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„Nahbar, zugewandt und ehrlich interessiert“

Nach seiner Rede an die Studierenden in Deutschland diskutierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Berliner Studierenden. Auch Studentinnen der Freien Universität waren dabei.

22.04.2021

Ausgebremst in ihrer Ausbildung. Neun Studierende konnten am 12. April in der Staatsbibliothek dabei sein, stellvertretend für ihre Kommilitoninnen. Im Hintergrund ein TV-Team.

Ausgebremst in ihrer Ausbildung. Neun Studierende konnten am 12. April in der Staatsbibliothek dabei sein, stellvertretend für ihre Kommilitoninnen. Im Hintergrund ein TV-Team.
Bildquelle: Bundesregierung/Sandra Steins

Auf viele Fragen habe auch er nicht „die schnelle, erlösende“ Antwort, räumte der Bundespräsident in seiner Ansprache an die Studierenden ein – Einsamkeit, finanzielle Sorgen, Angst, wie der Studienabschluss, der Wechsel ins Berufsleben klappen soll, Angst, wie die Zukunft nach der Pandemie aussieht: „Aber mindestens dies will ich Ihnen versichern: Ich verstehe Ihre Ungeduld, ich verstehe Ihre Ängste!“.

Dieses Eingeständnis habe sie sehr angesprochen, sagt Luca Lil Wirth. Die Masterstudentin am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität war eine von neun Studentinnen und Studenten, die in der Staatsbibliothek Unter den Linden die Rede des Bundespräsidenten persönlich verfolgt und anschließend mit ihm diskutiert haben.

„In der falschen Erwartung, diese Pandemie schnell hinter uns zu lassen, hatten wir als Gesellschaft gemeinsam vielleicht zu wenig im Blick, was dieser harte und tiefe Einschnitt, dieses Ausgebremstsein für junge Menschen bedeutet, junge Menschen, die voller Lust und Energie am Anfang ihres Lebens stehen, am Fuße der Treppe sozusagen.“ Mit diesen Worten hatte sich Bundespräsident Frank Walter Steinmeier am vorvergangenen Montag an die Studierenden in Deutschland gewandt. Anlass war der Beginn des Sommersemesters, das dritte in Folge, das digital begann.

Ein Austausch über fehlenden Austausch

Gar nicht metaphorisch, sondern tatsächlich vor ihm, auf der Treppe in der Staatsbibliothek, saß die Gruppe der Studierenden, pandemiegerecht mit FFP2-Masken ausgestattet, für alle anderen wurde die Rede online übertragen. Er wisse, sagte Bundespräsident Steinmeier, dass der andauernde Online-Unterricht und die Schwierigkeit, soziale Kontakte knüpfen zu können, vielen zu schaffen mache: „Ein Präsenzstudium, das von der Begegnung, vom Austausch lebt, können auch noch so viele Zoom-Konferenzen niemals ersetzen. Der Splitscreen, die Verkachelung der Universitäten‘“ – damit zitierte der Bundespräsident den Historiker Paul Nolte von der Freien Universität – „darf nicht zur Normalität werden.“

Steinmeier zeigte sich besorgt um jene Studierenden, die in der Pandemie in eine finanzielle Notlage geraten sind, etwa weil sie ihren Nebenjob verloren haben. Deutlich machte er auf Versäumnisse aufmerksam, die die Pandemie offenbart habe: „Es hat an vielen Stellen gehakt und geklemmt – und dieses Haken und Klemmen, es ist eben nicht allein der Politik vorbehalten; auch die Universitäten waren längst nicht überall für das digitale Zeitalter gerüstet. Es fehlt an starken Datenleitungen, es fehlt an Ausrüstung, Experimente und Praktika finden nicht statt. Und mitunter haben einige von Ihnen sicher auch die Bereitschaft vermisst, in der Krise auch einmal ganz schnelle, unkonventionelle Lösungen zu suchen und zuzulassen.“ Mit Blick auf die Zukunft fügte Steinmeier hinzu: „Daraus müssen wir lernen: Unser Land muss mutiger, muss zukunftsfähiger werden – und wie so vieles hier beginnt, so sollte auch dies an den Universitäten beginnen! “

Ein Auslandsaufenthalt ist kein Luxus

Als besonders bedauerlich hob er hervor, dass Erasmus-Semester und Auslandsaufenthalte von Studierenden vielfach wegfallen mussten: „Wer das als verzichtbaren Luxus abtut, dem möchte ich entgegenhalten, wie wichtig diese Erfahrung ist – auch für die europäische Idee! Europa lebt von offenen Grenzen, vom Austausch in Wissenschaft und Forschung, es lebt davon, dass junge Leute in andere Länder gehen und andere Kulturen kennenlernen.“ Aus diesem Grund machte sich Steinmeier dafür stark, dass Studierenden diese Möglichkeit nach der Pandemie erst recht wieder offenstehen sollte, ohne akademische oder finanzielle Nachteile.

Als „schönes Signal“ empfand Luca Lil Wirth die Ansprache des Bundespräsidenten: „Herr Steinmeier hat keine großen Versprechungen gemacht, die zu halten sowieso unmöglich wäre, sondern offen und frei heraus gesagt, was realistisch zu erwarten ist. Ein schönes Signal an die Studierenden; noch schöner wäre es, wenn konkrete Handlungen folgen würden.“

Eine Studie für den Bundespräsidenten

„Wir haben viel über die Probleme, Sorgen und Existenzängste gesprochen, mit denen ein Großteil der Studierenden gerade kämpft“, berichtet Enna Rodewald nach dem Gespräch mit dem Bundespräsidenten. Sie studiert an der Freien Universität Biologie und Deutsche Philologie im Master of Education.

Sie machte den Bundespräsidenten auf eine Studie aufmerksam, die Studierende des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität erstellt haben. Der Studie zufolge hat ein Drittel der Berliner Studierenden derzeit keinen ruhigen Arbeitsplatz. Ihre Kommilitonin Silvana Blaube ergänzt: „Als uns Herr Steinmeier um eine schriftliche Zusammenfassung der Studienergebnisse bat, konnten wir ihm direkt ein Exemplar in die Hand drücken. Mal sehen, welchen Weg diese beiden Seiten noch finden werden.“

Offenes Gespräch leider ohne Kameras

Dass das sich an die Rede anschließende Gespräch ohne Kameras stattfand und nicht aufgezeichnet wurde, bedauerten die drei Studentinnen: „Der Bundespräsident hat sich wirklich nahbar, zugewandt und ehrlich interessiert gezeigt. Das hat uns Studierenden dort viel bedeutet, und ich bin mir sicher, das hätte auch den Kommilitoninnen und Kommilitonen an den heimischen Schreibtischen einen kleinen Lichtblick beschert“, sagt Silvana Blaube. „Wir haben gespürt: Da gibt es ganz oben einen Politiker, der hat auch als Mensch mit uns gesprochen. Und er hat wirklich verstanden, was wir Studis jetzt brauchen.“