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„Brücken sind wichtiger denn je“

Der Präsident der Freien Universität Berlin, Professor Günter M. Ziegler, im Gespräch über Wissenschaftskooperation mit autoritär regierten Staaten

17.02.2021

Weitsicht.Wissenschaft kann den Dialog zwischen Gesellschaften auch über politische Diskrepanzen hinweg befördern.

Weitsicht.Wissenschaft kann den Dialog zwischen Gesellschaften auch über politische Diskrepanzen hinweg befördern.
Bildquelle: Magda Ehlers/Pexels

Das Präsidium der Freien Universität Berlin hat 2020 ein Strategiepapier zu Internationalisierung und Wissenschaftsfreiheit beschlossen. Darin wird ein Leitbild für eine verantwortungsvolle Internationalisierung formuliert, und es werden Verfahrensgrundsätze zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit in der internationalen Zusammenarbeit skizziert. In Ländern, in denen die Wissenschaftsfreiheit systematisch eingeschränkt wird, sollen diese Verstöße bewusst mit Partnerinstitutionen thematisiert werden. Denkbare Konsequenz kann auch der Abbruch von Partnerschaften sein. Ein Interview mit dem Präsidenten der Freien Universität.

Professor Ziegler, warum hat die Freie Universität zum Umgang mit Ländern, in denen die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt wird, ein Strategiepapier beschlossen und veröffentlicht? Solche Länder hat es ja schon immer gegeben …

Das ist richtig, und das war für die Freie Universität von Anfang an ein wichtiges Thema. Seit ihrer Gründung im Jahr 1948 sieht sie sich der Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit verpflichtet. Doch die Aufgaben unserer Universität haben sich in den vergangenen Jahren deutlich erweitert, und durch unsere Verbindungsbüros und strategischen Partnerschaften sind wir selbst zu einem internationalen Akteur geworden. Vor Ort bekommen wir so die Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit noch unmittelbarer zu spüren. Diese Angriffe sind diffuser geworden und berühren uns heute vielerorts und sehr unterschiedlich in internationalen Partnerschaften und im Rahmen unseres Engagements zugunsten verfolgter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Was ist die Kernbotschaft des Papiers?

Dialog ist unabdingbar und, wenn notwendig, auch kritischer Dialog. Bei gravierenden Verstößen gegen die Wissenschaftsfreiheit können und dürfen wir unsere Augen nicht verschließen. Wir müssen Solidarität mit ausländischen Kolleginnen und Kollegen zeigen, die für Wissenschaftsfreiheit eintreten, und wir müssen unsere Forschungspartnerschaften stets überprüfen. Der gute Name der Freien Universität darf nicht dem „political whitewashing“ autoritärer Regime dienen.

Insbesondere die Beziehungen mit China werden seit etwa zwei Jahren einer kritischen Beobachtung unterzogen. Jüngst hat etwa auch die Hochschulrektorenkonferenz Richtlinien zum Umgang mit chinesischen Partnerinstitutionen veröffentlicht. Die Freie Universität hat sich in China in vielfältiger Hinsicht engagiert: Sie unterhält unter anderem eine strategische Partnerschaft mit der Peking-Universität und dort auch ein Verbindungsbüro. Hat sich die Freie Universität zu eng an chinesische Partner gebunden?

Die Wahrnehmung Chinas in der westlichen Welt ist seit einigen Jahren deutlich kritischer geworden, sicherlich zu Recht, denn die politischen Verhältnisse in China haben sich ja insbesondere seit dem Amtsantritt Xi Jinpings als chinesischer Staatspräsident nicht zum Positiven verändert, um es vorsichtig zu formulieren. Gleichzeitig ist China wirtschaftlich und politisch noch wichtiger geworden, und die chinesische Forschung ist zu einem ernsthaften Wettbewerber aufgestiegen. Mit dieser Ambivalenz müssen wir leben. Man könnte darauf mit Ausgrenzung und Isolierung reagieren oder – und das halten wir für viel besser – mit Kooperation in all jenen Bereichen, in denen Zusammenarbeit sinnvoll und für beide Seiten fruchtbringend ist. Und für diese Kooperationen sind die Partnerschaften unabdingbar, denn nur so bekommen wir als Universität die Kontakte, um deutlich, aber auch konstruktiv und vertrauensvoll miteinander zu sprechen – statt nur übereinander.

Wie weit darf die Zusammenarbeit mit autoritären Staaten gehen? Darf man Geld, etwa für Lehrstühle, annehmen?

Sie spielen auf Kritik an der neuen Professur für Chinesisch als Fremdsprache an, für die wir eine fünfjährige Anschubfinanzierung durch die chinesische Regierung eingeworben haben. Es ist weltweit gängige Praxis, dass Länder Lehrkräfte aus eigenen Mitteln finanzieren, um den Sprachunterricht im Ausland zu unterstützen. Wir haben an der Freien Universität bei diversen Sprachprogrammen finanzielle Unterstützung von ausländischen Botschaften und Kultusministerien. Das Land, das diese Form von Sprachenpolitik neben Frankreich vermutlich am intensivsten betreibt, ist übrigens Deutschland. Allerdings muss bei einer solchen Förderung natürlich gelten, dass wir die Sprachdozierenden und im konkreten Fall auch den Inhaber der Professur selbst bestimmen können und dass sie unseren Qualitätsmaßstäben entsprechen. All das ist gewährleistet: Wir konnten mit Professor Andreas Guder einen führenden deutschen Sinologen und Experten für Chinesisch-Didaktik berufen. Von chinesischer Seite war an diesem Berufungsverfahren niemand beteiligt.

Warum ist der Chinesisch-Lehramtsstudiengang so wichtig?

In Deutschland lernen etwa 6000 Schüler und Schülerinnen Chinesisch. Angesichts der Bedeutung Chinas und auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist das eine bemerkenswert niedrige Zahl. Das liegt sicherlich daran, dass die große China-Euphorie vorbei ist und die Entwicklung und die Politik Chinas schon längst nicht mehr so positiv gesehen werden kann wie noch vor fünf Jahren. Gleichwohl ist, vor allem angesichts seiner ungeheuren Machtfülle, eine Kenntnis Chinas und eine Ausbildung von China-Fachleuten heute wichtiger denn je! Hier sehen wir uns gefordert, doch wir wollen, dass Chinesisch lernende Schüler von Lehrkräften nach unseren Standards ausgebildet werden.

In den USA und in Deutschland wird die Kritik an Konfuzius-Instituten lauter. Warum hält die Freie Universität an ihrer Kooperation fest?

Wir waren uns immer bewusst, dass die Konfuzius-Institute staatlich finanzierte Institute sind, deren Ziel eine positive Darstellung der Kultur und Politik Chinas ist. Die Existenz des Instituts in Dahlem hat aber überhaupt keinen Einfluss darauf, wie wir uns an der Freien Universität mit China beschäftigen und wie wir die vielen kritischen Themen in unseren Seminaren behandeln. Da gibt es eine klare „Firewall“ zwischen unserem Institut für Sinologie und dem Konfuzius-Institut. Das Konfuzius-Institut bietet an der Universität keine Studieninhalte an jenseits einführender Kurse für den Studienbereich der Allgemeinen Berufsvorbereitung in Chinesisch. Dort gibt es ein Komplementärangebot, etwa in klassischer chinesischer Kultur. Wir schauen uns aber die Entwicklungen in China genau an. Wenn wir das Gefühl hätten, dass die Institute hier Propaganda machen, würden wir die Verbindung sicher lösen.

Es gibt neben China noch viele andere Staaten, deren Regierungen nicht demokratisch legitimiert sind. Mit welchen Partnern sehen sie weitere Konflikte?

Da könnte man eine ganze Reihe von Ländern aufzählen. Aber dennoch ist es absolut notwendig, auf einem niedrigschwelligen Level Kontakt auch mit sehr problematischen Ländern zu haben. Denn wenn es im Westen niemanden gibt, der das betroffene Land kennt und versteht, wie soll man dann überhaupt in ein Gespräch kommen? Grundsätzlich kann man über Wissenschaftskontakte Türen offenhalten, die man in anderen Bereichen aus guten Gründen geschlossen hält. Solche Brücken sind heute wichtiger denn je.