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Studie: Kreuzberg oder Marzahn – welchen Berlinern wird das meiste Vertrauen entgegengebracht?

Wissenschaftler der Freien Universität Berlin untersuchen, wie Stereotype über Stadtteile das Vertrauen in deren Bewohner beeinflussen

Nr. 221/2015 vom 13.07.2015

Stereotype über Stadtteile beeinflussen einer Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin zufolge das Verhalten gegenüber den Bewohnern dieser Stadtteile systematisch. Untersucht wurden die Berliner Stadtteile Charlottenburg, Kreuzberg, Wedding, Prenzlauer Berg und Marzahn, die exemplarisch für sehr unterschiedliche Stereotype stehen und zugleich unterschiedliche soziale Profile aufweisen. Die Wissenschaftler ließen Testpersonen an einem Vertrauensspiel teilnehmen, bei dem über die Mitspieler lediglich deren Wohnbezirk und keinerlei andere Eigenschaften bekannt waren. Die Ergebnisse spiegeln weit verbreitete Stereotype über Stadtteile wider. So wird Mitspielern aus negativ stereotypisierten Stadtteilen wie Marzahn oder Wedding deutlich weniger Vertrauen entgegengeracht als etwa Mitspielern aus Charlottenburg, Kreuzberg und Prenzlauer Berg, Stadtteilen mit eher positiven Stereotypen. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift City & Community erschienen.

„Die Ergebnisse zeigen, dass weit verbreitete Stadtteil-Stereotype unsere Interaktion mit Menschen aus diesen Stadtteilen beeinflussen“, sagt Christian von Scheve, Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin. Die Studie verdeutliche, dass negative Stereotype die Entstehung von Vertrauen und Kooperation verhindern könnten. Stadtteil-Stereotype würden vor allem dann wirksam, wenn Personen insgesamt sehr wenig über andere Menschen wüssten. „Bemerkenswert dabei ist, dass solche Stereotype nicht unbedingt die tatsächlichen Lebensverhältnisse eines Stadtteils widerspiegeln, aber trotzdem ein wichtiger Bezugspunkt des Verhaltens sind“, betont der Wissenschaftler.

So wurde Mitspielern aus Marzahn entsprechend des negativen Stereotyps eines „Plattenbau-Ghettos“ vergleichsweise wenig Vertrauen entgegengebracht, obgleich die soziodemographischen Merkmale des Bezirks relativ positiv sind. Kreuzberger hingegen wurden als vertrauenswürdig eingeschätzt, obgleich Kreuzberg ein deutlich niedrigeres durchschnittliches Nettoeinkommen und eine höhere Arbeitslosenzahl aufweist. Insgesamt bezogen die Wissenschaftler neben diesen Kennzahlen auch die Altersstruktur, den Ausländeranteil, die Kriminalitätsrate sowie einen Sozialindex mit weiteren verschiedene Faktoren in ihre Analysen ein, wie vorzeitige Sterblichkeit gemessen am durchschnittlich erreichten Lebensalter.

In dem experimentellen Vertrauensspiel konnten die Testpersonen durch höhere Geldeinsätze in ein gemeinsames Projekt sowohl ihren eigenen als auch den Gewinn der anonymen Mitspieler steigern. Die Entscheidung über den Geldeinsatz setzte jedoch Vertrauen in die Kooperationsbereitschaft des Mitspielers voraus, so dass an der Höhe des Geldeinsatzes das Ausmaß des Vertrauens abgelesen werden konnte.

Die Stadtteile, die Teil des Experiment waren, wurden exemplarisch ausgewählt, da auch die Teilung der Stadt von 1948 bis 1989 berücksichtigt werden sollte. Zudem existieren über diese „Kieze“, so der Berliner Ausdruck für Wohnbezirke, eine Fülle an Zuschreibungen etwa in Filmen, Dokumentationen, Reiseführeren oder auch im Kabarett, so dass von einer großen Verbreitung von stereotypen Bildern ausgegangen werden kann. Eine weitere Rolle spielte das unterschiedliche soziodemographische Profil der Stadtteile.

Die Wissenschaftler, neben Christian von Scheve waren Lidia A. Gorbunova und Jens Ambrasat an der Studie beteiligt, sehen ihre Untersuchung als Beitrag zur Segregationsforschung. Diskrimination von Stadtteilen lasse sich nicht nur rational erklären, schreiben sie in ihrem Aufsatz, auch kulturelle, emotionale und sozialpsychologische Faktoren spielten eine wichtige Rolle.

Weitere Informationen

Literatur

Lidia A. Gorbunova, Jens Ambrasat, and Christian von Scheve: “Neighborhood Stereotypes and Interpersonal Trust in Social Exchange: An Experimental Study”, in: City & Community (2) 14, Juni 2015, doi: 10.1111/cico.12112.

Kontakt

Prof. Dr. Christian von Scheve, Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin, Telefon 030 838 57695, E-Mail christian.von.scheve@fu-berlin.de