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Rede von Christian Bode anläßlich der Immatrikulationsfeier im Wintersemester 2005/06, FU Berlin

Rede anlässlich der feierlichen Immatrikulation an der Freien Universität Berlin zum Wintersemester 2005/2006

Dr. jur. Christian Bode, Generalsekretär des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes (DAAD)

"Über den Wert des Wanderns in der Wissenschaft"

 

Herr Präsident, Herr Dekan, liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen, sehr geehrte Damen und Herren.

Zunächst einmal herzlichen Dank, lieber Herr Lenzen, für die freundliche Einführung und die Einladung, hier zu sprechen. Ich verdanke sie wohl dem Umstand, dass ich früher einmal hier studiert habe und der FU noch heute jährlich rund 4,3 Millionen Euro überweise, gestückelt in unauffälligen Beträgen und natürlich unversteuert. Bei Lichte besehen, kommen diese Zuwendungen allerdings vom Konto des DAAD und letztlich vom deutschen Steuerzahler, dessen Geld ich zwar selber ein werben, aber nicht selber ausgeben darf; vielmehr geschieht das durch unabhängige akademische Auswahl-Kommissionen und im harten Wettbewerb unserer Mitgliedshochschulen. So gesehen, ist es allerdings ein Kompliment, wenn ich hier bekenne, die Freie Universität ist dem DAAD besonders lieb und teuer. Sie nimmt in der Tat sowohl bei der Höhe der Zuwendungen als auch bei der Zahl der in- und ausländischen DAAD-Stipendiaten - es sind über 500 - einen Spitzenplatz ein. Gestern noch haben Herr Lenzen und ich die neuen ausländischen DAAD-Stipendiaten begrüßt, zwei Wochen zuvor haben wir beide in Peking das von der FU betreute Zentrum für Deutschlandstudien an der Peking-Universität eröffnet und die Beispiele gemeinsamer Programme und Projekte ließen sich unschwer verlängern.

Dass die FU in Sachen Internationalität einen Spitzenplatz hält, hat gewiss mit ihrer Qualität und Strategie, auch mit der Attraktivität dieser Stadt zu tun, sicher aber auch mit dem Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Internationalen Büros. Dass davon gleich drei tragende Figuren aus dem DAAD abgeworben wurden, zeugt vom sicheren Rekrutierungsgespür der Leitung. Wie man am DAAD-Konto sieht, rechnen sich solche Investitionen auch.

Soviel zum einleitenden Abschnitt unter der Überschrift "Austausch von Artigkeiten und Komplimenten" und nun zum Thema:

Als ich damals, vor unvordenklichen Zeiten, diesen Saal zum ersten Mal betrat, hätte ich mir niemals vorgestellt oder auch nur vorstellen wollen, dass ich eines Tages hier oben stehen würde als ein Vertreter jenes Establishments, vor dem wir doch damals so nachdrücklich warnten. Heute nun, nachdem ich einige linke Flausen aus dem Kopf und noch mehr Haare auf demselben verloren habe (ein übrigens häufig parallel auftretendes Verlusttrauma, das ich mit manchen Zeitgenossen, auch in diesem Saale, teile), heute nun stehe ich hier und kann nur hoffen, dass die Kommilitoninnen und Kommilitonen gnädiger gestimmt sind als wir damals. Natürlich hätten Sie dafür auch gute Gründe, so meinen wir jedenfalls, sind doch die Etablierten von heute wesentlich weltoffener, viel demokratischer, ja, eigentlich auch jünger als die Alten von damals, meinen wir jedenfalls, auch wenn man zugeben muss, dass so mancher von uns in seinem erbitterten Kampf gegen ungerechtfertigte Herrschaftsstrukturen und Privilegien ganz mysteriöse Lähmungserscheinungen just in dem Moment erlitt, wo er deren selbst teilhaftig werden durfte.

Freilich sind die Privilegien heute auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Zum Beispiel währte das Privileg, einen akademischen Festvortrag zu halten, früher exakt 45 Minuten, eine Vorlesungsstunde lang. Inzwischen hat Roland Berger festgestellt, dass durch Festreden in Deutschland doppelt so viel Zeit verloren geht wie durch Streik. Und so hat man mir eine Redezeit verordnet, die einem Produktivitätssprung von über 50 Prozent entspricht. Da will gut überlegt sein, was ich Ihnen auf den Weg mitgeben kann. Ich habe mich schließlich für eine Botschaft entschieden, die das Motto des DAAD "Change by Exchange" zum Gegenstand hat.

Die Botschaft lautet, an die Adresse der deutschen Studierenden gerichtet: Verlassen Sie diese Universität bei Zeiten wieder!

Mehr noch: verlassen Sie auch dieses Land, werden Sie Ausländer, am besten weit weg von hier! Und bevor der Präsident unruhig wird, denn so hat er sich das vielleicht doch nicht gedacht, beeile ich mich, hinzuzufügen: Und kommen Sie spätestens nach ein bis zwei Jahren wieder!

Und den ausländischen Studierenden rufe ich zu: Bleiben Sie hier, halten Sie durch, auch wenn gerade am Anfang vieles schreckt und schmerzt, der Regen im November, die Perfektion unserer Bürokratie und die Unverständlichkeit der Deutschen Sprache. Am Ende wird sie das Goethe-Wort belohnen: "Gehabte Schmerzen hab ich gern."

Wer solche Ratschläge erteilt, muss sich auf eigene Erfahrungen befragen lassen und da kann ich eine Verlegenheit nicht verhehlen: Uns jungen Juristen von damals hat niemand geraten, den rechtlichen oder auch nur den physischen Boden des Grundgesetzes zu verlassen, warum auch: Hatten wir nicht ein deutsches Recht, das, nachdem einige hässliche braune Flecken wegpoliert waren, wieder in altem Glanz erstrahlte, das ausländische Rechtssysteme bis nach Fernost geprägt hatte und das immer noch Lernbegierige aus aller Herren Länder anlockte? Was sollten wir da jenseits der Grenzen wirklich lernen?

Ergo stand auch in der Prüfungsordnung kein Wort vom Ausland und also blieb man im Lande und nährte sich redlich in einer Mischung von Selbstgenügsamkeit und Selbstgerechtigkeit, von Ignoranz und Arroganz, die auch weite Teile des Lehrkörpers beherrschte und die mitverantwortlich dafür sein dürfte, dass heute die meisten großen Anwaltskanzleien fest in anglo-amerikanischen Händen sind, dass europäische Rechtssetzungen und Gerichtsurteile nur mehr wenige Spuren deutscher Rechtskultur erahnen lassen und dass, - wie ich vor zwei Wochen bei einem Rechtskongress mit FU-Beteiligung in Tokio wieder lernen musste, selbst die treuesten japanischen Alumni des deutschen Rechts, inzwischen in die Jahre gekommen, ihre Kinder und Enkel nolens-volens zum Studium an die US-Law Schools schicken, ja, deren Muster der Juristenausbildung jetzt sogar im eigenen Lande etablieren.

Gorbatschows Warnung an die Zuspätgekommenen gilt eben auch im Wettstreit der akademischen Disziplinen und Systeme!

Im Berlin jener 60er Jahre, als der Mörtel in der Mauer noch frisch und der amerikanische Präsident als selbst ernannter "Bälinäh" noch heftig umjubelt war, gab es für Neuankömmlinge in der Freien Universität noch keine pädagogischen Geleitworte zur Immatrikulation, auch keine Studienordnungen, die diesen Namen verdient hätten oder gar Credit points und Gruppenarbeiten oder was sonst die späteren Reformen an Weichspülern erfunden haben.

Vielmehr galt das eher darwinistische Spiel von Versuch und Irrtum in Einsamkeit und Freiheit mit anschließender Guillotine in Form der alles entscheidenden Abschlussprüfung. Die Universität nahm uns nicht an die Hand, führte uns aber auch nicht am Gängelband. "Die Professoren sind nicht für die Studenten und die Studenten sind nicht für die Professoren da," hatte Humboldt verkündet, "sondern beide sind für die Wissenschaft da."

Das eröffnete Freiheiten, die den einen zu geistigen Höchstleistungen beflügelten und den anderen in tiefe Desorientierung und Depressionen stürzten. Jedenfalls war angesagt, sich allen fachidiotischen Indoktrinationen etwa in Form der Aneignung bloßen Wissensstoffes entschieden zu widersetzen, was auch bei mir ganz gut ging bis zu jenem Tag, als ein Strafrechtsprofessor mit offenbar abweichendem Bildungskonzept und ausgesprochen rustikaler Pädagogik meine erste Klausur mit dem unvergessenen Satz kommentierte: "Der unerträglich schwülstige Stil des Verfassers vermag dessen totale Unkenntnis der Rechtsmaterie nicht zu verbergen." Der Mann hatte, jedenfalls rückblickend, vollkommen Recht - auch wenn mich die Stilkritik - und nur diese - damals sehr kränkte. Hatte ich doch gerade jenem Stil zu verdanken gehabt, dass mir der Berliner Senat, offenbar gerührt von meinen gesamtdeutschen Bekenntnissen, ein Gebührenstipendium verliehen hatte. Sie hören richtig, wir zahlten damals, als wir noch weniger verdienten, aber auch weniger klagten, Studien-Gebühren und zwar mindestens in der Höhe, die jetzt, wie es scheint, das ganze abendländische Sozialgefüge in seinen Grundfesten zu erschüttern droht.

Nun, zumindest zwei Dinge habe ich daraus gelernt, mal abgesehen davon, dass sich mein Verhältnis zum Strafrecht von diesem Schlag nie mehr so ganz erholt hat. Erstens sind Stilfragen außerordentlich situationsrelativ und addressatensensibel.

Und zweitens: ganz ohne Wissen geht die Bildung nicht - und das letztere betone ich hier deshalb so, weil ich weiterhin ganz unbelehrbar und unverdrossen das Hohe Lied des Humboldtschen Bildungsideals singen werde, auch wenn es heutzutage à la Bolognese serviert werden muss.

Da nun dieses Ideal geradezu gebieterisch den Blick über den eigenen Tellerrand verlangt, die Justizausbildungsordnung aber nur deutsche Hausmannskost servierte, suchten und fanden wir einen eigenen Weg über die Grenzen: in einem eher selbstgestrickten, ganz und gar chaotischen Programm von Arbeits- und Studienaufenthalten in Entwicklungsländern verbrachte ich einige Monate im Sudan, arbeitete in einer dortigen Schuhfabrik, wo ich unverständliche deutsche Gebrauchsanweisungen von Pfaff-Nähmaschinen in noch unverständlicheres Englisch übersetzte, studierte ein paar Wochen in der Universität Khartoum erstaunlich fremdartiges, nämlich englisches Recht, geriet ganz unfreiwillig in eine studentische Rebellion, die sich zu einem veritablen Volksaufsand mauserte, wurde von einem ebenso fassungs- wie ahnungslosen deutschen Botschafter des Landes verwiesen, was allerdings an der Schließung des Flughafens scheiterte und endete dann, nach dem Sieg der Revolution, die wir meist im sicheren Versteck überlebt hatten, gemeinsam mit unserer ganzen deutschen Studentengruppe als umjubelte Helden der internationalen Solidarität.

Eine Zeitlang glaubten wir das schließlich selbst und meinten, die Welt sei wieder ein Stückchen besser geworden, um dann später bitter zu lernen, dass linke Diktaturen kein Deut besser sind als rechte.

Nun aber, heutzutage, ist jedenfalls in der akademischen Welt trotz aller Unkenrufe vieles besser geworden, zumindest was mein Thema, die Internationalität von Studium und Lehre betrifft. Heute gehören Austauschprogramme bis hin zu Doppeldiplomen zum Standard-Angebot juristischer Fakultäten, auch der hiesigen, gibt es Stipendien des DAAD sogar für Studierende vor dem ersten Abschluss für alle Länder dieser Welt, sind Europäisches und Internationales Recht reguläre Elemente des Curriculums, haben wir Niederlassungs-Freiheit in 25 Mitgliedsländern der EU, und ähnliches könnte ich natürlich auch für die anderen Fächer vermelden.

Soweit, so gut. Und doch reicht mir das noch nicht.

Denn noch sind diejenigen, die während ihres Studiums oder ihrer Promotion zeitweilig ins Ausland gehen, eine Minderheit, die eigentlich eine Mehrheit sein sollte. Ihr Anteil beträgt, wenn man auf die erfolgreichen Absolventen der deutschen Hochschulen abstellt, gerade mal 15 Prozent, und das in einem Land, das fast ein Drittel seines Sozialprodukts im Export erwirtschaftet. Der DAAD hat deshalb vor einiger Zeit in seinem Aktionsprogramm mit dem programmatischen Titel: "Die internationale Hochschule" eine neue Zielmarke für die Auslandsmobilität gesetzt: 50 Prozent bis zum Jahr 2010, das heißt also jeder zweite von Ihnen, wobei neben dem klassischen Auslandsstudium auch Auslandspraktika wie auch längere Sprachkurse etwa in seltener gelernten Sprachen mitgerechnet werden; wenn wir Auslandsmobilität so definieren, sind wir gegenwärtig bei 35 Prozent, und da ist der Weg zum neuen Ziel nicht mehr so unerreichbar weit.

Dass dieses Ziel erreichbar ist, haben einige deutsche Privat- und Fachhochschulen schon bewiesen. Und die wohl weltführende Trendsetterin in Sachen Elite-Ausbildung, die Harvard-University, hat jüngst noch einen draufgesetzt und sogar die 100 Prozentmarke anvisiert. In ihrer derzeit heftig diskutierten Curriculum-Reform erklärt sie die Gewinnung von internationalen Einsichten und Erfahrungen für jeden einzelnen Harvard-Graduierten zu einer tragenden Säule ihres Erziehungskonzepts, wobei vorzugsweise nichtenglischsprachige Gast-Länder zum Zuge kommen sollten.

Freilich lässt Harvard für ihre Studierenden schon einige Wochen in unvertrauter Ferne genügen, was man wahlweise als typische Arroganz der Eliten oder auch als nüchterne Einsicht in das Machbare interpretieren mag. Ich denke, dass wir wenigstens in diesem Punkte der Harvard University nicht nur nacheifern, sondern auch mit ihr gleichziehen könnten.

Nun mögen Sie fragen, ob das denn wirklich lohnt, Ihren ganzen Lebensrhythmus zumindest zeitweilig durcheinander zu bringen, die endlich ergatterte schöne Bude in Prenzlauer Berg aufzugeben und vielleicht den Freund oder die Freundin gleich noch dazu, ob es wirklich Sinn macht, eine angesehene Universität in einer spannenden Stadt zu verlassen, um vielleicht dann in einer vergleichsweise erlebnisarmen Heckenlandschaft Mittelenglands in nur partiell verständlicher Sprache ein paar Credit points zu erkämpfen, die ihnen zu Hause möglicherweise noch nicht mal richtig anerkannt werden.

Es mögen auch einige einwenden, das Ganze koste zusätzliche Zeit und zusätzliches Geld, das man nicht habe, zudem noch den Verlust des Nebenjobs, auf den man angewiesen sei, auch fehle es an Informationen und manches andere mehr. Nun, zu alle dem gibt es eine passende Antwort.

Ich könnte Ihnen jetzt, wenn es die Organisatoren erlaubten, einen langen Vortrag über die vielen guten Gründe halten, die für ein Auslandsstudium sprechen, könnte von der Globalisierung der Arbeitsmärkte, der Internationalisierung auch der hiesigen Arbeitswelt sprechen, der Sie kaum noch entrinnen können, selbst wenn Sie sich hinterm heimischen Herd verkriechen wollten, ich müsste wohl auch einflechten, dass in manchen Fächern deutsche Hochschulen eben nicht mehr Weltspitze sind und sich deshalb ein Aufenthalt in ausländischen Excellenzzentren jedenfalls für diejenigen aufdrängt, die in ihrem Fach international an die Spitze kommen oder aber auf ihrer Visitenkarte eine karrierefördernde Abkürzung stehen haben wollen, ich müsste auch von den Fremdsprachen, namentlich der Beherrschung der englischen Sprache reden, die jedenfalls auf dem normalen Abiturniveau keinesfalls mehr ausreicht - und ich würde den zitierten Bedenkenträgern entgegenhalten, dass es noch nie so viele und einfach zugängliche Auslandsinformationen gab wie heute - merken Sie sich bitte als Einstieg ganz einfach die vier Buchstaben daad.de und dass auch die Finanzierungsfragen lösbar sind über Auslands-BAföG, Erasmus-und DAAD-Stipendien und sogar spezielle Kredite der Bundesregierung fürs Auslandsstudium, die sich zweifellos rechnen.

Ich kann es mir aber statt langer eigener Vorträge auch einfacher machen und sagen: Fragen Sie doch einfach diejenigen, die draußen waren. Ich bin ziemlich sicher, dass 9 von 10 sagen werden, dass sie ihr Studium im Ausland nicht missen wollten und es ihren besten Freunden jederzeit empfehlen. Sie werden, wie wir aus Umfragen wissen, wohl auch sagen, dass die vielen Sorgen und Bedenken, die sie sich vor der Ausreise machten, einschließlich der finanziellen, sich am Ende weit gehend aufgelöst haben.

Der Grund für das positive Urteil wird in den meisten Fällen nicht sein, dass sie dort einen Stoff gelernt haben, den sie zuhause nicht hätten lernen können, oder eine Ausstattung vorgefunden hätten, die uns hier fehlte, kurz, es werden, jedenfalls bei Studierenden bis zum ersten Abschluss, nicht in erster Linie die fachlichen Erträge sein. Im Vordergrund des Ertrages werden stattdessen interkulturelle Erfahrungen stehen, Sprache und Kultur des Gastlandes, Umgangssitten und -formen, geistiges und emotionales Klima und nicht zuletzt ein ganz unerwarteter Lerngegenstand: das eigene Ich, auch das eigene Land, die eigene Herkunft und Kultur, die eigenen Stärken und auch Schwächen.

Goethe hat das unter dem Eindruck seiner italienischen Reise in die etwas altvordere aber immer noch aktuelle und jedenfalls unnachahmliche Formulierung gefasst: "Mit dem neuen Leben, das einem nachdenkenden Menschen die Betrachtung eines neuen Landes gewährt, ist nichts zu vergleichen. Ob ich gleich noch immer derselbe bin, so mein ich doch, bis aufs Knochenmark verändert zu sein." Diese innere Erschütterung ist freilich nicht zu haben in einem kurzen Ausflug mit Rund-um-Sorglos-Paket in wohl gefederten Bussen zu bereits gemachten Betten. Nein, es sollte schon etwas eigene Mühe dabei sein, eigene Erfahrung in des Wortes wörtlichster Bedeutung, sicher auch mit Rückschlägen und, wie Goethe wohlweislich sagte, mit eigenem Nachdenken, eine Herausforderung eben, die übrigens nicht nur Stress, sondern mit jedem neu gelösten Problem neue Befriedigung vermitteln und nicht zuletzt auch Spaß machen kann.

Auf diese Weise werden Sie dann quasi nebenher so genannte Schlüsselqualifikationen erwerben, die heute durchweg als genauso wichtig sind wie die eigentlichen Fachkenntnisse, also Flexibilität, Belastbarkeit, Kreativität, Toleranz, Teamfähigkeit, Selbstbewusstsein und angemessene Selbsteinschätzung.

Und Sie werden, zunächst überrascht und dann ganz selbstverständlich zur Kenntnis nehmen, dass alle Menschen, auch Sie selbst, eigentlich Ausländer sind.

Und dieser Lern-Ertrag wird vermutlich in dem Maße wachsen, wie Sie sich dem "mainstream" nach Westen entziehen und ihre Blicke und Schritte auch einmal nach Osten oder Süden lenken. Auch dort und gerade dort gibt es viel zu lernen, etwa zum Umgang mit erschwerten Bedingungen, auch im Umgang miteinander, an Mut zur Veränderung und an Geschwindigkeit im Wandel.

Ganz so falsch war die spitze Bemerkung des Herrn Rumsfeld vom "neuen Europa" nicht und dass die Schwellenländer Asiens sich inzwischen auch wissenschaftlich zu ernsten Konkurrenten entwickelt haben, müsste der aufmerksame Zeitungsleser längst wissen. In einem so verstandenen Sinne käme die Wirkung eines Auslandsstudiums in die Nähe dessen, was Wilhelm von Humboldt als die eigentliche Aufgabe der Universität, namentlich der in Berlin, bezeichnet hat, nämlich die Bildung der Persönlichkeit in der Beschäftigung mit der Wissenschaft. "Denn dem Staat", so schrieb er in seiner berühmten Denkschrift, "ist es ebenso wenig als der Menschheit um Wissen und Reden, sondern um Charakter und Handeln zu tun."

Dass dieser Erziehungsauftrag, wohl auch infolge der ideologischen Indoktrination nach 1933, heute weithin verdrängt, vergessen oder gar verleugnet wird, hat ein ideelles Vakuum geschaffen, das durch fachliche Module und credit points allein nicht aufgefüllt werden kann. Im Gegenteil steht zu befürchten, dass die Einführung dreijähriger Bachelor-Studiengänge mit ihrer stofflichen Komprimierung und didaktischen Verschulung die Problematik eher verschärfen wird. Um Missverständnissen vorzubeugen: ich befürworte nachdrücklich die Einführung des international marktgängigen Bachelor-Master-Systems, warne allerdings vor Risiken und Nebenwirkungen, wenn wir alles über den gleichen Kamm von 3 plus 2 Jahren scheren, sinnvolle Differenzierungen aufgeben, die berufliche Orientierung zu eng fassen und die Grundbildung vernachlässigen, die doch das Fundament eines lebenslangen Lernens abgeben soll.

So gesehen könnte sich ein verständig geplantes Auslandsstudium zur rechten Zeit geradezu zu einem pädagogischen Asyl entwickeln, wenn - und damit bin ich bei meinem Schlussplädoyer: wenn die Universität das Ihrige dazu tut.

Und das heißt, in aller Kürze:

Erstens, dass sie auch und gerade in fest strukturierten Bachelor-Studiengängen ein Fenster für Mobilität eröffnet, d.h. Auslandsphasen jedenfalls ermöglicht, wenn nicht sogar in geeigneten Fällen auch vorschreibt.

Zweitens, dass dafür auch eine Verlängerung der Regelstudienzeit hingenommen wird, denn schließlich sollen die Studierenden im Ausland gerade nicht dasselbe wie zu Hause tun, sondern eben etwas anderes und das zumeist unter erschwerten Bedingungen.

Drittens, dass sie solche Auslandsstudien trotz oder gerade wegen ihrer Andersartigkeit großzügig anerkennt und die darin liegenden besonderen Leistungen und Bildungserträge honoriert; hier liegt gerade in Deutschland noch manches im Argen. Provinzialismus zeigt sich eben auch darin, dass man die eigene kleine Welt für den Nabel der ganzen hält.

Wie sagte doch Wilhelms weit gereister und weltberühmter Bruder Alexander von Humboldt: "Gefährlich ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben...." Also, gehen sie hin, schauen sie hin und schauen sie sich um - und kommen Sie dann wieder. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen guten Start in dieser Universität, die sich Freiheit und Wahrheit zum Wahlspruch genommen hat.