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Prof. Dr. Hajo Riese

29.01.2021

Prof. Dr. Hajo Riese starb am 25. Januar 2021 im Alter von 88 Jahren. Er war von 1970 bis 2001 Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin.

Nachruf

Hajo Riese gehörte der Freien Universität Berlin von 1970 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2001 an. Von 1973 bis 1975 war er deren Vizepräsident und in dieser Funktion zuständig für die Hochschulentwicklungsplanung. Seit sich Hajo Riese 1966 mit einem bildungsökonomischen Thema habilitierte, hat er seine theoretischen Kenntnisse immer wieder in den Dienst der Hochschulpolitik gestellt.

Das umfangreiche wissenschaftliche Werk von Hajo Riese folgt einer inneren Logik. Zunächst qualifizierte er sich mit Arbeiten auf den Gebieten der Wachstumstheorie und der Bildungsökonomie, um sich danach in einen Kritiker des Mainstream in der ökonomischen Debatte (‚Neoklassik‘) zu verwandeln. Obwohl er das neoklassische Denkgebäude wegen seiner inneren Logik und Eleganz bewunderte, so hat er doch in seinen Schriften immer dessen Defizite aufgezeigt. Mit seiner Kritik hat er fundamentale Beiträge zur Theorie der Wirtschaftspolitik, zur Makroökonomik und zur Geldtheorie geleistet. Sein Forschungsprogramm einer Theorie der Geldwirtschaft als Gegenentwurf zum neoklassischen Modell ist nicht nur aus einer erkenntnistheoretischen Perspektive von Interesse. Vielmehr hat Hajo Riese daraus auch Antworten auf grundlegende wirtschaftspolitische Fragen abgeleitet, so zur Frage der Strategien wirtschaftlicher Entwicklung, zur Frage der Transformation sozialistischer Wirtschaftssysteme und zur Politik von Zentralbanken.

Mit seiner ungeschützt vorgetragenen fundamentalen Kritik begab sich Hajo Riese bewusst in die Rolle eines Außenseiters, der zwar persönlich hochgeschätzt wurde, dem man aber eine führende Rolle im Wissenschaftsbetrieb nicht zugestand – vermutlich hat er sie auch nicht gesucht. Im Ausland dagegen wurde sein Rat geschätzt und er wurde als Berater an internationale Brennpunkte gerufen. Auf Einladung der jeweiligen Zentralbanken und Regierungen reiste Hajo Riese 1993/94 nach Südamerika sowie 1995 und 1997 nach Vietnam. Den Aufbau des Finanzsystems in Vietnam begleitete er als Leiter eines längerfristigen Forschungsprojekts.

Hajo Riese suchte die Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Mainstream nicht nur aus einer erkenntnistheoretischen Perspektive, sondern er hat immer wieder zu den wichtigen Fragen der aktuellen Wirtschaftspolitik Stellung bezogen. Er war kein Dogmatiker, vielmehr verabscheute er das Apodiktische, den ‚Mythos‘. Dennoch wurde er von seinen Diskussionsgegnern nicht selten unterschätzt, mit dem Hinweis, man würde seine Argumentation nicht verstehen. Sein Geheimnis, das seine Stärke in diesen Debatten ausmachte: Er hatte immer alles gelesen – und das verlangte er auch von seinen Gegnern. Nur wenige haben seine erkenntnistheoretische Position erkannt und ernst genommen. So konfrontierte ihn Olaf Sievert, ehemaliger Vorsitzender des Sachverständigenrats, in einem berühmt gewordenen Streitgespräch mit dem – ironischen – Vorwurf: ‚Sie haben’s mit allen, was? ‘ Worauf Hajo Riese antwortete: ‚Aber nicht immer zur gleichen Zeit‘.

Erst viele Jahre nach seiner Emeritierung hat die Finanzkrise seiner Denkschule auch im deutschen Sprachraum abrupt Geltung verschafft und der wirtschaftspolitischen Debatte eine neue Perspektive geöffnet. Aber da war Hajo Riese an diesen Fragen schon nicht mehr interessiert. Mit ihm verliert die Freie Universität einen unbeirrbaren Wissenschaftler und einen großen akademischen Lehrer.

 

Prof. Dr. Horst Tomann, Universitätsprofessor a.D.

Professur für VWL Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsgeschichte 1979-2008