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Netzwerke knüpfen im Land des Fußballs

Ein Gespräch mit Christina Peters über die Aktivitäten der Hochschule in Südamerika

10.04.2014

São Paulo: Die Elf-Millionen-Metropole ist ein Finanz- und Kulturzentrum. Seit 2010 unterhält die Freie Universität Berlin dort ein Verbindungsbüro.

São Paulo: Die Elf-Millionen-Metropole ist ein Finanz- und Kulturzentrum. Seit 2010 unterhält die Freie Universität Berlin dort ein Verbindungsbüro.
Bildquelle: blueperfect; iStockphoto

Wer Brasilien hört, denkt an Fußball, Karneval und Regenwälder. Dass das Land eine der größten Volkswirtschaften der Welt ist und eine Fläche hat, in die Europa beinahe ganz hinein passen würde, ist weniger bekannt. Brasilien gehört zu den aufstrebenden Wirtschaftsregionen dieser Erde, mit ehrgeizigen Bildungszielen. Seit Ende 2010 unterhält die Freie Universität Berlin ein Verbindungsbüro in der Elf-Millionen-Metropole São Paulo. Es hat seinen Sitz im Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus und wird geleitet von Christina Peters. Christa Beckmann sprach mit der Historikerin über die Rolle der Geistes- und Sozialwissenschaften in Brasilien, gigantische Stipendienprogramme und Forschung für mehr soziale Gerechtigkeit.

Frau Peters, die ganze Welt schaut in diesem Sommer nach Brasilien. Sind Sie auch schon im Fußballfieber?

Fieber wäre vielleicht zu viel gesagt, aber die Spannung steigt natürlich. Mich beschäftigt Fußball schon länger. Bereits während meiner Promotion an der Freien Universität habe ich zu den Anfängen des Fußballs in Brasilien geforscht, also welche Rolle der Sport damals gespielt hat, sowohl kulturell als auch politisch. Fußball steht hier in São Paulo auch aktuell im Fokus der Wissenschaft.

In welcher Beziehung?

Im Mai veranstaltet das Fußballmuseum São Paulo gemeinsam mit der Universität São Paulo das zweite internationale Symposium für Fußballstudien. Professor Gunter Gebauer vom Institut für Philosophie der Freien Universität wird dort den Eröffnungsvortrag halten zur gesellschaftlichen Bedeutung des Fußballsports. Schon im September 2013 hat Stefan Rinke im Fußballmuseum einen Vortrag über die erste Fußball-Weltmeisterschaft in Uruguay 1930 gehalten. Er ist Professor für Geschichte Lateinamerikas an der Freien Universität.

Nun ist Fußball ja bekanntlich eine Wissenschaft für sich. Auf welchen Forschungsfeldern kooperiert die Freie Universität noch mit Brasilien?

Durch ihr Lateinamerika-Institut (LAI) hat die Freie Universität eine sehr große Expertise in sozial- und geisteswissenschaftlichen Lateinamerikastudien. Ein Schwerpunkt ist dabei die Forschung zu sozialer Gerechtigkeit. Seit 2010 wird am LAI gemeinsam mit dem Ibero-Amerikanischen Institut ein internationales Kompetenznetzwerk zur Erforschung von Ungleichheiten koordiniert, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Daran sind auch viele Wissenschaftler aus Lateinamerika beteiligt, allein vier der 20 Fellows, die Anfang des Jahres kamen, waren aus Brasilien. Um verbesserte soziale Chancen – vor allem für Frauen – geht es auch in einem europäischen Verbundprojekt, das von der Freien Universität und der brasilianischen Universidade Estadual de Campinas koordiniert wird. Es beschäftigt sich mit sozialen Ungleichheiten im lateinamerikanischen Hochschulsystem und ist im vergangenen Jahr mit dem Margherita von Brentano-Preis der Freien Universität ausgezeichnet worden.

Gibt es auch Kooperationen in den Naturwissenschaften?

Ja. Zum Beispiel forscht Professor Ulrich Abram vom Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität mit einem Stipendium der brasilianischen Regierung als Gastwissenschaftler an der Staatlichen Universität von Santa Maria. In der Veterinärmedizin gibt es Interesse an einer Zusammenarbeit rund um das Thema Nahrungsmittelsicherheit. Und auch in der Physik und den Biowissenschaften sind engere Kooperationen geplant.

Seit 2010 gibt es am Lateinamerika-Institut das Forschungszentrum Brasilien. Welche Rolle spielt es in der Zusammenarbeit?

Das Zentrum bündelt die kultur- und sozialwissenschaftliche Forschung speziell zu Brasilien an der Freien Universität. Dabei reichen die Themen von Untersuchungen zur Biokraftstoffpolitik in Brasilien über brasilianische Kleinunternehmen in Berlin bis hin zu brasilianischen Rentenmärkten. Am Zentrum ist auch eine Gastprofessur angesiedelt, durch die regelmäßig brasilianische Wissenschaftler nach Berlin kommen, um hier zu forschen und zu lehren. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat helfen sie uns, ein Netzwerk mit Wissenschaftlern vor Ort aufzubauen.

Die Historikerin Christina Peters leitet das Verbindungsbüro der Freien Universität Berlin in Brasilien.

Die Historikerin Christina Peters leitet das Verbindungsbüro der Freien Universität Berlin in Brasilien.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Warum engagiert sich die Freie Universität in Brasilien?

Brasilien ist in den vergangenen zehn Jahren zur sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. Die Wachstumsraten sind zwar seit 2011 wieder deutlich zurückgegangen, aber die Region hat immer noch ein enormes Potenzial …

…allerdings auch an sozialen Konflikten…

Ja, denn die öffentliche Infrastruktur hat mit der wirtschaftlichen Entwicklung nicht Schritt gehalten. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weit auseinander – trotz eines großen Sozialtransferprogramms. Gerade im Vorfeld der Fußball-WM haben sich die Menschen gefragt, warum so viel Geld für neue Stadien ausgegeben wird, aber staatliche Schulen und Krankenhäuser schlecht ausgestattet und die Lehrer im öffentlichen Bildungssystem dramatisch unterbezahlt sind. Doch Brasilien ist zugleich ein bedeutender Wissenschaftsstandort, und die Regierung hat 2011 unter dem Titel „Wissenschaft ohne Grenzen“ ein 1,4 Milliarden Euro schweres Stipendienprogramm für Hochschulbildung aufgelegt, mit dem bis 2015 etwa 100 000 jungen Brasilianern ein Studium im Ausland ermöglicht werden soll. Im Fokus des Programms stehen die Ingenieur- und Naturwissenschaften, um den Mangel an qualifizierten Fachkräften zu lindern.

Wie beliebt ist die Freie Universität bei brasilianischen Studierenden?

Das Interesse ist groß. Seit 2007 ist die Zahl der Brasilianer, die an der Freien Universität eingeschrieben sind, um 50 Prozent gestiegen. Vor allem in den Naturwissenschaften wächst das Interesse. Obwohl die Freie Universität keine Ingenieurwissenschaften anbietet, sind bereits 50 Stipendiaten über das Programm „Wissenschaft ohne Grenzen“ an die Freie Universität gekommen. Deutschland ist eines der Hauptziele für brasilianische Studierende und Forscher.

Das Gros der Stipendien vergibt die brasilianische Regierung in technisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Spielen die Geisteswissenschaften keine Rolle in Brasilien?

Wenn man sich das Programm „Wissenschaft ohne Grenzen“ anschaut, entsteht dieser Eindruck. Gerade an den Universitäten aber hört man immer wieder die Mahnung, die Geisteswissenschaften nicht zu vernachlässigen. Wir als Freie Universität möchten mithelfen, eine gesamtgesellschaftliche Diskussion zu diesem Thema anzustoßen. Für die Abschlusswoche des Deutschlandjahres in Brasilien Ende Mai wird die Freie Universität deshalb zusammen mit dem Goethe-Institut São Paulo und weiteren Wissenschaftseinrichtungen aus Brasilien und Deutschland eine Tagung zur Frage „Geistes- und Sozialwissenschaften: Im Spiel oder im Abseits?“ organisieren.

Welche Ziele haben Sie sich für die weitere Arbeit gesetzt?

Durch die Arbeit im Verbindungsbüro möchte ich dazu beitragen, noch mehr gute Doktoranden und Nachwuchswissenschaftler nach Berlin zu holen. Das ist eine besondere Herausforderung, denn in Brasilien haben nur 13 Prozent der 25- bis 34-Jährigen einen Hochschulabschluss. Und wir versuchen, mit den herausragenden Universitäten des Landes stabile Kooperationen aufzubauen, die letztlich zu strategischen Partnerschaften führen sollen.

Zum Schluss noch ein ganz und gar unwissenschaftlicher Blick in die Zukunft: Wer wird Fußballweltmeister 2014?

Natürlich wünschen sich die Brasilianer den Titelgewinn. Bei der letzten WM im eigenen Land im Jahr 1950 unterlag Brasilien im Endspiel dem Nachbarland Uruguay. Das wurde als nationale Schmach empfunden. Heute gilt der Nachbar Argentinien als ein Favorit – es verspricht also spannend zu werden!

Das Interview führte Christa Beckmann

Weitere Informationen

www.fu-berlin.de/brazil