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Biochemische Stars treffen auf Künstliche Intelligenz

Das Start-up Exazyme nutzt maschinelles Lernen, um Baupläne für neue Enzyme zu entwickeln

27.04.2022

Porträt von Philipp Markert , Dr. Jelena Ivanovska, Dr. Ingmar Schuster im Hauseingang der Startup Villa der Freien Universität Berlin

Mit ihrem Gründungsprojekt Exazyme wollen Philipp Markert (links), Jelena Ivanovska (Mitte) und Ingmar Schuster auch einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit in der Lebensmittelproduktion leisten.
Bildquelle: Exazyme

Sie sind an der Herstellung von Joghurt beteiligt, helfen beim Bierbrauen und unterstützen unseren Körper bei Heilungsprozessen: Enzyme, die kleinen Stars der Biochemie. Die Proteine fördern und beschleunigen zahlreiche chemische Reaktionen. Sie sind allerdings anspruchsvoll: Einige fühlen sich nur bei einer gewissen Temperatur wohl, andere bevorzugen einen ganz bestimmten pH-Wert. Deshalb werden die Eigenschaften mancher Enzyme im Labor optimiert, bevor sie beispielsweise in der Lebensmittelherstellung eingesetzt werden. Diese Verfahren kosten jedoch viel Zeit und Geld.

Ingmar Schuster hat sich deshalb etwas anderes überlegt: Mit seinem Team Exazyme will er die Eigenschaften neuer Enzyme durch Künstliche Intelligenz (KI) berechnen lassen. Seit Juli 2021 wird das Start-up mit einem EXIST-Gründerstipendium gefördert.

Nach seiner Promotion im Bereich der Künstlichen Intelligenz arbeitete Ingmar Schuster zunächst an der Université Paris-Dauphine. Danach war er für Projekte des Sonderforschungsbereichs „Skalenkaskaden in komplexen Systemen“ und des Exzellenzclusters Math+ an der Freien Universität tätig, anschließend drei Jahre lang in der Forschungsabteilung des Online-Händlers Zalando. „Aber eigentlich wollte ich mich mit zwei Freunden selbstständig machen“, sagt Ingmar Schuster.

Einer der beiden ist inzwischen ausgestiegen, um sich auf seine Dissertation zu konzentrieren. Der andere, der Ingenieur Philipp Markert, ist bei Exazyme für die Geschäftsentwicklung und den Vertrieb verantwortlich. Außerdem gehört die promovierte Biochemikerin Jelena Ivanovska zum Team, die zuvor unter anderem am Max-Delbrück Zentrum in Berlin und an der Universität Erlangen-Nürnberg geforscht hat.

Künstliche Intelligenz + Enzyme = Energie sparen

Wichtig sei ihnen, mit ihrer Geschäftsidee einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit zu leisten, vor allem in der Lebensmittelproduktion. „Bei der Herstellung von Lebensmitteln wird mitunter sehr viel Energie verbraucht“, erläutert Ingmar Schuster. „Einen Teil davon könnte man einsparen, wenn man die Energiezufuhr für die Produktionsanlagen besser an die Bedürfnisse der Enzyme und gewünschte chemische Reaktion anpasst.“ Eine Studie habe beispielsweise gezeigt, dass man auf diese Weise bei der Weinproduktion die Hälfte der verwendeten Energie einsparen könne.

Ähnliches lässt sich beim Bierbrauen beobachten: Dabei werden Wasser, Gerste und Hopfen vermischt, erhitzt und abgekühlt. Bislang haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anhand zahlreicher Experimente erforscht, wie die an der Gärung beteiligten Enzyme arbeiten und wann sie beispielsweise eine höhere oder eine niedrigere Temperatur brauchen. „Mit Methoden der Künstlichen Intelligenz können wir diesen Arbeitsschritt beschleunigen. Außerdem sind die Ergebnisse genauer“, sagt Ingmar Schuster.

Neue Biomoleküle mithilfe von Software kreieren

Die Software von Exazyme kann aber auch dabei helfen, ganz neue Biomoleküle zu kreieren. Denn viele der Enzyme, die in der Natur vorkommen, haben zwar potenziell nützliche Eigenschaften, sind jedoch insgesamt nicht für den Einsatz in der industriellen Produktion geeignet. Diese Moleküle, ihre Eigenschaften und Funktionen werden dennoch in riesigen wissenschaftlichen Datenbanken erfasst und detailliert beschrieben, etwa im Enzyminformationssystem BRENDA, das an der Technischen Universität Braunschweig gepflegt wird. Dort sind Informationen zu 77.000 Enzymen aus mehr als 30.000 verschiedenen Organismen archiviert.

Die Software von Exazyme wertet diese Datensätze aus und berechnet mögliche Eigenschaften eines optimierten Designer-Enzyms. „Das Besondere dabei ist, dass unsere KI mit sogenannten Kernel-Methoden arbeitet“, erläutert Ingmar Schuster. Mit dieser Klasse von Algorithmen hat er sich intensiv in seiner Forschung an der Freien Universität beschäftigt und dabei festgestellt: „Diese Vorgehensweise ermöglicht es, Enzyme mit beliebig langen Gensequenzen zu analysieren und die Daten zu vergleichen.“ Vergleiche man etwa die Sequenzdaten von Enzymen, die beim Bierbrauen aktiv sind, könne man ableiten, wie neue Enzymvarianten für andere Lebensmittel aufgebaut sein müssen. Diese „Baupläne“ können Biochemikerinnen und Biochemiker anschließend verwenden, um neue, maßgeschneiderte Enzyme für industrielle Anwendungen herzustellen.

In Zukunft wird mit Computern so groß wie Bierkästen gearbeitet

Maßgeschneiderte Enzyme, Sequenzanalysen, Künstliche Intelligenz: Für Laien mag das nach Science Fiction klingen. Verbringt das Exazyme-Team den Arbeitstag abwechselnd zwischen Petrischalen im Labor und vor Computern, die so groß wie Kleiderschränke sind? „Nicht ganz“, sagt Ingmar Schuster. Derzeit habe das junge Biotechnologie-Unternehmen seinen Sitz in der Startup Villa der Freien Universität. „Es ist ein ganz normales Büro mit normal großen Laptops.“

Die Laptops sollen im kommenden Jahr durch leistungsfähigere Computer ersetzt werden, die sich besser für die Kernel-Methoden eignen. „Sie sind aber nicht so groß wie Kleiderschränke, sondern nur wie Bierkästen“, sagt der KI-Spezialist. Die Arbeit im Labor beginne erst dann, wenn die Bierkästen genügend Enzymdaten gesammelt hätten, um neue biochemische Stars zu kreieren.

Weitere Informationen

Die Freie Universität Berlin fördert Unternehmensausgründungen mit der Service-Einrichtung Profund Innovation in der Abteilung Forschung. Profund Innovation unterstützt Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Alumni dabei, Anwendungsideen für ihre Forschung zu entwickeln, Start-ups oder Spin-Offs zu gründen sowie Forschungsergebnisse gemeinsam mit etablierten Unternehmen zu verwerten. Das EXIST-Gründerstipendium ist ein Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums und wird durch den Europäischen Sozialfonds kofinanziert.