Dem Volksleiden Arthrose auf den Fersen
Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen Fachgebieten arbeiten gemeinsam an Strategien, Kniegelenksarthrosen zu verhindern, das Fortschreiten des Leidens zu verlangsamen und die Krankheit zu heilen
09.12.2017
Ob ein Gelenk degeneriert und eine Arthrose ausbildet oder ob es sich wieder erholt, ist eine Frage der falschen oder richtigen Belastung. Das ist der Grundgedanke des Forschungsverbundes OVERLOAD-PrevOp, eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte bundesweite Kooperation, die sich der Kniegelenksarthrose widmet. Expertinnen und Experten aus der Medizin, Schmerzforschung und Psychologie arbeiten dabei Hand in Hand mit Biochemikern, Sportwissenschaftlern und Mathematikern. In Berlin sind gleich vier Einrichtungen beteiligt: Die Charité – Universitätsmedizin Berlin, die Freie Universität, die Humboldt-Universität und das Konrad-Zuse-Zentrum.
Geballtes interdisziplinäres Wissen wird dringend benötigt. Fünf Millionen Menschen leiden laut Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie in Deutschland an Arthrose, die meisten am Knie oder an der Hüfte. Die Krankheit stellt damit auch eine große Belastung für das Gesundheitssystem und die Volkswirtschaft dar. „Der wirtschaftliche Faktor ist riesig“, sagt der Orthopäde und Unfallchirurg Professor Wolfgang Ertel. „Rund drei Milliarden Euro werden jährlich für die Behandlung ausgegeben und noch einmal so hohe Kosten entstehen durch krankheitsbedingte Arbeitsausfälle.“
Gezieltes Training, um Operationen und Schmerzen zu verhindern
Zur Degeneration des Knorpels im Gelenk trägt eine Fehl- oder Überbelastung bei. Ein Teil des Forschungsverbundes beschäftigt sich mit ebendieser Entwicklung der Krankheit – OVERLOAD, englisch für Überbelastung. PrevOp hingegen untersucht, wie Schmerzen und Operationen durch gezieltes Training verhindert werden können. „Kerngedanke unseres Projektes ist es, bei Probanden im Frühstadium bereits die Entwicklung der Arthrose zu stoppen oder zumindest deren Geschwindigkeit zu drosseln“, sagt Ertel, der auch die Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie an der Charité leitet. Dabei komme es auf die richtige Form der Bewegung an. An seiner Klinik absolvieren Betroffene ein aufbauendes Muskeltraining mithilfe eines Vibrationsgerätes. Durch die Vibration ist die Belastung nicht statisch, sondern verteilt sich. Denn die Hypothese lautet: Eine gleichmäßige Krafteinwirkung auf das Gelenk fördert die Regeneration des Knorpels.
Diese Idee ist nicht aus der Luft gegriffen. Die Forschergruppe um die Biochemikerin Petra Knaus hat die Auswirkung einer solchen homogenen Kraftverteilung auf molekularer Ebene beobachtet. In kleinen Bioreaktoren haben sie Knorpelzellen in eine 3D-Matrix eingebettet und konnten diese so einer mechanischen Belastung aussetzen, die eine Trainingsbelastung simuliert. Die Biochemiker sahen, dass unter diesen Bedingungen in den Knorpelzellen spezielle Signalwege aktiviert wurden, die eine Schlüsselrolle bei Regenerationsprozessen spielen. Nun wollen Knaus und ihr Team Zellmaterial von Patienten in verschiedenen Phasen der Krankheit untersuchen und mit den Zellmodellen vergleichen, um neue Therapieansätze zu entwickeln. „Durch die Kooperation mit den Klinikern haben wir den großen Vorteil, dass wir den direkten Zugang zu Zellmaterial von Patienten haben.“
Voraussagen für Krankheitsverläufe ermöglichen
Auch die Sportwissenschaftler an der Humboldt-Universität lassen ihre Probanden ein Trainingsprogramm durchlaufen. Allerdings interessieren sie sich für Menschen, die noch keine Arthrose haben, aber zu einer Risikogruppe zählen, weil ihr vorderes Kreuzband verletzt ist. Die daraus resultierende Instabilität des Gelenkes führt ebenfalls zu Fehlbelastungen und möglicherweise zu Arthrose. „Nach einer Verletzung muss die Kommunikation zwischen Nerv und Muskel neu erlernt und abgestimmt werden, damit die Gelenkbewegung wieder richtig gesteuert werden kann“, erklärt Professor Adamantios Arampatzis, der Leiter der Abteilung Trainings- und Bewegungswissenschaften am Institut für Sportwissenschaft der Humboldt-Universität. Das könne durch spezifisches neuromuskuläres Training unterstützt werden. Bei einem gering belastenden, dafür ausdauernden Training würden durch verschiedene instabile Unterlagen unerwartete Störungen in den Bewegungsablauf eingebaut. „Diese erzwingen“, so Arampatzis, „dass Muskel und Nerv sich wieder neu aufeinander abstimmen, also die sensomotorische Kontrolle wiederhergestellt und das Knie stabiler wird.“
Alle gesammelten Daten aus den klinischen Studien, den molekularbiologischen Untersuchungen und Zellmodellen kommen schließlich zu den Mathematikern, die daraus mathematische Modelle entwickeln. Sie sollen in Zukunft Voraussagen für Krankheitsverläufe möglich machen. Die Erforschung der Volkskrankheit Arthrose ist ein großes Unterfangen, bei dem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch auf die Betroffenen angewiesen sind. In der Klinik für Unfallchirurgie der Charité etwa sucht man noch weitere Probanden mit früher Kniegelenksarthrose. Das Problem sei, dass viele Betroffene zu spät einen Arzt aufsuchten, sagt Wolfgang Ertel: „Viele nehmen lieber ein Schmerzmittel und kommen erst dann, wenn das Knie kaputt ist.“ Bei der Krankheit spielten viele Faktoren eine Rolle. Umso wichtiger sei es, bei der Suche nach Therapien breit aufgestellt zu sein. „Der Forschungsverbund OVERLOAD- PrevOp bietet da mit seiner einzigartigen Zusammensetzung von Experten aus so vielen Fachgebieten eine hervorragende Basis.“