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„Die unabdingbare Verflechtung von Wissenschaft und Freiheit“

Die Freie Universität wird in diesem Jahr 70 Jahre alt / Ein Gespräch mit ihrem Präsidenten Professor Peter-André Alt

23.01.2018

Am 4. Dezember 2018 begeht die Freie Universität ihren 70. Geburtstag.

Am 4. Dezember 2018 begeht die Freie Universität ihren 70. Geburtstag.
Bildquelle: Center für Digitale Systeme (CeDiS) der Freien Universität Berlin

Am 4. Dezember 1948 wurde die Freie Universität von Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gegründet, unterstützt von den amerikanischen Alliierten und Berliner Politikern. Auslöser war die Verfolgung systemkritischer Studierender an der damaligen Universität Unter den Linden im sowjetischen Sektor des geteilten Berlins. Frei von politischem Einfluss wollten Studierende und Wissenschaftler an der Freien Universität lernen, lehren und forschen. In campus.leben spricht Universitätspräsident Professor Peter-André Alt vom bis heute wirksamen Gründungsmythos und seiner ganz persönlichen Beziehung zur Freien Universität.

Herr Professor Alt, wie muss man sich die Situation in Berlin im Jahr 1948 vorstellen?

Der Krieg war gerade drei Jahre zu Ende, Berlin zerstört, die Infrastruktur nicht wiederhergestellt, im Winter war es kalt, die Menschen konnten kaum heizen. In der Stadt gab es viele Heimatlose, und der Hunger war groß. Viele junge Menschen litten nicht nur unter dem Mangel an Nahrung. Sie hungerten auch nach Bildung: nach frei zugänglicher Bildung, nach einer Wissenschaft, die frei von Dogmatismus und Ideologien vermittelt werden sollte – anders als in den zwölf Jahren des Nationalsozialismus. Sie waren enttäuscht, dass ihnen diese Möglichkeit an der Berliner Universität Unter den Linden nicht geboten wurde. Sie wünschten sich eine andere universitäre Lehr- und Lebenssituation – das Gleiche galt für viele Gelehrte. Daraus entstand der Wunsch nach einer freien Universität, der schnell, auch durch die amerikanischen Alliierten unterstützt und realisiert wurde.

Was ist von der besonderen Gründungsgeschichte der Universität geblieben, wo spürt man den Mythos heute noch?

Ich denke, dass wir uns an der Freien Universität vielleicht noch stärker als an anderen Hochschulen der unabdingbaren Verflechtung von Freiheit und Wissenschaft bewusst sind. Wir wissen, dass Freiheit der Wissenschaft und Freiheit der Gesellschaft zusammengehören. Daher nehmen wir dieses Thema sowohl in den wissenschaftlichen Projekten als auch in der Lehre in den unterschiedlichsten disziplinären Zusammenhängen immer wieder in den Blick.

Prof. Dr. Peter-André Alt

Prof. Dr. Peter-André Alt
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

70 Jahre nach ihrer Gründung sind Sie Präsident der Freien Universität – was geht Ihnen dabei persönlich durch den Kopf?

Dass 70 Jahre eine Zeitspanne sind, in der historisch enorm viel passiert, merkt man auch an der Geschichte der Universität. Für mich persönlich ist es etwas Besonderes, dass ich rund 20 Jahre dieser Geschichte in ganz unterschiedlichen Rollen miterlebt habe: Ich habe an der Freien Universität studiert, war Doktorand, dann Assistent und habe mich hier habilitiert. Nach vielen Jahren an anderen Institutionen und Professuren in Bochum und Würzburg bin ich seit 2005 Professor der Freien Universität, ich war Dekan, und seit 2010 bin ich Präsident. Ich habe also fast keine Rolle ausgelassen – das verschafft eine Vielfalt von Perspektiven, auch im historischen Vergleich.

Mich beeindruckt, dass sich die Universität dynamisch verändert hat und einen optimistischen, offenen Diskurs pflegt. Es ist faszinierend zu sehen, wie sie sich den Herausforderungen der Zukunft mit Erfolg stellt. Ich denke dabei an die Internationalisierung und die Umsetzung unseres Konzepts der Verbindungsbüros, an Themen wie Gleichstellung oder Nachhaltigkeit – Gebiete, in denen die Freie Universität stark ist, in denen sie Vorreiter war und ist.

Sie selbst werden der Freien Universität im Jubiläumsjahr nur noch wenige Monate vorstehen: Im Mai wird eine neue Präsidentin oder ein neuer Präsident gewählt, Sie werden sich nicht mehr zur Wahl stellen. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat Sie für das Amt ihres Präsidenten vorgeschlagen.

Das ist richtig. Ich sehe unsere Universität in bester Verfassung, und ich habe den Eindruck, dass sie für die Zukunft und die anstehenden Aufgaben und Herausforderungen gut positioniert ist. Nachdem mich die von den Mitgliedshochschulen der HRK eingerichtete Findungskommission für die Wahl des Präsidenten einstimmig als einzigen Kandidaten nominiert hatte, habe ich beschlossen, nach fast acht Jahren und zwei Amtszeiten, mich an unserer Universität nicht mehr zur Wahl zu stellen.

Sie verlassen die Freie Universität Ende Juli, während des laufenden Exzellenzwettbewerbs.

Mein Ausscheiden aus dem Amt erfolgt dann zu einer Zeit, da wir in der Exzellenzstrategie sehr weit vorangekommen sind. Für mich ist wichtig, dass ich bei den Begehungen im Sommersemester 2018 in meiner Rolle als Präsident für die Freie Universität absolut präsent bin. Die Begehungen möchte ich bestmöglich unterstützen und auch die Erfahrungen einbringen, die ich in diesem Bereich in den vergangenen Wettbewerbsperioden sammeln konnte. Wichtig ist mir aber auch, dass ich den Prozess der Verbundantragstellung in den nächsten entscheidenden Monaten aktiv so mitgestalten kann, dass dieser Antrag eine feste Kontur im Sinne unserer Universität erhält. Insofern halte ich den Termin meines Ausscheidens, Ende Juli, für einen günstigen Zeitpunkt, weil bis dann die Weichen richtig gestellt worden sind.

Was wünschen Sie der Freien Universität zum 70.?

Selbstvertrauen und Gelassenheit, die sich ableiten lassen aus ihrer Geschichte – einer Geschichte, die oftmals wechselhaft und, verbunden mit Krisen und Herausforderungen, nicht immer einfach war. Gerade in Krisenzeiten hat es die Universität immer geschafft, sich weiterzuentwickeln. Die Freie Universität ist erfreulicherweise seit einigen Jahren in einem ruhigeren Fahrwasser unterwegs, was nicht heißt, dass ihre Mitglieder sich zurücklehnen und nicht kreativ sind. Unsere Universität kann manchmal ein wenig Ruhe vertragen, gerade auch im Vertrauen auf die eigenen Kapazitäten und intellektuellen Kräfte. Diese Ruhe und Gelassenheit wünsche ich ihr auch in Zukunft. Ohne dass es dadurch langweilig wird.

Die Fragen stellten Christa Beckmann und Christine Boldt

Weitere Informationen

Das Jubiläum wird im Laufe des Jahres mit unterschiedlichen Veranstaltungen und Projekten gewürdigt, die sich mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Freien Universität beschäftigen. Höhepunkt ist die Festveranstaltung am 4. Dezember 2018, dem 70. Gründungstag der Universität.

Im Sommersemester findet eine Ringvorlesung zu Wissenschaft und Freiheit statt. Weitere Informationen hierzu folgen. 70 Jahre Freie Universtät Berlin soll aber auch ein Anlass sein, Mitglieder der Universität aller Generationen – Studierende, Lehrende, Beschäftigte und Ehemalige – zu einem Austausch über ihre Zeit und ihre Erlebnisse an der Freien Universität zusammenzubringen. Das Programm wird derzeit zusammen- und in Kürze auf dieser Website vorgestellt. 

Den Auftakt macht die Aktion „Gesichter der Freien Universität“, bei der alle, Studierende, Beschäftigte und Alumni unserer Universität, zu Wort kommen sollen: Erzählen Sie von Ihren Erfahrungen und Erlebnissen aus Ihrer Zeit an der Freien Universität und tragen Sie so dazu bei, dass ein buntes Mosaik aus Eindrücken und Erinnerungen entsteht, durch das die Vielfalt der Hochschule lebendig wird.