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Trend der offenen Tür und gemeinsamen Labore

Auf der Veranstaltung „Industry on Campus“ trafen Forscherinnen und Forscher aus den Natur- und Lebenswissenschaften der Freien Universität auf die Innovations-Scouts von großen Unternehmen

19.04.2018

Chemieprofessor Rainer Haag hatte zur Veranstaltung „Industry on Campus“ eingeladen, damit Industrievertreter Forschungsprojekte aus den Lebenswissenschaften der Freien Universität kennenlernen und im Gegenzug eigene Aktivitäten vorstellen.

Chemieprofessor Rainer Haag hatte zur Veranstaltung „Industry on Campus“ eingeladen, damit Industrievertreter Forschungsprojekte aus den Lebenswissenschaften der Freien Universität kennenlernen und im Gegenzug eigene Aktivitäten vorstellen.
Bildquelle: Marion Kuka

„Die Hälfte unserer aktuellen Produkte stammt aus Kooperationen“, sagt Hubert Haag. Bei Sanofi, einem der größten Pharma-Unternehmen der Welt, ist er dafür zuständig, rund um den Globus interessante Forschungsprojekte aufzuspüren und Kooperationen einzufädeln, aus denen eines Tages neue Wirkstoffe für Medikamente entstehen könnten. Nach Berlin-Dahlem in die Topoi-Villa war Hubert Haag auf Einladung von Rainer Haag, Professor für Organische und Makromolekulare Chemie an der Freien Universität Berlin, gekommen – die Namensgleichheit war reiner Zufall. Bei der Veranstaltung „Industry on Campus“ sollten Industrievertreter Forschungsprojekte aus den Lebenswissenschaften der Freien Universität Berlin kennenlernen und im Gegenzug ihre eigenen Aktivitäten vorstellen. Mitveranstalter war Profund Innovation, die Service-Einrichtung für Wissens- und Technologietransfer in der Abteilung Forschung der Freien Universität.

„Wir wollen uns auf dem Campus nicht abschotten“, betonte Chemieprofessor Rainer Haag zur Begrüßung, „sondern etwas über Ihre aktuellen Themen erfahren und Ihnen wiederum zeigen, woran wir arbeiten.“ Dass diese Einladung auf offene Ohren stieß, wurde in den Redebeiträgen der geladenen Gäste schnell deutlich: „Vor zehn Jahren war unser Portfolio fast ausgetrocknet“, berichtete Hubert Haag. Die Folge sei ein massives Umdenken gewesen: Sein Unternehmen habe weltweit Kooperationen initiiert, Stipendien ausgeschrieben und Kapital in Start-ups investiert. Als Beispiel nannte der Manager unter anderem das Engagement bei der „Innovative Medicines Initiative“ (IMI), einem Public Private Partnership, das die europäische Union zur Förderung von Forschung und Entwicklung in den Lebenswissenschaften auf den Weg gebracht hat. Auch die Freie Universität Berlin war bereits an einem durch diese Initiative geförderten Projekt beteiligt: Von 2012 bis 2016 arbeitete die Pharmazieprofessorin Charlotte Kloft mit Kolleginnen und Kollegen aus europäischen Universitäten und Pharmafirmen daran, die modellgestützte Entwicklung von Medikamenten zu verbessern. Dank „externer Innovation“, so das Fachwort der Branche für Forschungskooperationen, sprudeln die Ideen auch bei Sanofi heute wieder.

Wurmprotein gegen Darmerkrankung

Und so hörte der Innovationsmanager aufmerksam zu, als zehn Postdocs aus den Fächern Veterinärmedizin, Biologie, Chemie und Pharmazie sowie Leiterinnen und Leiter von Forschungsgruppen ihre jüngsten Fortschritte auf verschiedenen Feldern biomakromolekularer Systeme präsentierten. Schwerpunkt waren Themen aus der Wirkstoffforschung, dem Antikörper-Engineering und neue Ansätze in der anti-infektiven Therapie.

Die promovierte Veterinärmedizinerin Lydia Scharek-Tedin präsentierte ihr Forschungsprojekt und diskutierte mit dem Publikum.

Die promovierte Veterinärmedizinerin Lydia Scharek-Tedin präsentierte ihr Forschungsprojekt und diskutierte mit dem Publikum.
Bildquelle: Marion Kuka

Lydia Scharek-Tedins Wunderwaffe ist so alt wie die Dinosaurier – und heißt Fadenwurm: Die promovierte Veterinärmedizinerin arbeitet am Institut für Immunologie mit den Parasiten. Weltweit haben 25 Prozent der Menschen Fadenwürmer im Darm, in Europa wird allerdings – dank Hygiene - kaum noch jemand davon geplagt. Zum Glück – doch es gibt auch Fälle, bei denen der Wurm fehlt: Er produziert nämlich ein Protein, durch das möglicherweise die in westlichen Ländern verbreitete chronisch-entzündliche Darmerkrankung bekämpft werden kann, weil es das Immunsystem moduliert. Diese besondere Fähigkeit hat das Wissenschaftler-Team nun auf ein Darmbakterium übertragen, das schon länger zur Förderung der Darmgesundheit eingesetzt wird. Ferkel mit Durchfall sind in Studien bereits mit der neuen Methode kuriert worden. Bis zu einem Medikament für Menschen ist es jedoch ein weiter Weg.

Stefan Weigand, beim Pharma-Unternehmen Roche für Forschung und Entwicklung protein-basierter Medikamente verantwortlich, informierte sich über neue Ansätze aus der universitären Forschung.

Stefan Weigand, beim Pharma-Unternehmen Roche für Forschung und Entwicklung protein-basierter Medikamente verantwortlich, informierte sich über neue Ansätze aus der universitären Forschung.
Bildquelle: Marion Kuka

Stefan Weigand, der beim Pharma-Unternehmen Roche für Forschung und Entwicklung protein-basierter Medikamente verantwortlich ist, stellte in seinem Beitrag die neuen Ansätze seines Unternehmens aus diesem Bereich vor. Auch Roche setze auf Innovation von außen, wie Stefan Weigand bestechend einfach erklärte: „Egal, wie groß unsere eigene Abteilung für Forschung und Entwicklung ist, draußen gibt es sehr viel mehr. Also müssen wir draußen dabei sein. Sonst ist das, was wir machen, schon alt, bevor es fertig ist.“ Früher seien kleine, innovative Unternehmen einfach aufgekauft und in den Konzern integriert worden. Aber auch diese Strategie habe sich geändert: „Durch Kooperationen haben wir breiteren Zugang zu aktuellen Ideen und können bei der Weiterentwicklung helfen“, erklärte Stefan Jaroch, bei der Bayer AG weltweit für externe Innovationen zuständig. Und weil Zusammenarbeit nun mal von Geben und Nehmen geprägt ist, lässt sich sein Unternehmen sogar in die eigenen Karten schauen. Genau dafür wurde durch eine EU-Initiative die „European Lead Factory“ geschaffen: Das paneuropäische Konsortium setzt sich aus sieben Pharmafirmen, akademischen Institutionen sowie kleinen und mittleren Unternehmen zusammen. Einer der beiden Hauptpfeiler des Verbunds ist die Joint European Compound Library, in der beispielsweise mehr als 500.000 neuartige chemische Verbindungen hinterlegt worden sind. Auch Bayer hat dort Daten hinterlegt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Hochschulen sowie aus kleinen und mittleren Unternehmen können dort anfragen, ob zu ihrer Forschung passende Verbindungen registriert sind. Wird ihr Antrag genehmigt, erhalten sie eine Trefferliste und können die Erfinder kontaktieren. Briten und Niederländer nutzten diese Möglichkeit bereits intensiv, berichtete Stefan Jaroch. Aus Deutschland würde er sich noch mehr Interesse wünschen und begrüßt daher die Initiative der Freien Universität zum Austausch zwischen Wissenschaft und Pharmaindustrie ausdrücklich.

Hubert Haag stellte die Forschungs- und Entwicklungskooperationen des Pharma-Unternehmens Sanofi vor.

Hubert Haag stellte die Forschungs- und Entwicklungskooperationen des Pharma-Unternehmens Sanofi vor.
Bildquelle: Marion Kuka

Neben vielen klugen Köpfen ist die Freie Universität aber noch in weiterer Hinsicht eine attraktive Partnerin: Sie verfügt über „Core Facilities“ – hochwertige Geräte für die Spitzenforschung, etwa für die Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) oder die NMR-Spektroskopie. Die Investitionen für die High-Tech-Geräte sind so hoch, dass sich die Nutzung in „Joint Labs“ – gemeinsam genutzten Laboren – ganz besonders lohnen würde. In ein paar Jahren wird es in Berlin-Dahlem einen geeigneten Ort für Joint Labs geben: Andrea Bör, Kanzlerin der Freien Universität Berlin, gab einen Ausblick auf das Technologie- und Gründungszentrum FUBIC, das in Campusnähe entstehen wird. Das 50.000 Quadratmeter große Gelände soll Ausgründungen und junge Unternehmen aus den Natur- und Lebenswissenschaften ideale Bedingungen für die anwendungsorientierte Forschung bieten.

Appetit auf neue Ansätze

Für Stefan Jaroch von Bayer ist das eine interessante Perspektive – sein Unternehmen habe eigentlich immer Appetit auf neue Ansätze aus der akademischen Forschung, sagt er: „Nur dann nicht, wenn wir gerade ein Fünf-Gänge-Menü verputzt haben“, sagt der Manager mit einem Augenzwinkern und meint, dass das Timing passen muss. Damit gute Gelegenheiten nicht verpasst werden, plant Rainer Haag bereits eine Fortsetzung für „Industry on Campus“ im nächsten Jahr.

Weitere Informationen

Die Veranstaltung „Industry on Campus" soll im Jahresrhythmus fortgesetzt werden.

Kontakt:

  • Prof. Dr. Rainer Haag, Professor für Organische Chemie am Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin, Telefon: +49 30 83852633, E-Mail: haag@chemie.fu-berlin.de
  • Steffen Terberl, Leiter von Profund Innovation, der Service-Einrichtung für die Förderung von Unternehmensgründungen und Innovationen in der Abteilung Forschung der Freien Universität, Telefon: +49 30 83873609, E-Mail: steffen.terberl@fu-berlin.de