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Die Molekül-Macherin

Die Chemikerin Franziska Schoenebeck erhält den Klung-Wilhelmy-Wissenschaftspreis 2020

Nr. 400/2021 vom 21.04.2021

Feldforschung: Pestizide, die Bienen und Hummeln nicht schaden, sind ein mögliches praktisches Ergebnis von Molekülvariationen.

Feldforschung: Pestizide, die Bienen und Hummeln nicht schaden, sind ein mögliches praktisches Ergebnis von Molekülvariationen.
Bildquelle: flickr/Klaus Zimmermann

Wer einen Natur- beziehungsweise Wirkstoff oder ein chemisches Verfahren herstellen oder etablieren will, überlegt sich zuerst einen Syntheseweg und setzt ihn dann Schritt für Schritt im Labor um. Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut. Denn nicht jede chemische Reaktion verläuft hundertprozentig so wie gewünscht.

Warum das so ist, lässt sich berechnen: Wie viel Aktivierungsenergie ist beispielsweise nötig, damit die Reaktionspartner überhaupt miteinander reagieren? Welche Übergangszustände werden dabei durchlaufen? Wie müssten sich die Reaktionsbedingungen ändern, damit nur das gewünschte Molekül entsteht? Weil die Zusammenhänge so komplex sind, ist Computerchemie ein eigenes Fachgebiet.

Noch nie dagewesene Moleküle

Franziska Schoenebeck, Professorin für Organische Chemie an der RWTH Aachen, macht beides: Sie rechnet und experimentiert. Mit dieser Doppelstrategie entwickelt die 38-jährige Berlinerin zusammen mit ihrem Forschungsteam neue Katalyse-Konzepte und Molekülbausteine, die Synthesen von Wirkstoffen und Materialien selektiver, effizienter und schneller machen. Auch die Umwelt profitiert davon, denn viele Experimente werden überflüssig, wenn man schon vorher weiß, was am besten klappt. Das Spannendste aber ist, dass nun Moleküle möglich werden, die es vorher noch nie gegeben hat und die völlig neue Eigenschaften erwarten lassen.

Für ihre Forschung wird Franziska Schoenebeck von der RWTH Aachen mit dem Klung-Wilhelmy-Wissenschaftspreis ausgezeichnet.

Für ihre Forschung wird Franziska Schoenebeck von der RWTH Aachen mit dem Klung-Wilhelmy-Wissenschaftspreis ausgezeichnet.
Bildquelle: privat

Für ihre Forschung wird Franziska Schoenebeck am 24. Juni an der Freien Universität Berlin mit dem Klung-Wilhelmy-Wissenschaftspreis 2020 ausgezeichnet.

Die mit 60 000 Euro verbundene Ehrung wird im jährlichen Wechsel – nach Auswahl des Preisträgers oder der Preisträgerin durch zwei Fachkommissionen der Freien Universität – an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Chemie und der Physik verliehen. Sie gehört zu den höchstdotierten privat finanzierten Preisen für junge deutsche Spitzenforscher.

Die Jury ehrt Franziska Schoenebeck „für ihre zukunftsweisende Forschung auf den Gebieten der organischen Synthese, der Katalyse und der computergestützten Aufklärung von Reaktionsmechanismen“.

Promotion in Glasgow

„Mich hat schon immer mehr interessiert, warum Dinge passieren, als die Tatsache, dass sie passieren“, sagt die 38-Jährige.

Nach Chemie- und Physikleistungskursen zu Schulzeiten und einem Schnupperstudium an der Technischen  Universität Berlin, schrieb sie sich später dort für das Chemiestudium ein. Das Erasmus-Austauschprogramm führte sie nach dem Vordiplom ins schottische Glasgow, wo sie bis nach der Promotion blieb.

Gleich anfangs wurde ihr eines klar: „Man kann noch so viele experimentelle Studien machen – ein Verständnis auf molekularer Ebene erlangt man dadurch selten.“ Das geht aber mithilfe von Computersimulation. Deshalb ging sie mit einem Postdoktoranden-Stipendium der Alexander-von- Humboldt-Stiftung 2008 für zwei Jahre nach Los Angeles zu Ken Houk, eine der Ikonen auf diesem Gebiet.

Die Compuersimulation überholt das Laborexperiment

Um den kritischen Punkt einer chemischen Reaktion zu berechnen – den Übergangszustand, in dem alte Bindungen zwischen Atomen aufbrechen und sich neue bilden – brauchte ein Computerprogramm in den 1980er Jahren für ein vergleichsweise winziges Molekül von weniger als 20 Atomen um die sechs Monate. „Exakt dieselbe Rechnung gelingt heute in wenigen Sekunden.

Ohne die enorme Entwicklung, die im Bereich Hardware und Software in den vergangenen Jahrzenten stattgefunden hat, wäre dies nicht möglich“, sagt Franziska Schoenebeck. „Das ist heutzutage meist schneller als das Experiment im Labor! Es ist nicht auszudenken, welche Chancen sich durch neue Großrechner in der Zukunft ergeben.“ In silico lassen sich Reaktionen auch ansehen, die real noch nie gemacht wurden. Nur die besten Varianten werden dann im Experiment überprüft.

Im Alter von 27 Jahren Assistenzprofessorin

2010 nahm Franziska Schoenebeck – damals erst 27 Jahre alt – eine Assistenzprofessur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich an, wo sie ihre unabhängige Forschungskarriere startete. Drei Jahre später klopfte die RWTH Aachen bei ihr an, und gefördert durch das Rückkehrprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen ging es auf die erste permanente Professur. 2016 wurde sie auf einen Lehrstuhl für Organische Chemie an der RWTH Aachen berufen.

Ein großes Thema ihrer Arbeitsgruppe sind katalytische Kreuzkupplungen. Damit lassen sich sogenannte Biaryle herstellen – Moleküle, die jeweils zwei aromatische Kohlenstoffringe enthalten. „Je nachdem, welche Bausteine an den Kohlenstoffringen, den Arylen, noch hängen, kann es ein Pharma-Blockbuster sein, ein Pestizid oder – sind die Ringe etwas anders angeordnet – auch ein stromleitendes Polymer.“

Welche Molekülstrukturen an den Kohlenstoffringen sitzen müssten und wo, damit das Molekül die gewünschten Eigenschaften erhält, ist dabei nicht immer klar. „Es ist eine der zentralen Herausforderungen, um das nächste hochwirksame Medikament zu finden oder ein Pestizid, das Hummeln und Bienen verschont“, sagt Franziska Schoenebeck. Doch die Wissenschaft stochert hierweitgehend im Dunkeln. „Und der „Chemical Space“, also die Gesamtheit der Moleküle, die man herstellen könnte, übersteigt allein für Wirkstoffe schon die menschliche Vorstellungskraft.“

Der gesellschaftliche Bedarf an neuen Wirkstoffen oder Methoden wird immer größer; allerdings wird die Zeitspanne für die Entwicklung immer kleiner. Auch ist der Weg dahin „steinig“, da eine Vielzahl an möglichen Substanzen untersucht werden muss. Um somit zügig große Substanzbibliotheken aufzubauen, ist es von Vorteil, wenn die Synthese automatisierbar ist, und dazu bedarf es zweierlei: Erstens Katalysatoren, die Reaktionen so steuern, dass sie blitzschnell und selektiv ablaufen. Zweitens Molekülbausteine, die modular und vielfältig einsetzbar sind, weil sie Schlüsselgruppen tragen, die unabhängig voneinander austauschbar sind.

Erfolg im Labor

Für Biaryle haben Franziska Schoenebeck und ihr Team bereits ein solches „Duo“ entwickelt. Einen zweikernigen Palladium-1-Katalysator und einen speziellen aromatischen Baustein, der drei reaktive Gruppen aufweist, die unabhängig voneinander in der Funktionalisierung kontrolliert werden mussten. Was in silico gut aussah, funktionierte auch in der Realität. „Innerhalb weniger Minuten lief die Reaktion komplett und hochselektiv ab – und das bei Raumtemperatur und im offenen Glaskolben. Und das Beste ist: Es ist weitgehend unabhängig vom Molekül selbst!“ Die Chemikerin hat es bei diversen Molekülen ausprobiert und auch in der Polymersynthese.

Drei Abgangsgruppen am Aryl sind gut – vier oder mehr wären besser. Mit Triethyl- German (-GeEt3) konnte eine neuartige Gruppe identifiziert werden und geeignete Katalysekonzepte für die selektive Umwandlung konnten entwickelt werden. Intensive Berechnungen zeigten, dass Nanopartikel mit Palladium als zentralem reaktivem Baustein eine gute Wahl sind und warum übliche Katalysatoren versagen. Und es klappte im Labor.

Die Chemie schafft es, Moleküle mit Eigenschaften zu erzeugen, die es so auf dem Planeten noch nicht gibt, und das hat auch maßgeblich Einfluss auf unseren modernen Lebensstil. Durch eine winzige chemische Variation am Molekül können manchmal ganz neue Eigenschaften erzielt werden, doch dies zu erreichen, ist oftmals nicht trivial.

Den Weg zu entwickeln, ist dabei das Ziel und stellt ein weiteres Kernthema ihres Arbeitskreises dar. Konkret tauschte beispielsweise Franziska Schoenebeck das Wasserstoffatom am Stickstoffatom von Amiden durch eine Trifluormethylgruppe (-CF3) aus. Über Amidgruppen sind etwa Aminosäuren in Proteinen verknüpft. Fehlt plötzlich das Wasserstoffatom, können sich keine Wasserstoffbrücken mehr bilden, was die dreidimensionale Struktur von Enzymen verändert.

Amidgruppen sind auch Bestandteil vieler Wirkstoffe, etwa vom Antibiotikum Penizillin, dem Schmerzmittel Paracetamol, dem bei Herzkrankheiten Verwendung findenden Atorvastatin oder dem Süßstoff Aspartam. Franziska Schoenebeck und ihr Team haben sie bereits in der „CF3-Variante“ hergestellt. „Ein Antibiotikum, das so verändert ist, ist vielleicht von Vorteil“, erläutert die Wissenschaftlerin. Es stellt sich die Frage: Hat dies Einfluss darauf, ob oder wie schnell Resistenzen entwickelt werden? Und passiert Ähnliches auch bei Pestiziden, die auf diese Weise fluoriert sind?

Auf jeden Fall ändern sich die physikalischen Eigenschaften solcher Moleküle. Fragen über Fragen. Manche können Experimente oder Computersimulationen beantworten, andere werden Kooperationspartner klären. Mit dem Besten aus zwei Welten –Theorie und Experiment – hat Franziska Schoenebeck schon jetzt eine Reihe von innovativen und kreativen Lösungen in der Organischen Chemie herbeigeführt. Man kann gespannt sein, was noch kommt.

Weitere Informationen zur Preisverleihung am 24. Juni 2021 und Anmeldung: www.klung-wilhelmy-wissenschafts-preis.de