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Paartherapie per App

„recoupling“, eine Ausgründung der Freien Universität Berlin, will Beziehungsprobleme digital lösen – der Prototyp der App im campus.leben-Selbsttest

25.10.2021

Per App gegen Beziehungsstress: Das Start-up „recoupling“ von Johanna Lubig, Tom Haubner und Jaane Henning (v.l.n.r.) wird mit einem EXIST-Gründerstipendium gefördert.

Per App gegen Beziehungsstress: Das Start-up „recoupling“ von Johanna Lubig, Tom Haubner und Jaane Henning (v.l.n.r.) wird mit einem EXIST-Gründerstipendium gefördert.
Bildquelle: recoupling

„Du scheinst die Tendenz zu haben, dich im Konflikt zurückzuziehen.“ Aha. Ich bin also Konflikttyp 2: Rückzug.

Zu diesem Ergebnis kommt die App recoupling – dem Entwicklungsteam zufolge eine „innovative, digitale Lösung für Beziehungsprobleme“. Entworfen haben sie die Psychologinnen und Paartherapeutinnen Johanna Lubig und Jaane Henning von der Freien Universität zusammen mit dem Entwickler Tom Haubner. Das Testmodul „Konflikte“ ist bereits online. Da ich in einer Beziehung lebe und Konflikte natürlich nicht ausbleiben, habe ich das Modul für diesen Artikel mal ausprobiert.

Ich habe den einleitenden Online-Fragebogen ausgefüllt und dabei erfahren, dass meine Konfliktstrategie weder „Schuldfrage“ (Typ 1) noch „Vermeidung“ (Typ 3) ist. Stattdessen: Mein Partner neigt laut Fragebogen-Auswertung zum Angriff, ich zum Rückzug: „Dieses Vor und Zurück kann dazu führen, dass ihr euch so im Streit immer weiter voneinander entfernt. Der Konflikt kann eskalieren. Fühlst du dich nicht wertgeschätzt oder verstanden? Deinem/Deiner Partner*in kann es ganz ähnlich gehen – ihr nutzt aber unterschiedliche Strategien, damit umzugehen.“ Ooookay! Da könnte etwas dran sein. Oder bin ich vielleicht doch Typ 3 und neige zum Vermeiden? Egal, immerhin verstehe ich jetzt etwas besser, was da abgeht, wenn der „Haussegen mal schief hängt“, wie es früher so verharmlosend hieß.

In kurzen Podcast-Sequenzen erfahre ich das Wichtigste über drei typische Konfliktmuster. Mit kurzen Denk- und Schreibaufgaben lerne ich per App, wie ich in Konflikten ticke und welche Bedürfnisse mir persönlich wichtig sind: Akzeptanz, Anerkennung, Stabilität. Dann ist Reflexion gefragt: „Nimm dir dafür etwas Zeit und suche dir einen ruhigen Ort, an dem du gut nachdenken kannst. Rufe dir einen Konflikt ins Gedächtnis, über den du nachdenken möchtest. Generell gilt: Du kannst jederzeit eine neue Konfliktreflexion beginnen. Alle Reflexionen behältst du in der App im Überblick und kannst im Zeitverlauf vielleicht Veränderungen feststellen.“ Das klingt vernünftig. Ob es wirkt, werde ich offensichtlich erst nach einiger Zeit erfahren. 

„Die Folgen aus unglücklichen Beziehungen und Trennungen gehören zu den schmerzhaftesten Erfahrungen, die Menschen in ihrem Leben machen“, sagt Johanna Lubig, eine der Erfinderinnen von recoupling. Liebeskummer und Beziehungsstress belasten aber nicht nur die oder den Einzelnen, sondern auch die Wirtschaft erheblich, weil sie Studien zufolge in Deutschland zu Arbeitsunfähigkeit an rund 6,6 Millionen Tagen führen.

Ewige romantische Liebe – das gibt es nur im Märchen

Die App soll Paaren helfen, an ihrer Beziehung zu arbeiten. „Wir nutzen Erkenntnisse der emotionsfokussierten Paartherapie – kurz EFT –, weil das die wirksamste Therapieform ist“, erklärt die Psychologin. In Deutschland sei EFT noch eher unbekannt, in den USA und Skandinavien jedoch schon weit verbreitet.

„Make love work“ ist ihr Motto: Jaane Henning (links) und Johanna Lubig (rechts) wollen Beziehungsarbeit so einfach wie das Zähneputzen machen.

„Make love work“ ist ihr Motto: Jaane Henning (links) und Johanna Lubig (rechts) wollen Beziehungsarbeit so einfach wie das Zähneputzen machen.
Bildquelle: recoupling

„Wer diese Erkenntnisse allein oder zusammen mit dem Partner oder der Partnerin gründlich reflektiert, hat gute Chancen, die Beziehung zu verbessern“, sagt recoupling-Mitgründerin Jaane Henning. „Als Paartherapeutinnen wissen wir, dass der Mythos der ewigen romantischen Liebe ein Märchen ist. Verliebt zu sein, ist wunderschön, doch lange glückliche Liebesbeziehungen sind mit Arbeit verbunden.“ Eine klassische Paartherapie könne jedoch als stigmatisierend empfunden werden, zudem sei sie meist teuer, anstrengend und oft das letzte Mittel vor der Trennung.

„Wir wollen Beziehungsarbeit spielerisch und so einfach wie möglich machen. Außerdem möchten wir auch Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung erreichen“, sagt Jaane Henning. Das digitale Angebot sei jederzeit und ohne Hürden zugänglich. Man kann allein oder zusammen mit der Partnerin oder dem Partner teilnehmen.

Jaane Henning und Johanna Lubig haben sich im Psychologie-Masterstudium an der Freien Universität Berlin kennengelernt. Mitgründer Tom Haubner hat Fahrzeugtechnik an der TU Berlin studiert und Johanna Lubig bei einem Job für einen Automobilzulieferer getroffen. Wissenschaftliche Mentorin des Start-ups ist Janina Sundermeier, Juniorprofessorin am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität.

Passende Inhalte dank Algorithmen

Unterstützt wird das Team auch von Profund Innovation, der Service-Einrichtung für die Förderung von Unternehmensgründungen und Innovationen in der Abteilung Forschung der Freien Universität. Seit April dieses Jahres wird recoupling mit einem EXIST-Gründerstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie gefördert. Zuvor erhielt das Team bereits Unterstützung durch das Berliner Startup Stipendium der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe sowie den Europäischen Sozialfonds.

„Anhand des Feedbacks zu unserem Testmodul entwickeln wir gerade weitere Inhalte und einen Algorithmus, der uns helfen soll, Paaren individuell passende Inhalte anzubieten“, sagt Tom Haubner. „Denn nur so können wir Therapieabbrüche vermeiden.“

Zeit, Arbeit, Nachdenken – diese Zutaten braucht nicht nur eine Beziehung, sie sind auch für den Erfolg eines Start-ups wichtig. „Wir möchten Liebespaare mit unserer App glücklicher machen“, sagt Jaane Henning. „Dafür bieten wir kostenlose, aber auch zahlungspflichtige Inhalte, die nicht teurer als ein Netflix-Abo sind. Ihr Wunsch für die Zukunft: „Irgendwann sollte es ganz normal sein, an der eigenen Beziehung zu arbeiten.“

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