Springe direkt zu Inhalt

Wenn Pflanzen nicht richtig ticken

Biologen der Freien Universität haben bislang unbekannte Form von Stress bei Pflanzen entdeckt

Nr. 272/2016 vom 08.08.2016

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Dahlem Centre of Plant Sciences (DCPS) der Freien Universität haben eine neue Form von Stress bei Pflanzen entdeckt. Der „circadiane Stress“, so die Bezeichnung durch die Forscher, wird den Ergebnissen zufolge durch eine Veränderung des Tag-Nacht-Rhythmus‘ ausgelöst. Pflanzen stimmen ihre physiologischen und entwicklungsbedingten Prozesse auf den Tagesverlauf ab, kommt es zu einer Veränderung des Licht-Dunkel-Rhythmus, so wirkt sich das negativ auf diese innere Uhr der Pflanzen aus, die circadiane Uhr. Wie die Wissenschaftler in ihrer Untersuchung ferner herausfanden, spielt das Pflanzenhormon Cytokinin beim Schutz vor diesem Stress eine wichtige Rolle. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift für Pflanzenwissenschaftler Plant Cell veröffentlicht.

„Pflanzen bleiben ihr ganzes Leben am selben Standort und sind dort den täglichen und saisonalen Änderungen von Temperatur und Lichtbedingungen ausgesetzt“, erläutert Silvia Nitschke aus der Angewandten Genetik am Institut für Biologie der Freien Universität. Sie untersuchte in ihrer Doktorarbeit in der Arbeitsgruppe von Professor Thomas Schmülling am Dahlem Centre of Plant Sciences den Zusammenhang zwischen Cytokinin und der circadianen Uhr. Diese Umwelteinflüsse sowie auch Angriffe von Schadorganismen seien potenzielle Stressfaktoren für die Pflanzen. In den vergangenen Jahren seien viele Mechanismen, mit denen Pflanzen sich gegen diese Einflüsse zur Wehr setzen und ihr Überleben sichern, erforscht worden, jedoch werde nur sehr selten eine neue Art von Stress entdeckt. Unterstützt wurde Silvia Nitschke bei ihrer Untersuchung von der Postdoktorandin Anne Cortleven sowie Kolleginnen und Kollegen der Georg-August-Universität Göttingen und der Aix-Marseille Université in Frankreich.

„Der circadiane Stress beeinträchtigt das Funktionieren der circadianen Uhr“, erklärt Silvia Nitschke. Diese Uhr werde jeden Tag neu durch rhythmische Veränderungen in der Umwelt justiert. Die wichtigsten Einflussfaktoren seien die täglichen Veränderungen von Licht und Temperatur. „Wie eine echte Uhr aus vielen Rädchen und Federn besteht, setzt sich auch die circadiane Uhr aus einer Vielzahl einzelner Komponenten zusammen“, erläutert die Biologin. „Dazu gehören verschiedene Gene, darunter sogenannte Transkriptionsfaktoren.“ Diese Transkriptionsfaktoren steuerten, wann bestimmte Gene abgelesen und in Proteine übersetzt würden. So unterdrückten beispielsweise die Transkriptionsfaktoren CCA1 und LHY am Morgen die Übersetzung von Genen, die für Prozesse am Abend gebraucht würden.

Sobald die circadiane Uhr der Pflanzen richtig eingestellt ist, koordiniert sie verschiedenste Prozesse optimal in Abhängigkeit von der Tageszeit. Sie hat unter anderem Einfluss auf die Pflanzenhormone, die wiederum das Wachstum und die Entwicklung von Pflanzen kontrollieren. Zu diesen Hormonen zählt auch Cytokinin, das bei der Zellteilung und Zelldifferenzierung in Wurzeln und Sprossspitzen eine wichtige Rolle spielt.

Silvia Nitschke und ihre Kollegen analysierten die dramatischen Auswirkungen eines stark veränderten Licht-Dunkel-Rhythmus‘ bei Pflanzen mit Cytokinin-Mangel; sie fanden heraus, dass diese mit starken Stresssymptomen reagierten. Blätter dieser Pflanzen bekamen nekrotische Flecken und starben schließlich ab. Auf Pflanzen mit normalem Cytokinin-Haushalt hatten die Versuchsbedingungen hingegen keinen ausgeprägten Einfluss. Die Wissenschaftler konnten somit daraus schließen, das Cytokinin für die Pflanze notwendig ist, um auf einen veränderten Licht-Dunkel-Rhythmus angemessen reagieren zu können.

Bei der näheren Untersuchung der Folgen des circadianen Stresses erkannten die Biologen, dass in Pflanzen mit Cytokinin-Mangel bei circadianem Stress die Gene CCA1 und LHY kaum aktiv sind. Infolgedessen ist das Funktionieren der inneren Uhr stark eingeschränkt. In Kontrollpflanzen mit normalem Cytokinin-Gehalt lief die innere Uhr hingegen auch bei circadianem Stress fast ohne Veränderung weiter. Pflanzen mit Cytokinin-Mangel waren also anscheinend nicht mehr in der Lage, den Einfluss des veränderten Licht-Dunkel-Rhythmus‘ auf die circadiane Uhr abzupuffern. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass Cytokinin normalerweise bei circadianem Stress die Synthese eines zweiten Hormons unterdrückt, der Jasmonsäure. Geht diese Fähigkeit verloren, gibt dieses zweite Hormon in den betroffenen Blättern das Signal zum Zelltod.

„Obwohl die im Labor genutzten Bedingungen in der Natur so nicht auftreten, zeigen unsere Ergebnisse, dass Cytokinin ein wichtiger Bestandteil im Räderwerk der circadianen Uhr ist“, erklärt Silvia Nitschke. Die Wissenschaftler vermuten, dass dieses Hormon vor allem unter Stressbedingungen dabei hilft, die Funktion des inneren Zeitgebers aufrechtzuerhalten. So könne die Pflanze sicherstellen, dass Prozesse, die von der inneren Uhr gesteuert werden, auch unter Stress optimal ablaufen.

Gefördert wurde die Forschung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 973 „Priming and Memory of Organismic Responses to Stress“ („Organismische Reaktionen auf Stress: Prägung und Erinnerung“).

Die Publikation

Silvia Nitschke, Anne Cortleven, Tim Iven, Ivo Feussner, Michel Havaux, Michael Riefler and Thomas Schmülling (2016): „Circadian Stress Regimes Affect the Circadian Clock and Cause Jasmonic Acid-Dependent Cell Death in Cytokinin-Deficient Arabidopsis Plants”, in: The Plant Cell, URL: www.plantcell.org/content/28/7/1616. DOI: http://dx.doi.org/10.1105/tpc.16.00016

Pressefoto

Pflanzenwissenschaftler der Freien Universität Berlin entdeckten den „circadianen Stress“. Ein Defekt der inneren Uhr oder zu wenig vom Hormon Cytokinin führt bei verändertem Lichtrhythmus in der Modellpflanze Arabidopsis (Ackerschmalwand) zum Zelltod. Links eine nicht gestresste Pflanze, rechts eine Pflanze nach Stress.

Quelle: Silvia Nitschke

Das Foto steht Medienvertretern zum Download zur Verfügung. Es ist bei Verwendung im Kontext der Pressemitteilung und Angabe der Quelle Silvia Nitschke honorarfrei.

Kontakt

  • Prof. Dr. Thomas Schmülling, Institut für Biologie / Angewandte Genetik der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-55808, E-Mail: tschmue@zedat.fu-berlin.de
  • Dr. Kathleen Dahncke, Projektkoordinatorin am Dahlem Centre of Plant Sciences der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-56214, E-Mail: dcps@fu-berlin.de