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Provenienzforschung

Die Provenienzforschung an Museen, Bibliotheken und anderen Kulturgut bewahrenden Einrichtungen ist kein Selbstzweck, sie ist keine Forschung im wissenschaftlichen Reinraum. Vielmehr ist sie im engen Zusammenhang mit den "Washingtoner Prinzipien" von 1998 zu verstehen: Sie soll zu "gerechten und fairen Lösungen" beitragen und den Nachfahren der vom NS-Regime Verfolgten zu ihrem Recht verhelfen. Die Museen und Bibliotheken gewinnen wiederum Gewissheit über die Herkunft ihres Bestandes oder auch Gewissheit darüber, dass die Herkunft nicht zu ermitteln ist.“

Lupfer, Gilbert: "Provenienz & Forschung, Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste", abgerufen 07.11.2019

Was ist Provenienzforschung?

Der Begriff Provenienzforschung, der auch unter Provenienzrecherche, Provenienzerschließung oder Herkunftsforschung subsumiert wird, leitet sich vom Begriff Provenienz, der Herkunft, ab. Die Provenienzforschung ist eine Teildisziplin der Kunstgeschichte. Sie widmet sich der wissenschaftlichen Erforschung der Herkunft von Kulturgütern und den wechselnden Besitzverhältnissen von einzelnen Kunstwerken in Museen, von Büchern in Bibliotheken oder Antiquaritaten sowie von Kultur- oder Archivgut und spiegelt in ganz besonderer Weise Geschichte wider.

Provenienzforschung in den Bibliotheken der Freien Universität Berlin

Die Freie Universität Berlin wurde am 4. Dezember 1948 von Studierenden und Wissenschaftler*innen mit ideeller und finanzieller Unterstützung der USA gegründet. Die erste Sammeltätigkeit von Büchern und Zeitschriften fand in der sogenannten Bibliotheksleitstelle statt, aus der 1952 die Universitätsbibliothek (UB) hervorging. Der Aufbau eines wissenschaftlich relevanten Altbestands in der Nachkriegszeit war, trotz vieler Spenden und antiquarischer Ankäufe, schwierig. Durch die Übernahme von durch Kriegsfolgen heimatlos gewordenen (Teil-)Beständen anderer Bibliotheken herrschte zunächst eine gewisse Zufälligkeit im Bestand der UB.

Die Universitätsbibliothek der Freien Universität verfügt über ca. 8. Mio. Medien. Eine der größten Ausleihbibliotheken der FU Berlin ist die Zentralbibliothek mit etwa 2,1 Mio. Medien. Sie verfügt über einen Bestand von ca. 250.000 gedruckten Werken, die vor 1945 erschienen sind. Unter diesen Büchern befindet sich ein nicht geringer Bestand an Exemplaren, der ggf. auf Enteignungen und Zwangsverkäufe während des Nationalsozialismus zurückzuführen ist.

In unseren Bibliotheken stehen grundsätzlich alle Medien unter dem Verdacht NS-Raubgut zu sein, die folgende Merkmale aufweisen:

  • Erscheinungsjahr vor 1946
  • Vorbesitzermerkmale: Stempel, Exlibris, Autogramme, Widmungen, Namenseinträge, etc.

Arbeitsstelle Provenienzforschung

Die "Arbeitsstelle Provenienzforschung" an der Universitätsbibliothek der Freien Universität wurde im Oktober 2013 als Stabstelle gegründet. Grundlagen der Arbeit sind die Washington Principles on Nazi-Confiscated Art (Washingtoner Prinzipien) und die Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz (Gemeinsame Erklärung) sowie die Handreichung als eine rechtlich nicht verbindliche Orientierungshilfe zur Umsetzung und Umgang mit Kulturgut in öffentlicher und privater Hand.
Zur Identifizierung von Kulturgut in den Bibliotheken der FU Berlin, das während der nationalsozialistischen Diktatur entzogen wurde, dient außerdem der Leitfaden Provenienzforschung, der vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gemeinsam mit Museums-, Bibliotheks- und Provenienzforschungsverbänden erarbeitet wurde.

Provenienzforschung am Objekt Buch

Mittels Provenienzforschung kann die Herkunft einzelner Buchwerke anhand der darin enthaltenen Provenienzspuren wie z. B. Exlibris, Signaturen und Handschriften identifiziert und ihren Eigentümer*innen zugeordnet werden. Die Provenienzspuren sind die Verbindung in die Vergangenheit eines Buches. 

Ergibt sich bei der Recherche einer Provenienz ein erster Hinweis, folgt eine gezielte Tiefenrecherche in allen weltweit öffentlich zugänglichen Datenbanken, bei Landesämtern, Bundesämtern, Archiven, auf historischen und genealogischen Webseiten, in der Literatur, etc. Einige Datenbanken und Archive sind nicht frei zugänglich, hier müssen Anträge auf Einsicht gestellt werden. Leider gibt es bisher „DIE eine Datenbank“, in der alle Puzzelteile eines Menschenlebens, der Geschichte des Buches, etc. zusammengefasst sind, nicht. Daher sprechen wir nicht nur von wissenschaftlichen Recherchen, sondern auch von echter Detektivarbeit, die viele Fragen aufwirft, auf die wir bei unserer Forschung in Bibliotheken Antworten finden müssen:

Woher kommen diese Bücher?
Wer hat sie geplündert und wann?
Wem gehörten sie damals und heute?

In vielen Fällen bedarf es der Zeit, um die relevanten Bausteine zu einem Gebilde zusammenzusetzen, das uns eine fundierte Geschichte erzählt. Die Provenienzrecherche ist ein zeitintensiver Arbeitsprozess, der oft sehr lange dauert. Nicht selten liegen viele Monate zwischen der ersten Recherche und im besten Fall, einer erfolgreichen Rückgabe der beschlagnahmten Bücher an die Erben oder Rechtsnachfolger*innen.

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