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Das gefühlte Glück

Mit zunehmendem Alter verändern sich unsere Emotionen - zum Positiven. Welche Faktoren für dieses „Emotionsparadox“ verantwortlich sind, erforschen der Soziologe Christian von Scheve und der Psychiater Malek Bajbouj

13.12.2013

Emotionen und Krankheitsverläufe stehen im Mittelpunkt der Forschungen der Focus-Area DynAge

Emotionen und Krankheitsverläufe stehen im Mittelpunkt der Forschungen der Focus-Area DynAge
Bildquelle: photocase-zettberlin

Alt werden, das scheint der Schrecken der modernen Gesellschaft zu sein. Alter wird gleichgesetzt mit Krankheit und Gebrechlichkeit, mit dem Verlust der körperlichen und geistigen Kräfte, ja schließlich mit Vereinsamung. Gerade in einer Zeit, in der Kinder und Enkel oft fernab der Eltern und Großeltern wohnen. Der mümmelnde Greis in einem sterilen Zimmer einer Pflegeeinrichtung, körperlich zwar gut umsorgt, aber unglücklich und einsam, ist zum Schreckensbild einer ganzen Generation geworden. Daran ändern auch all die rüstigen Rentner in ihren Sportjacken und Wanderschuhen nichts, die Gebirge und Freizeitparks bevölkern. Das Alter, so nimmt aktuellen Umfragen zufolge die Mehrzahl der Deutschen an, sei eine Zeit des Unglücks.

Die Altersforschung hingegen weiß es besser: Unter dem Begriff „Emotionsparadox“ ist seit Langem bekannt, dass ältere Menschen glücklicher sind und deutlich weniger unter Depressionen leiden als etwa junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren. Warum das so ist, darüber sei schon viel spekuliert worden, sagen die Professoren Christian von Scheve und Malek Bajbouj von der Freien Universität, die sich dieser Frage nun erstmals in einer großangelegten Untersuchung widmen wollen.

Warum sind ältere Menschen weniger depressiv? Lernen sie mit zunehmendem Alter einfach besser, mit seelischen Problemen umzugehen? Liegt es an Erbanlagen, die sich im Laufe des Lebens verändern? Oder verfügen ältere Menschen möglicherweise über stabilere soziale Netzwerke in Form von Familien und Freunden, die sie tragen? All diese Faktoren will das Forschungsteam um den Soziologen von Scheve und den Psychiater Bajbouj einer genauen Untersuchung unterziehen, um hinter das Geheimnis des Emotionsparadoxons zu kommen.

Freude, Wut, Trauer: In der Focus-Area „DynAge“ wird unter anderem erforscht, wie gut Probanden ihre eigenen Gefühle wahrnehmen und beschreiben können

Freude, Wut, Trauer: In der Focus-Area „DynAge“ wird unter anderem erforscht, wie gut Probanden ihre eigenen Gefühle wahrnehmen und beschreiben können
Bildquelle: photocase.de: andreafleischer, germanbrina, unseen

Ihr Projekt ist eines von zwölf, das sich an der Freien Universität in einem speziellen Forschungsverbund – einer Focus Area – der Erforschung alterassoziierter Erkrankungen widmet. In Focus Areas arbeiten Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen und Einrichtungen über einen längeren Zeitraum gemeinsam an komplexen wissenschaftlichen Fragestellungen von gesellschaftlicher Relevanz.

Das Projekt zum Emotionsparadox gehört zur Focus Area „DynAge“, in der Krankheiten nicht nur im Verlauf des menschlichen Lebens, sondern auch in ihren genetischen, individuellen und gesellschaftlichen Auswirkungen untersucht werden.

Forscher der Focus-Area „DynAge“ betrachten vor allem Krankheitverläufe

Die Sprecherin der Focus Area, Nina Knoll, Professorin für Gesundheitspsychologie an der Freien Universität, sagt, das Besondere an diesem Verbund sei, „dass wir einen altersvergleichenden Zugang gewählt haben und uns auf die Entwicklungsmechanismen bestimmter Krankheiten in verschiedenen Altersstufen konzentrieren. Dabei nehmen wir die gesamte Lebensspanne in den Blick“. Das sei ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu anderen vergleichbaren Verbünden, die sich nur auf eine bestimmte Altersgruppe konzentrierten.

Die Ergebnisse der Focus Area könnten deswegen auch besonders praxisrelevant sein, sagt Nina Knoll. Unter anderem bei der Vorsorge: „Viele Erkrankungen, die sich im Alter häufen, sind maßgeblich durch den Lebensstil und Risikoverhaltensweisen beeinflusst. Dagegen kann man eine ganze Menge tun, aber man muss früh genug im Leben damit anfangen, damit es etwas bringt. Das gilt für jeden Einzelnen, aber auch für den Einsatz von Präventionsprogrammen.“ Auf regelmäßigen Workshops tauschen sich die zwölf Projektgruppen über den Fortgang und erste Ergebnisse ihrer Forschungen aus.

Die meisten Projekte in „DynAge“ wenden sich körperlichen Erkrankungen wie Krebs, Herzleiden oder degenerativen Muskel- und Skelettproblemen zu. Malek Bajbouj und Christian von Scheve indes sahen sofort eine Möglichkeit, hier auch dem Emotionsparadox auf die Schliche zu kommen. Die Wissenschaftler des in der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder geförderten Clusters „Languages of Emotion“ haben dazu im Rahmen der Focus Area „DynAge“ ein eigenes Forschungsprojekt vorgeschlagen.

In dem Cluster arbeiten Forscher vom Philosophen bis zum Arzt interdisziplinär an dem großen Thema. Unter anderem läuft an diesem Cluster ein groß angelegtes Projekt mit dem Ziel, herauszufinden, warum manche Menschen seelisch krank werden, andere aber nicht. Dafür haben mehr als 500 Probanden aus allen Altersgruppen Blutproben abgegeben, psychologische Tests absolviert und – hier kommen die Soziologen ins Spiel – ihre persönlichen Netzwerke aus Familie, Freunden und Kollegen den Forschern offengelegt.

Ein aufwändiges Vorhaben: Es dauerte zwei Tage pro Teilnehmer, alle Daten und Fakten zu sammeln. Mehr als 50 Kategorien von emotionalen Fähigkeiten wurden gemessen und ebenso die „Coping-Strategien“ – also die individuellen Methoden jedes Probanden, mit Stress umzugehen. Dazu wurde etwa getestet, wie gut die Teilnehmer Gefühle aus Fotos herauslesen können, und es wurden lange Interviews geführt.

400 Gene für die Entstehung und Verarbeitung von Gefühlen

Aus den Blutproben isolierten Biologen rund 400 verschiedene Gene, von denen angenommen wird, dass sie an der Entstehung und Verarbeitung von Gefühlen beteiligt sind. Auch wurde untersucht, wie gut die Probanden ihre eigenen Gefühle wahrnehmen und beschreiben können. Nun besitzen die Forscher einen „riesigen Datenschatz“, wie Malek Bajbouj es nennt – und längst ist noch nicht alles ausgewertet. Die Daten wollen die Wissenschaftler auch dazu nutzen, um das Emotionsparadox zu untersuchen. Das Projekt begann Anfang Oktober und soll etwa ein Jahr dauern.

„Als Psychiater wissen wir seit Langem, dass eine neurotische Persönlichkeit, Introvertiertheit, wenig Empathie und frühkindliche Traumata wie körperliche Gewalt oder Vernachlässigung einen Menschen anfälliger für Depressionen machen“, sagt Malek Bajbouj. Auch haben Genetiker längst einige Erbgutmuster im Verdacht, die Risikofaktoren für das Erleiden einer Depression beeinflussen.

Doch auch wenn man psychologische Testresultate und Genuntersuchungen zusammenbringt und noch die gerade sehr moderne Epigenetik hinzuruft, also die Wissenschaft von der Veränderung der Erbanlagen im Laufe des Lebens, selbst dann lässt sich noch immer nicht erklären, warum mancher an Depression erkrankt und ein anderer nicht.

Liegt der Grund für mehr Zufriedenheit im Alter in den Genen? Oder an stabileren sozialen Beziehungen?

Liegt der Grund für mehr Zufriedenheit im Alter in den Genen? Oder an stabileren sozialen Beziehungen?
Bildquelle: photocase-madochab http://www.photocase.de/foto/84943-stock-photo-mensch-frau-ferien-urlaub-reisen-mann-alt-meer

Für ihre Untersuchungen teilen die Forscher die Probanden in drei Gruppen ein: Junge Menschen bis 35 Jahre, eine mittlere Gruppe bis 60 Jahre und die Älteren über 60 Jahre. Das entspricht in etwa der Altersverteilung von seelischen Erkrankungen, nicht allein Depressionen.

Soziale Netzwerke sollen das Emotionsparadox erklären

Besondere Hoffnung setzt der Soziologe Christian von Scheve bei der Erforschung des Emotionsparadoxons auf die sozialen Netzwerke. „Es wäre doch plausibel, zu sagen: Je dichter das soziale Netz eines Menschen ist oder je zentraler seine Position darin ist, desto stabiler ist er auch in Fragen geistiger Gesundheit“, sagt der Forscher. Doch andererseits, schränkt von Scheve ein, tendierten soziale Netzwerke dazu, im Alter großmaschiger zu werden: Partner und gleichaltrige Freunde sterben, Kinder und Enkel wohnen weit entfernt. Allein mit der Netzwerktheorie werde man das Paradox der Lebenszufriedenheit im hohen Alter also nicht lösenkönnen.

Seelische Krankheiten sind meist so komplex wie die Menschen, die sie erleiden. „In jedem Fall leisten wir einen Beitrag zur soziologischen Altersforschung, die derzeit ein sehr wichtiges Thema ist“, betont von Scheve mit Blick auf den demografischen Wandel. Auch die Frage, wie Kultur und Gesellschaft Emotionen und den Umgang mit ihnen prägen, sei bislang hauptsächlich theoretisch abgehandelt worden.

An empirischen Daten, erst recht an so umfassenden und interdisziplinär gewonnenen wie jenen aus dem Exzellenzcluster, mangele es hingegen derzeit noch. Schließlich, aber das ist noch Zukunftsmusik, hoffen die Forscher, am Ende über einen weiteren Projektpartner, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), sogar Längsschnittdaten von Menschen auch deren emotionale Zufriedenheit und die Anfälligkeit für Depressionen zu bekommen. Damit könnten die Wissenschaftler die Entwicklung auf individueller Ebene verfolgen.

Das DIW erhebt in seinem regelmäßig durchgeführten sozio-ökonomischen Panel (SOEP) – eine Studie, in der jedes Jahr mehr als 20.000 Personen aus 11.000 Haushalten in Deutschland befragt werden – bereits jetzt kleinere Mengen von Daten über die sozialen Netzwerke der Befragten, wie etwa die Anzahl der Freunde. Mit den Ergebnissen aus dem „DynAge“-Projekt indes könnte das SOEP viel gezielter nach jenen Faktoren fragen, die den Unterschied zwischen Depression und Zufriedenheit ausmachen. Jürgen Schupp, Professor an der Freien Universität Berlin und einer der Leiter beim SOEP, ist jedenfalls als dritter Partner fest in das Projekt eingebunden.

Wissenschaftler mit dem Blick über den Tellerrand

Ist es nicht schwer, Forscher zu finden, die sich in Netzwerktheorie ebenso gut auskennen wie in Psychiatrie, Psychologie, Genetik und Epigenetik? Malek Bajbouj und Christian von Scheve können über diese Frage nur lächeln. „Wir sind mittlerweile so verwöhnt, dass wir es schon kaum noch merken: Der Exzellenzcluster und die dazugehörige Graduiertenschule haben längst Wissenschaftler hervorgebracht, für die der Blick über den Tellerrand eine Selbstverständlichkeit ist. Einer unserer zentralen Mitarbeiter ist in Netzwerktheorie genauso fit wie in Fragen der Emotionsregulierung“, sagt Malek Bajbouj. Gut möglich also, dass das Emotionsparadox in einem Jahr gar nicht mehr so paradox ist.