Springe direkt zu Inhalt

Weibliche Vorbilder für die Start-up-Welt

In der Summer School WoMenventures lehren erfolgreiche Unternehmerinnen das Gründen

28.08.2018

Zara Kahn (Mitte) wünschte sich einen Onlineshop für Ethnomode aus Südasien. In der WoMenventures Summer School arbeitete sie selbst mit ihrem Team an dieser Geschäftsidee.

Zara Kahn (Mitte) wünschte sich einen Onlineshop für Ethnomode aus Südasien. In der WoMenventures Summer School arbeitete sie selbst mit ihrem Team an dieser Geschäftsidee.
Bildquelle: Marion Kuka

„Frauen neigen zum Perfektionismus“, sagt Kathrin Weiß. Sie warteten häufig, bis sie einen zu 100 Prozent wasserdichten Plan hätten, bevor sie eine Geschäftsidee umsetzten. Davon rät die erfahrene Gründerin ab: „Fangt an, wenn ihr mit dem Konzept zu 80 Prozent zufrieden seid. Testet in der Praxis, holt euch Feedback und passt eure Idee an. Dann wird sie automatisch besser.“ Was Kathrin Weiß beim Aufbau ihres E-Commerce-Start-ups „tausendkind“ gelernt hat, gab sie in der Summer School von WoMenventure, die vom 6. bis 10. August vom Department Wirtschaftsinformatik der Freien Universität ausgerichtet wurde, gern weiter.

Gastreferentin Kathrin Weiß gründete „tausendkind“, einen Onlineshop für Babykleidung. Erfolgreich wurde das Unternehmen vor allem durch gutes Datenmanagement.

Gastreferentin Kathrin Weiß gründete „tausendkind“, einen Onlineshop für Babykleidung. Erfolgreich wurde das Unternehmen vor allem durch gutes Datenmanagement.
Bildquelle: Marion Kuka

Etwa vor einem Jahr hatten Janina Sundermeier und Marie Matthes die Idee für diesen Kurs mit Schwerpunkt auf weiblichen Gründerinnen als Vorbild. Janina Sundermeier hat am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität promoviert und beschäftigt sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department Wirtschaftsinformatik vor allem mit Gründungslehre. Ihr war aufgefallen, dass zwar viele Frauen die unterschiedlichen Lehrangebote am Fachbereich wahrnehmen, tatsächlich aber vor allem Männer gründen. Daraus war die Idee entstanden, einen Kurs anzubieten, der eine weibliche Sicht auf die Themen der Start-up-Welt vermittelt, um insbesondere Frauen zu animieren, ihre Geschäftsideen in die Tat umzusetzen. Unterstützung erhielt die Betriebswirtin von Marie Matthes, studentische Mitarbeiterin am Department Wirtschaftsinformatik. Ein Fellowship des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft e.V. ermöglichte die Umsetzung.

Noch gründen Frauen seltener als Männer. Janina Sundermeier (rechts) und Marie Matthes (links) luden deshalb vor allem weibliche Gründerinnen als Coaches zu ihrem Entrepreneurship-Kurs ein.

Noch gründen Frauen seltener als Männer. Janina Sundermeier (rechts) und Marie Matthes (links) luden deshalb vor allem weibliche Gründerinnen als Coaches zu ihrem Entrepreneurship-Kurs ein.
Bildquelle: Janina Sundermeier und Marie Matthes

Gründerinnen als Vorbilder

Nun sitzen rund 20 Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität und anderer Universitäten im Seminarraum. Ein Drittel der Anwesenden sind Männer. Janina Sundermeier wundert das nicht, denn der Kurs war von Anfang an für Gründungsinteressierte aller Geschlechter gedacht. „Den Männern ist es egal, wen wir als Rollenvorbild präsentieren. Sie lernen auch gern von erfolgreichen Gründerinnen.“

Kathrin Weiß, die ihre Gründungspartnerin Anike von Gagern bei der Unternehmensberatung McKinsey kennenlernte, betont, dass „tausendkind“ zwar hübsche Babykleidung verkaufe, im Kern jedoch ein Technologieunternehmen – ein „Data Warehouse“ – sei. Denn um im Internethandel erfolgreich zu sein, müsse man vor allem Kundendaten auswerten und Algorithmen entwickeln. Das klappt bei „tausendkind“ so gut, dass das Unternehmen inzwischen bevorzugter Partner von Amazon ist und neue Technologien des E-Commerce-Riesen vor allen Wettbewerbern ausprobieren darf.

Juri Alexander (links), Darya Kryzhanovskaya (Mitte) und Marco Gut (rechts) entwickelten die Idee für einen Selbstbedienungsautomaten, der auf Konzerten und Festivals Getränke mixen soll.

Juri Alexander (links), Darya Kryzhanovskaya (Mitte) und Marco Gut (rechts) entwickelten die Idee für einen Selbstbedienungsautomaten, der auf Konzerten und Festivals Getränke mixen soll.
Bildquelle: Marion Kuka

In 36 Stunden zum Prototyp

Von einem Jahresumsatz von rund 62 Millionen Euro, wie ihn „tausendkind“ inzwischen erwirtschaftet, können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Summer School vorerst nur träumen. In Gruppen arbeiten sie im Laufe der Woche fünf selbst entwickelte Geschäftsideen aus. Marco Gut, Wirtschaftsinformatikstudent, wollte auf Konzerten und Festivals nicht mehr ewig an der Bar Schlange stehen und auf ein Mixgetränk warten.  Seine Idee für einen „Alcomaten“ entwickelt er nun im Team weiter: Der Automat soll Wodka-Cola oder Gin-Tonic auf Knopfdruck im gewünschten Verhältnis mixen. Uneinig ist die Gruppe noch über den Bezahlmodus: Einfach per Scan des Fingerabdrucks? Oder lieber – wie in der Zielgruppe üblich – über das Smartphone? Diese und andere Fragen sollten bis zur Abschlusspräsentation am Ende der Woche beantwortet werden. Dabei erhält das Team Hilfe von erfahrenen Gründerinnen, die als Coaches fungieren. Am Nachmittag geht zum Beispiel Anne Kahnt durch die Gruppen, die an ihren Projekten arbeiten. Die Mathematikerin hat selbst ein Unternehmen gegründet und ist heute Gründungsberaterin bei Profund Innovation, der Service-Einrichtung für Wissens- und Technologietransfer in der Abteilung Forschung der Freien Universität. Sie stellt Fragen, lenkt die Diskussion, gibt Tipps.

Trotz des heißen Sommerwetters sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ungewöhnlich engagiert. „Schon nach 36 Stunden waren greifbare Produkte entstanden“, berichtet Marie Matthes. Das Minimal Viable Product – so nennt man die erste Version eines Produkts – kann ein dreidimensionales Modell oder eine Website sein: „Es macht eine Idee konkreter, Stärken und Schwächen treten daran klarer hervor.“ Mit der investierten Arbeit wachsen auch die Emotionen. „In Diskussionen verteidigen die Teams ihre Ideen bereits wie Löwenmütter ihre Kinder“, sagt Janina Sundermeier. Für sie ein Beweis, dass praxisorientierte Lehre an der Universität funktioniert.

Mit Methoden wie dem „Business Model Canvas“ strukturieren Danae Diettrich (links) und Zara Kahn (rechts) ihre Geschäftsidee.

Mit Methoden wie dem „Business Model Canvas“ strukturieren Danae Diettrich (links) und Zara Kahn (rechts) ihre Geschäftsidee.
Bildquelle: Marion Kuka

Ethnomode ohne Ausbeutung

Auf die Frage, was am Vorabend nach Seminarschluss noch erarbeitet worden sei, gehen einige Hände in die Höhe: Das Team mit dem Arbeitstitel Melange Fashion hat mehrere Varianten für ein Firmenlogo entworfen. Zara Kahn, Studentin der Neurowissenschaften und Ideengeberin, kommt aus Pakistan. Sie interessiert sich für Mode und vermisst in Deutschland authentische Kleidung aus Südasien. Große Modeketten würden zwar die Farben und Designs aus ihrer Heimat aufgreifen, das Ergebnis wirke jedoch nachgemacht, habe keine hohe Qualität und werde nicht unter fairen Bedingungen produziert. Mit ihren „Ethno-Looks“ beuteten die Modekonzerne kulturelle Traditionen lediglich aus. So habe ein großes europäisches Modehaus beispielsweise die Weste einer rumänischen Tracht exakt kopiert, ohne die Urheberinnen zu nennen und zu entlohnen. Der Fall, der durch die Medien ging, hat Zara inspiriert. Zusammen mit ihrem Team arbeitet sie nun in der Summer School an einen Onlineshop für authentische und fair produzierte Ethnomode aus Südasien.

Ob sie diese Idee am Ende wirklich umsetzen wolle? Das hänge von vielen anderen Dingen in ihrem Leben ab, sagt die Studentin. Für Marie Matthes und Janina Sundermeier ist das kein Problem, ihnen geht es ums Prinzip: „Wer unternehmerisches Denken und Handeln gelernt hat, kann es fast überall einsetzen, auch in großen Konzernen oder in der Wissenschaft.“ Die beiden Wissenschaftlerinnen und ihr Projekt WoMenventures liefern selbst den besten Beweis dafür. Auch über die Summer School hinaus wollen sie den Teilnehmenden weitere Workshops und ein stetig wachsendes Netzwerk rund um das WoMenventures Berlin Meetup anbieten. „In der Summer School hat sich gezeigt, dass der informelle Zugang zu weiblichen Vorbildern den gründungsinteressierten Frauen besonders wichtig ist“, sagt Janina Sundermeier. Denn in solchen Gesprächsrunden könne man sich auch ganz offen über Themen wie die Angst vor dem Scheitern oder die Vereinbarkeit von Unternehmensgründung und Familie austauschen.