dieter Henrich (2008), Seyla Benhabib (2012) und Giorgio Agamben (2013), aber auch Repräsentanten religiösen Lebens wie der 14. Dalai Lama (1988), der polnische Erzbischof Hendrik Muszynski (1997) und der evangelische Bischof Eduard Lohse (2007) sowie Vertreter aus Kultur und Politik wie der senegalesische Dichter und Staatspräsident Léopold Sédor Senghor (1983) und Altbundespräsident Richard von Weizsäcker (2000). Im vergangenen Jahr wurde der Preis dem Judaisten Peter Schäfer verliehen, der lange Jahre an der Freien Universität Berlin forschte und lehrte.