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Wie kann ein einfacher genetischer Code ein kompliziertes Gehirn bauen?

Studie von Wissenschaftlern der Freien Universität: Komplexe visuelle Karte im Gehirn einer Fliege entsteht nach drei einfachen Regeln

Nr. 196/2015 vom 25.06.2015

Die hochkomplexe Gehirnstruktur von Fruchtfliegen verschaltet sich nach drei einfachen Regeln, wie Wissenschaftler der Freien Universität Berlin, der University of California in San Francisco sowie der University of Texas Southwestern Medical Center in einer aktuellen Studie in der Fachzeitschrift „Cell“ zeigen. Den Forschern um den Neurogenetiker und Professor für Neurobiologie an der Freien Universität und im Exzellenzcluster NeuroCure Peter Robin Hiesinger sowie die Professoren Lani Wu und Steven Altschuler aus San Francisco gelang es erstmals, den vollständigen Entwicklungsprozess der Gehirnstruktur, die für die Flugleistung notwendig ist, im lebenden Tier zu filmen. Daraus entwickelten sie ein mathematisches Modell, anhand dessen die Verdrahtung visueller Karten im Fliegengehirn demonstriert und reproduziert werden kann. Dieser Algorithmus basiert auf drei einfachen Regeln, die das Ausbilden der Gehirnstruktur steuern. Die Studie zum sogenannten intravitalen Imaging der Gehirnentwicklung in der Fruchtfliege wurde am Donnerstag in der renommierten Fachpublikation „Cell“ veröffentlicht.

Stellt man sich vor, wie aufwendig das Steuerungszentrum einer selbstfliegenden Drohne programmiert werden müsste, damit sie im dreidimensionalen Raum ohne Kollisionen fliegen, an der Decke landen sowie Hindernissen schnell ausweichen kann, bekommt man eine Vorstellung von der erstaunlich komplexen Gehirn- und Flugleistung einer Fliege. Um diese zu erbringen, benötigt sie eine visuelle Umgebungskarte – im Falle von Drosophila, der Fruchtfliege, eine Karte mit 800 Pixeln, die jeweils von sechs Sehzellen wahrgenommen werden. Die Axone, kabelartige Verlängerungen der Sehzellen an unterschiedlichen Positionen im Auge, senden ihre Informationen an diese visuelle Karte im Gehirn. Dort müssen sie sortiert und zusammengefasst werden – insgesamt bauen also 4.800 einzelne „Kabel“ die entsprechende Gehirnstruktur.

Die Arbeitsgruppen um Hiesinger, Altschuler und Wu haben sich entwickelnde Fliegenpuppen unter einem Laser-Multiphotonenmikroskop 20 Stunden lang gescannt, um die Verdrahtung der einzelnen Axone im Gehirn zu beobachten. Die 0,1 mm großen Gehirne der 2–3mm langen Fliegenpuppen wurden mit einer Auflösung von einem tausendstel Millimeter gefilmt. Die Forscher fanden heraus, dass der Verschaltungsprozess nach einem strengen Muster „durchchoreographiert“ ist. Mithilfe des entwickelten Algorithmus‘ konnten sie zeigen, dass diese Verdrahtung nach drei einfachen Regeln gesteuert wird.

Prof. Hiesinger hat 2014 einen Ruf der Freien Universität Berlin für eine Neurobiologie-Professur angenommen. Im März 2015 nahm seine Arbeitsgruppe am Institut für Biologie ihre Tätigkeit auf. Seine Arbeit basiert auf der Entwicklungsgenetik, die sich sich damit beschäftigt, wie entwicklungsbiologische Programme von Genen initiiert und ausgeführt werden, um Körperteile aufzubauen. Alle Lebewesen – Fliege wie Mensch – werden von einigen Tausend Genen kodiert. Das Gehirn hat bei diesen Prozessen eine Sonderstellung: Um unsere hochkomplexen „Bio-Computer“ zu verdrahten, benötigt es ein zugrundeliegendes Entwicklungsprogramm und muss zugleich Umwelt- und Lerneinflüsse verarbeiten.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Peter Robin Hiesinger, Institut für Biologie der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-58698, E-Mail: p.rh@fu-berlin.de

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