Springe direkt zu Inhalt

Ein Surfbrett für Zellen

Die Nachwuchsgruppe der Chemikerin Marie Weinhart entwickelte ein Biomaterial zur Beschichtung von Petrischalen. Damit lassen sich Zellkulturen so schonend ernten, dass sie zur Herstellung von künstlichem 3D-Gewebe eingesetzt werden können.

24.04.2019

Oliver Etzold, Simon Rackow, Daniel Stöbener und die Professorin Marie Weinhart (v.l.n.r.) arbeiten an einer thermoresponsiven Beschichtung für Petrischalen.

Oliver Etzold, Simon Rackow, Daniel Stöbener und die Professorin Marie Weinhart (v.l.n.r.) arbeiten an einer thermoresponsiven Beschichtung für Petrischalen.
Bildquelle: Marion Kuka

Das Material, auf dem Zellen surfen können, entdeckte die Chemikerin Marie Weinhart während der Arbeit an ihrer 2011 veröffentlichen Dissertation an der Freien Universität. Im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Nachwuchsgruppe Surf3DTiss arbeitete sie später daran, das Polymer als Helfer bei der Herstellung von dreidimensionalem künstlichem Gewebe einzusetzen. Ein neuartiger Ansatz, das sogenannte „Cell Sheet Engineering“, wurde in Japan entwickelt. Bei diesem Verfahren wird das natürliche Gerüst der Zellen, die extrazelluläre Matrix – kurz ECM –, zum Aufbau von 3D-Gewebe genutzt. Die ECM wird von den Zellen selbst produziert, sobald sie auf einem Untergrund, etwa einer Petrischale, anhaften. Will man das gewachsene Gewebe jedoch für die weitere Verwendung von der Schale lösen, wird es bei der Entnahme mittels herkömmlicher Erntemethoden leider häufig beschädigt.

Zur Herstellung von künstlichem 3D-Gewebe geeignet

Die Nachwuchsgruppe von Marie Weinhart entwickelte aus dem Polymer eine Beschichtung für Petrischalen, die durch die Absenkung der Umgebungstemperatur auf unter 37 Grad Celsius ihre physikalischen Eigenschaften verändert und plötzlich zellabweisend wirkt. Dadurch wird die zweidimensionale Zellschicht mitsamt der produzierten extrazellulären Matrix von der Oberfläche abgestoßen und kann weitgehend unbeschädigt weiterverwendet werden. Die geernteten Zelllagen mit intakter ECM lassen sich aufgrund dieser schonenden Methode besonders gut in der Medizin für die Regeneration von Organen oder zur Herstellung von künstlichem 3D-Gewebe einsetzen.

Oliver Etzold und Simon Rackow haben im Rahmen ihrer Masterarbeit in der Gruppe von Marie Weinhart geforscht, Daniel Stöbener hat dort promoviert. Unter Anleitung der Chemikerin haben sie die Beschichtung unter vielen verschiedenen Bedingungen getestet, um offene Fragen zu beantworten. „Das war sehr spannend, weil durch das neue Material ein echtes Problem gelöst werden kann“, sagt Simon Rackow. Geholfen hat dabei, dass die Arbeitsgruppe mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Biologie und Biotechnologie auch interdisziplinär besetzt ist und mit Forschungsgruppen aus Medizin- und Biotechnologie kooperiert.

Im Experiment funktioniert das Verfahren bereits.

Im Experiment funktioniert das Verfahren bereits.
Bildquelle: CellSurf

Bild links: Ablösen eines zusammenhängenden „Zell Sheets“ von einer thermo-responsiven Petrischale nach Absenkung der Temperatur von 37°auf 20° Celsius. Die 2D-Zell-Mono-Lage beginnt sich nach 10 Minuten vom Rand zu lösen (a), hat sich nach 20 Minuten weitestgehend vom Substrat gelöst (b) und schwimmt nach 30 Minuten vollständig abgelöst in der Petrischale (c). Das geerntete „Zell Sheet“ kann nun als 2D-Baustein zum Aufbau von 3D-Gewebe weiterverwendet werden.

„Von unseren Kooperationspartnern haben wir erfahren, dass es eine große Nachfrage für eine thermo-responsive Beschichtung gibt“, berichtet Daniel Stöbener. Es seien zwar Produkte aus anderen Materialien auf dem Markt, doch sei das Anwendungsspektrum noch ausbaufähig. Deshalb habe sich das Team entschlossen, ein Start-up mit dem Namen CellSurf zu gründen. Den „Proof of Concept“ – den experimentellen Beweis dafür, dass die Methode funktioniert – haben die angehenden Gründer und ihre Mentorin Marie Weinhart schon geliefert. Jetzt muss sich noch zeigen, ob die Beschichtung auch bei Herstellung in hohen Stückzahlen und nach längerer Lagerzeit verlässlich funktioniert.

Im Sommer soll der Prototyp fertig sein

Seit Januar 2019 erhalten die drei Teammitglieder je ein Berliner Startup Stipendium an der Freien Universität, im Juni soll der Prototyp für die industrielle Herstellung fertig sein. Dann wollen sie Feedback von Partnern und potenziellen Kunden einholen. Im Moment denke er noch wenig darüber nach, wie es sich anfühlt, Unternehmer zu sein, sagt Oliver Etzold. Einen Teil seiner Zeit verbringt er noch in demselben Labor, in dem er für seine Masterarbeit geforscht hat. Doch wenn er das Büro des Teams im Inkubator der Freien Universität Berlin in der Altensteinstraße 40 aufsuche, springe der Gründergeist-Funke über. „Die Atmosphäre ist toll. Hier können wir uns beraten lassen und uns mit anderen Start-ups austauschen.“ Auch deshalb ist der Chemiker davon überzeugt, dass aus dem Forschungsergebnis bald ein marktfähiges Produkt werden wird.

Weitere Informationen

Berliner Startup Stipendium

Mit dem Berliner Startup Stipendium fördern die Freie Universität Berlin, die Technische Universität Berlin, Charité – Universitätsmedizin Berlin und die Humboldt-Universität zu Berlin Gründerinnen und Gründer, die innovative und/oder technologiebasierte Geschäftsideen im Team umsetzen wollen. Das Programm wird aus Mitteln der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe sowie des Europäischen Sozialfonds finanziert. Zwei bis vier Stipendien zu jeweils 2.000 Euro monatlich über eine Laufzeit von sechs Monaten können pro Gründungsteam vergeben werden.

Ideenwettbewerb Research to Market Challenge

Die "Research to Market Challenge" ist ein Wettbewerb für forschungsbasierte Geschäfts- und Gründungsideen aus der Forschung der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin, der Technischen Universität Berlin und der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Ausgerichtet wird dieser im Verbund der Berliner Universitäten in Kooperation mit der Stiftung Charité, der Ernst Reuter Gesellschaft, der Humboldt-Universitäts-Gesellschaft und der Berliner Sparkasse.

In dem zweistufigen Wettbewerb können Angehörige und Alumni der beteiligten Organisationen ihre Ideen in deutscher oder englischer Sprache zu Papier zu bringen, als Wettbewerbsbeitrag einreichen und einen Plan für erste Schritte zur Umsetzung entwickeln. Zu gewinnen gibt es die Teilnahme an einem Geschäftsmodellentwicklungsworkshop und Preisgelder in Höhe von insgesamt 9.000 Euro.

Für die nächste Wettbewerbsrunde können Ideen aus den Bereichen "Digital & Technologies", "Life Sciences & Health" oder "Cultural & Social" bis zum 5. Mai 2019 eingereicht werden.