Springe direkt zu Inhalt

„Wissenschaft schafft Freiräume“

Im Rahmen der Reihe „Veritas, Iustitia, Libertas“ und der International Week fragte Joybrato Mukherjee, Präsident der Universität Gießen und Vizepräsident des DAAD, nach den Grenzen der internationalen akademischen Zusammenarbeit

09.08.2018

Gerade in politisch schwierigen Zeiten sei die wissenschaftliche Kooperation eine Möglichkeit, den Dialog zwischen Zivilgesellschaften aufrechtzuerhalten, sagte Joybrato Mukherjee.

Gerade in politisch schwierigen Zeiten sei die wissenschaftliche Kooperation eine Möglichkeit, den Dialog zwischen Zivilgesellschaften aufrechtzuerhalten, sagte Joybrato Mukherjee.
Bildquelle: Sören Maahs

Wissenschaft ist kein regionales oder nationales Phänomen, Wissen ist nicht an Grenzen gebunden. Zu Beginn seines Vortrags mit dem Titel „The Limits of Internationalization“ (Die Grenzen der Internationalisierung) hielt sich Joybrato Mukherjee nicht lange damit auf zu begründen, warum Hochschulen international arbeiten müssen. Vor einem Publikum, das sich vornehmlich aus Vertreterinnen und Vertreter internationaler Büros von Universitäten weltweit zusammensetzte, schien das gesetzt. Die Zuhörer waren anlässlich der „International Staff Week 2018“ nach Dahlem gekommen. Parallel dazu fand auch die „International Week“ statt, die zahlreiche Informationsangebote zum Thema Internationalität bot – von Auslandsstudium über Staff Exchange bis zu Aufenthalten in den Verbindungsbüros. Ein Programmpunkt war die dritte Veranstaltung, die in der Reihe „Veritas, Iustitia, Libertas: Konturen einer wertorientierten Universität der Zukunft“ stattfand. Die Ringvorlesung beschäftigt sich im Jubiläumsjahr der Freien Universität Berlin mit deren Leitbegriffen.

„Internationalisierung ist kein Selbstzweck“, sagte der Präsident der Universität Gießen und Vizepräsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), sondern sie sei zentral, wo es um Fragen geht, die nur im Austausch über Landesgrenzen hinweg gut zu beantworten sind. Internationale akademische Zusammenarbeit ist Joybrato Mukherjee zufolge also eine Antwort auf das grenzüberschreitende Wesen heutiger Forschungsfragen – seien es der Klimawandel, Finanzkrisen oder postkoloniale Geschichte.

Wenn Joybrato Mukherjee von den Grenzen der Internationalisierung sprach, dann ging es nicht darum, die Notwendigkeit einer solchen Orientierung infrage zu stellen. Vielmehr ging der Gastredner auf Herausforderungen ein, die die Grenzen markieren, an die Internationalisierung stoßen kann, und auf die eine Strategie der Internationalisierung reagieren müsse.

Universitäre Außenpolitik

Denn beim Thema der Grenzen grenzenloser Wissenschaftsfreiheit stellen sich heikle Fragen, denen sich international agierende Hochschulen nicht entziehen können. Wie kooperiert man international, wenn vor Ort das Forschungsumfeld von Zensur geprägt ist? Kann eine Universität einen Vertrag mit einer Institution in einem Land abschließen, in dem religiöse Freiheit fehlt oder Schwule und Lesben nicht gefahrlos forschen können? Was passiert, wenn die Kollegin oder der Kollege im Partnerland wegen Handlungen verhaftet wird, die im eigenen Land als Grundrecht geschützt werden? Wo sind Grenzen der Kooperation zu setzen, wenn Menschenrechte missachtet werden?

Vizepräsident der Freien Universität Klaus Mühlhahn und Florian Kohstall vom Center for International Cooperation diskutierten mit Joybrato Mukherjee und den anwesenden Gästen über die ethischen Grenzen grenzenloser Forschungsfreiheit.

Vizepräsident der Freien Universität Klaus Mühlhahn und Florian Kohstall vom Center for International Cooperation diskutierten mit Joybrato Mukherjee und den anwesenden Gästen über die ethischen Grenzen grenzenloser Forschungsfreiheit.
Bildquelle: Sören Maahs

Joybrato Mukherjee plädierte dafür, dass jede Universität eine „universitäre Außenpolitik“ brauche, um mit Krisen- und Konfliktsituationen gut umgehen zu können. Diese zeichne sich durch eine bewusste Auseinandersetzung mit ethischen und praktischen Fragen aus – und müsse allen Beteiligten in Forschung, Lehre und Studium persönliche Sicherheit und die Wahrung der Wissenschaftsfreiheit garantieren.

Im Kontakt bleiben

Mit Sorge betrachtete Joybrato Mukherjee die Menschenrechtslage in der Türkei. Muss eine Universität die Kooperation überdenken, wenn Forschende an türkischen Partneruniversitäten aus politischen Gründen gefeuert oder inhaftiert werden? Das gleiche gelte für China, wo die Arbeit des DAAD durch ein neues Gesetz für Nichtregierungsorganisationen schwer behindert werde.

Und doch hielt Joybrato Mukherjee es nicht für sinnvoll, sich aus Krisenregionen zurückzuziehen. „Niemand in Europa käme auf die Idee, unsere Verbindungen nach Polen oder Ungarn zu kappen, obwohl die Partnerschaften in diesen Ländern sich immer schwieriger gestalten.“ Selbst im „Extremfall“ Nordkorea habe der DAAD bis 2014 ein Stipendienprogramm betrieben. In Zeiten politischer Konflikte sei die wissenschaftliche Kooperation eine der Möglichkeiten, den Kontakt zwischen Zivilgesellschaften aufrechtzuerhalten, wenn andere diplomatische Brücken längst abgebrochen worden sind. „Gerade in Ländern, die nicht einer westlichen Vorstellung von Demokratie entsprechen, schafft Wissenschaft Freiräume des Austauschs und der gemeinsamen Arbeit“, sagte Mukherjee.

Er sei fest davon überzeugt, dass die auf Freiheit beruhende Wissenschaft die Werte der freien westlichen Welt in sich trage und nach außen vermittele. Folglich gibt es für Joybrato Mukherjee auch keine klar umrissene Grenze der Internationalisierung. „Wenn Sie eine einfache Antwort erwartet haben, muss ich Sie enttäuschen.“ Jede Universität müsste in Abhängigkeit von den Zielen ihrer internationalen Strategie für sich selbst eine rote Linie definieren.

Wandel durch Austausch

Als Beispiel dafür, dass auch in politisch schwierigen Zeiten großes Interesse besteht, noch intensiver zu kooperieren, nannte Mukherjee Kolumbien. Die Universität Gießen unterstützt seit mehr als fünf Jahrzehnten Hochschulpartnerschaften mit dem südamerikanischen Land – trotz Bürgerkrieg. Herausragende Kooperationen sind etwa das German-Colombian Peace Institute (CAPAZ) und verschiedene deutsch-kolumbianische Meeresforschungsinstitute.

Als zweites Beispiel nannte Mukherjee die Türkei. Trotz der für viele Hochschulangehörige bedrohlichen Situation müsse man an eine Zeit nach Erdoğan denken. Wenn sich eines Tages die politische Situation entspannt, müsse man nicht wieder bei null anfangen. Ein andauernder Dialog in einem „vorpolitischen Raum“ sei die beste Voraussetzung, um langfristig zu Veränderungen beizutragen. „Wenn wir nicht präsent sind, können wir auch nichts bewegen“, resümierte Joybrato Mukherjee. Diese „Präsenz-Strategie“ komme auch im Motto des DAAD zum Ausdruck, das lautet: „Change by exchange“, Wandel durch Austausch.

Weitere Informationen

International Week

Bei der International Week, die jedes Jahr an der Freien Universität stattfindet, präsentieren sich eine Woche lang zahlreiche Einrichtungen der Universität mit Informationsangeboten und Veranstaltungen. Zeitgleich findet auch die International Staff Week statt, eine Trainingswoche für Universitätsmitarbeiter weltweit zum Thema Internationalisierung, an der sich dieses Jahr 150 Personen beteiligten.

Weitere Informationen zur International Week finden Sie hier.

„Veritas, Iustitia, Libertas: Konturen einer wertorientierten Universität der Zukunft“

Die Ringvorlesung findet anlässlich des 70. Universitätsjubiläums statt. Im Sommersemester 2018 wurden drei Vorträge gehalten; im Wintersemester 2018/2019 wird die Reihe fortgesetzt.

Weitere Informationen zur Vorlesungsreihe finden Sie hier.