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Orientalismen I

Der Orient in Berlin

Moschee

Moschee

Am Neuen See in Potsdam wurde 1841 bis 1843 nach Plänen von Persius der erste Moscheebau Preußens errichtet.

Am Neuen See in Potsdam wurde 1841 bis 1843 nach Plänen von Persius der erste Moscheebau Preußens errichtet.

In der Moderne ist der Orient nicht nur eine Region, sondern auch ein Gedanke, und beides – Region und Gedanke – sind mit der Geschichte, Architektur und Kultur Berlins verknüpft.

Im Titel steckt eine These: Der moderne Orient liegt auch in Berlin. Doch wo eigentlich „der Orient“ ist, hat man im Laufe der Zeit sehr unterschiedlich verstanden: die byzantinische Welt, die islamische Welt, der Nahe und Mittlere Osten oder einfach nur: die alte Welt jenseits Europas, Europas „anderes“ Gegenüber – all das war gemeint. Nun haben diese Gegenden alle eine reale Geschichte, aber in der Moderne ist der Orient nicht nur eine Region, sondern auch ein Gedanke, und beides – Region und Gedanke – sind mit der Geschichte Berlins verknüpft.

Doch wo in Berlin lag und liegt der moderne Orient? Beginnen wir im heutigen Gebäude der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Gendarmenmarkt, bis 1991 Hauptsitz der Akademie der Wissenschaften der DDR. Bis 1906 war hier nicht Wissen, sondern Geld gesammelt worden. Es war der Sitz der preussischen Staatsbank (Königliche Seehandlung), gegründet 1772, um nach den Zerrüttungen durch die Schlesischen Kriege die preußische Wirtschaft wieder zu beleben – mit Hilfe des Überseehandels. In „Übersee“ war man indessen schon hundert Jahre früher. Erste Bestrebungen brandenburgischer Kolonialpolitik richteten sich nach „Ostindien“, später nach Westafrika. Dort wurden mehrere Handels stützpunkte gegründet wie zum Beispiel Großfriedrichsburg, das 1683 erbaut wurde. Die Interessen waren vorwiegend wirtschaftlicher Natur – unter anderem im Sklavenhandel, von dem auch einheimische Herrscher profitierten. Die erste afrikanische diplomatische Gesandtschaft kam bereits 1684 nach Berlin, ein Fürst „Jancke“, um dem König als seinem Verbündeten die Reverenz zu erweisen. Die „Mohrenstraße“ ist eine klingende Erinnerung an derlei Engagement – das Wort „Mohr“ hatte übrigens ursprünglich nicht die abwertende, ja rassistische Bedeutung wie vor allem seit dem 19. Jahrhundert.

Knapp einhundert Jahre nach Fürst Jancke kamen 1763 die nächsten außereuropäischen Diplomaten nach Berlin. Zwischen Brandenburg-Preußen und dem Osmanischen Reich, das einen großen Teil der arabischen Länder einschloss, gab es schon früh Kontakte, hauptsächlich aus außenpolitischen und militärischen Interessen. Begraben liegen  die Angehörigen früherer Gesandtschaften des osmanischen Reiches auf dem Alten Islamischen Friedhof am Columbiadamm in der Nähe des Flughafens Tempelhof – im Volksmund lange Zeit „Türkischer Friedhof“ genannt.

Das Alltagleben der muslimischen Gäste hatte damals bei den Berlinern größte Neugier ausgelöst.

Diese Neugier war durchaus gegenseitig. Und das außereuropäische Interesse an Berlin nahm im 19. Jahrhundert noch einmal zu, als immer mehr arabische und indische Studenten und Journalisten an die Spree kamen, um hier zu lernen und ihren Landsleuten aus der jungen, aufstrebenden Metropole zu berichten. Gleichzeitig interessierten sich hier zu Lande Architektur und Malerei zunehmend für „orientalische“ Bauten und Landschaften. In den Parks von Sanssouci finden sich bei einigen der Ziergebäude auch Anfänge des „orientalischen Stils“.

Koloniale Lustbarkeiten

Während die Unterhaltung für das „einfache Volk“ in Gestalt von Ein geborenendörfern samt Bewohnern ferner Länder, wie etwa des gerade kolonisierten Kamerun, auf der ersten „Kolonialausstellung“ (1896) im Treptower Park feilgeboten wurde, lagen die Zentren imperialen und kolonialen Machtstrebens in der Mitte der Stadt. Von 1871 bis 1945 stand in der Wilhelmstraße 77 das Reichskanzlerpalais, Wohn- und Arbeitsplatz Bismarcks. In seiner Amtszeit war dies der Schauplatz zweier bedeutender internationaler Konferenzen. Deutschland präsentierte sich hier zunächst als „ehrlicher Makler“, als Vermittler zwischen den anderen Großmächten. Dabei wurden aber hier die Landkarten des Orients und Afrikas grundlegend umgestaltet. Auf der Berliner Konferenz von 1878 vereinbarte man eine Neuregelung des bis dahin noch osmanisch dominierten Teils des Balkans. Auf der Westafrika- oder „Kongo“-Konferenz von 1884 wurden die kolonialen Interessensphären innerhalb Afrikas abgesteckt. Auch der „ehrliche Makler“ Deutschland hatte durchaus eigene koloniale Interessen, eigentlich im Nahen Osten, später de facto in Afrika. Viele der Grenzen, die während der Kongokonferenz vereinbart wurden, haben bis heute fatalen Einfluss.

Der Nahe Osten wurde dagegen ein Feld wirtschaftlicher Expansionsinteressen, deren Schalt zentralen im Berliner Banken viertel lagen – da, wo einige Großbanken auch heute wieder ihre Repräsentanzen haben. Die Deutsche Bank etwa wurde 1888 von der osmanischen Regierung in Istanbul ersucht, eine Eisenbahnverbindung in einen der entferntesten Winkel des damaligen osmanischen Reiches zu finanzieren: die Bagdadbahn. Doch der Vorstand der Bank hatte große Bedenken wirtschaftlicher und auch politischer Natur – da gab es die Konkurrenz der Großmächte, und Großbritannien fürchtete eine Umgehung des Seewegs nach Indien. Es wurde ein Kampf um jede Etappe. Schließlich erhielt man 1903 die Konzession für das letzte Teilstück der Bahn nach Syrien und Irak. Dass die Bank das Projekt trotz aller Probleme so weit verfolgte, war auch durch das politische Klima beeinflusst: Deutschland wollte im internationalen Konzert einen Platz an der Sonne, und Orientträume hatte nicht nur Wilhelm II. Auch die Öffentlichkeit träumte sich von „Bagdad nach Stambul“. Die Lokomotivwerke Borsig materialisierten diese Träume dann, indem sie Bauloks lieferten, die 1913 tatsächlich in Bagdad standen. Allerdings verschärfte das Projekt in der Tat die Spannungen zwischen den Großmächten. Der erste Weltkrieg kam und brachte das vorläufige Ende der Arbeiten. Erst 1940 wurde die Strecke fertiggestellt – jedoch von den Briten, die nun selbst an einer Umgehung des Seewegs nach Indien interessiert waren, der vorübergehend von den Deutschen kontrolliert war.

Orientforschung

Das praktische Interesse am Orient war in Berlin immer auch von der Suche nach Wissen begleitet. Die Keimzelle der außeruniversitären Orientforschung und der Berliner Kaffeehäuser liegt in der heutigen Staat bibliothek Unter den Linden. An dieser Stelle stand früher der königliche Marstall, der ab 1752 die Akademie der Wissenschaften beherbergte – und eines der ersten Berliner Kaffeehäuser, das „Königliche“, das von Monsieur Olivier,  einem Afrikaner niederländischer Nationalität, betrieben wurde. 1914 zog in einen Seitenflügel der Staatsbibliothek – die das alte Gebäude ablöste und in der die Akademie zur Untermieterin wurde – ein besonderes Institut ein, in dem man sich dem Orient forschend widmete. Hinter dem alten Akademieportal findet man noch heute den Schriftzug „Orientalische Kommission“. Dieses Akademieinstitut, erst 1912 gegründet und später mehrfach umbenannt, blieb bis 1980 an diesem Ort. Aus ihm ist 1992 bis 1996 das Zentrum Moderner Orient hervorgegangen.

Nur eine Straße weiter, an der Dorotheenstraße, stand das Gegenstück: das schon 1887 gegründete „Seminar für Orientalische Sprachen“. Zu - nächst diente es vor allem der Sprachausbildung. Im Ersten Weltkrieg etwa lernten hier deutsche Offiziere osmanisches Türkisch. Viele der Lehrer kamen aus den Sprachregionen selbst, aus Ostafrika der „Sprachgehilfe“, der Swahili lehrte. Später kam das Seminar für Orientalische Sprachen an die Berliner Friedrich-Wilhelms Universität und wurde zur Keimzelle der universitären Regionalforschung in Berlin: Asien- und Afrikawissenschaften, heute vor allem an der Humboldt-Universität, und Islamwissenschaft, Ethnologie und Nahostwissenschaften, heute vor allem an der Freien Universität.

von Achim Oppen