Springe direkt zu Inhalt

Landschaft vergisst nicht

Neueste Ergebnisse Potsdamer und Berliner Geowissenschaftler in Science veröffentlicht

Nr. 400/2015 vom 17.12.2015

Extremereignisse in der jüngsten Erdgeschichte aufzuspüren, gehört zur geowissenschaftlichen Forschung von Dr. Wolfgang Schwanghart und Prof. Oliver Korup, PhD aus der Arbeitsgruppe Naturgefahren an der Universität Potsdam. In einer gerade im Wissensmagazin Science veröffentlichten Studie untersuchten die beiden Wissenschaftler mit einem internationalen Team mächtige Ablagerungen im Pokhara-Tal im Himalaja-Staat Nepal. Beteiligt war daran als Ko-Autor Dr. Philipp Hoelzmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Geographische Wissenschaften der Freien Universität Berlin. Detaillierte Untersuchungen zeigen nun erstmals, dass drei starke Erdbeben im Mittelalter weitreichende Umwälzungen in der Landschaft um Nepals zweitgrößte Stadt zur Folge hatten. Die Erdbebenwellen lösten Massenbewegungen aus, die Unmengen an Schutt aus dem Annapurna-Massiv über 60 Kilometer weit verlagerten. Sie verfüllten damit ein gutes Dutzend Täler bis zu 100 Metern hoch. Vergleichbare Landschaftsveränderungen blieben bei jüngeren Erdbeben aus und verdeutlichen das enorme Zerstörungspotential von großen Erdbeben auf dem Dach der Welt.

Als im Frühjahr 2015 in Nepal die Erde mit einer Magnitude von 7.4 auf der Richterskala erzitterte, brachte dies fast 9.000 Menschen in Nepal den Tod. Über 20.000 Personen wurden verletzt und mehr als eine halbe Million Häuser zerstört. Tausende Erdrutsche begruben Dörfer und Straßen und blockierten Flüsse. Aus früheren Studien ist bekannt, dass starke Erdbeben noch über Jahre hinweg zu einer erhöhten Rutschungsgefahr auf Hängen führen. Auch Flüsse sind mit dem angefallenen Schutt belastet, und somit steigt die Hochwassergefahr. Diese langfristigen Folgen erschweren den Wiederaufbau der Infrastruktur und die Rückkehr zu einem Leben wie vor dem Beben.

Nun fanden die Wissenschaftler Hinweise darauf, dass die Auswirkungen von einzelnen Starkbeben auch noch Jahrhunderte später das Landschaftsbild und seine formenden Prozesse prägen können. Die vor allem jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Team kombinieren sedimentologische und geochemische Untersuchungen, wie Radiokarbon-Datierungen und statistischer Modellierung. Sie zeigen damit, dass die Stadt Pokhara, eines der wichtigsten Touristenziele Nepals, auf dem Schutt von drei mittelalterlichen Erdbeben mit Magnituden größer als acht gebaut ist. Diese teils schriftlich belegten Beben in den Jahren 1100, 1255 und 1344 lösten katastrophale Massenbewegungen und Flutereignisse aus, die aus dem vergletscherten Annapurna-Massiv heraus über mehr als 60 Kilometer des ursprünglichen Gewässernetzes unter sich begruben, viele Nebenflüsse verstopften und dort Seen stauten, von denen noch einige heute den Reiz der Landschaft um Pokhara ausmachen.

Obgleich diese mittelalterlichen Erdbeben bereits bekannt waren, blieben deren Auswirkungen auf Landschaft und Bewohner im zentralen Himalaja lange ein Rätsel. Die Studie unter der Federführung von Wolfgang Schwanghart ist daher ein wichtiger Schritt, um mächtige Ablagerungen, wie die in Pokhara, als unabhängige Archive vergangener Erdbeben begreifen zu können. Mit sorgfältigen sedimentologischen Beschreibungen und umfangreichen Datierungen könnte man in Zukunft nicht nur den Zeitpunkt, sondern auch die Folgen, historisch oder geologisch dokumentierter Starkbeben unabhängig belegen beziehungsweise besser einschätzen.

Noch heute passen sich den Erkenntnissen zufolge die Flüsse im Pokhara-Tal an die katastrophale Zufuhr mittelalterlicher Sedimentmengen an. Flüsse graben sich in die Ablagerungen, verlagern sich rapide und erschweren so den Brückenbau, während kollabierende Seitenwände tief eingeschnittener Canyons gefährlich nahe an Häuserzeilen heranrücken. Unterdessen führen Höhlen im Untergrund zu häufigen Erdfällen. Im Jahr 2012 wurden durch eine Sturzflut, ausgelöst durch einen Bergsturz in der Quellregion der mittelalterlichen Ablagerungen, mehr als 70 Menschen getötet. Die Landschaft um Pokhara reagiert auch heute noch schnell, und ein Teil des damit verbundenen Naturgefahrenpotentials für die ansässige Bevölkerung wurde bereits vor über 900 Jahren durch starke Erdbeben mitbestimmt.

Kontakt

Internet

www.sciencemag.org/content/early/2015/12/15/science.aac9865.abstract

Presse-Anfragen

Dr. Barbara Eckardt, Universität Potsdam, Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Telefon: 0331 / 977-2964, E-Mail: presse@uni-potsdam.de