Pferde verstehen
Das neue Pferdezentrum des Fachbereichs Veterinärmedizin der Freien Universität in Bad Saarow ist eröffnet worden
01.07.2014
So viel Show gab es selten bei einem akademischen Festakt. Die Gäste, die zur Eröffnung des neuen Pferdezentrums der Freien Universität ins brandenburgische Bad Saarow gekommen waren, erlebten rassige Tiere, hohe Reitkunst und ein eindrucksvolles Beispiel dafür, was man mit dem richtigen Pferdeverständnis alles erreichen kann. Die 13 Hektar große Anlage ist Teil der Klinik für Pferde am Fachbereich Veterinärmedizin und vereint Lehre, Forschung und Dienstleistung unter einem Dach und einer gemeinsamen Leitlinie: dem artgerechten Umgang mit Pferden.
Niemand lässt sich gern verladen. Erst recht kein Pferd. Vulkato, ein Hengst aus bestem Stall, ist – wie jedes junge und unerfahrene Pferd – dann auch wenig begeistert von dem Hänger, in den ihn Franziska Görwitz bugsieren möchte. Die Expertin für Pferdeverhalten weiß das – und versucht es auf die sanfte Tour: „Wenn ich den Widerstand eines Pferdes brechen will, indem ich ihm Schmerzen zufüge, erreiche ich genau das Gegenteil.“ Da ist die Überzeugungs-Methode deutlich erfolgversprechender. Nach dem Motto „Wenn Du mir folgst, hast Du‘s bequem“ schafft sie es nach wenigen Minuten, dass Vulkato ihr ganz ohne Zwang Schritt für Schritt über die Rampe an der Heckklappe in den Wagen folgt – und durch eine Seitentür wieder ins Freie.
„Pferde sind Fluchttiere, die Druckentlastung als Belohnung empfinden", erklärt Franziska Görwitz. „Wenn sie merken, dass der Anhänger keine Sackgasse ist und sie nach dem erwünschten Hineingehen sofort wieder hinausgehen können, lässt der Druck nach, und sie verlieren die Angst.“ Runde um Runde lässt sich der Braune bei der Vorführung während der Eröffnungsfeier bereitwillig durch den Anhänger führen, bis er schließlich ohne Scheu im Inneren verharrt und Heckklappe und Seitentür geschlossen werden können.
Den gewaltfreien Umgang mit Pferden hat Franziska Görwitz unter anderem bei dem amerikanischen Pferdekenner Monty Roberts gelernt und hierfür das Zertifikat Monty Roberts Certified Instructor erhalten. Mit Pferdeflüstern habe das allerdings wenig zu tun, sagt sie, dafür mehr mit Wissen über das natürliche Verhalten der Tiere.
Studiengang Pferdewissenschaft startet im Oktober
Wie man artgerecht mit Pferden umgeht, wird die 36-jährige auch den Studierenden beibringen, die den neuen Studiengang Pferdewissenschaft von Oktober an belegen. „Ein Ziel unserer Ausbildung ist es, heute noch häufig gemachte Fehler im Umgang mit Pferden vermeiden zu helfen“, sagt der Leiter des Zentrums, Professor Johannes Handler.
Die etwa 30 Bachelorstudierenden lernen aber nicht nur die spezifischen Bedürfnisse der Tiere zu berücksichtigen. Sie lernen auch viel über Pferdezucht und werden beispielsweise befähigt, einen pferdewirtschaftlichen Betrieb zu leiten. Gemeinsam mit angehenden Veterinärmedizinern werden sie hier praxisnah an den bis zu 30 Lehrpferden und Pferdepatienten geschult, die in den Stallungen Platz finden, beispielsweise bei der Überwachung von Geburten oder der Behandlung von Erkrankungen der Fortpflanzungsorgane. Wer ein eigenes Pferd hat, kann sogar Studium und Hobby verbinden: Studierende können ihre Tiere in Bad Saarow unterstellen.
„Europaweit einmalig und zukunftsweisend"
Auf dem Areal ist außerdem eine von der Europäischen Union zertifizierte Besamungs- und Embryotransferstation angesiedelt. Das Pferdezentrum hält ein breites Angebot an Dienstleistungen für Züchter vor, etwa die Intensivbetreuung erkrankter Fohlen oder Untersuchungen von Pferden auf Zuchttauglichkeit. Geplant sind darüber hinaus Weiterbildungs-Veranstaltungen und Lehrgänge für Pferdebesitzer in artgerechtem Umgang mit ihren Tieren.
„Bad Saarow bietet der Veterinärmedizin an der Freien Universität völlig neue Perspektiven in Lehre und Forschung“, sagt Dekan Professor Jürgen Zentek. Das Zentrum sei in seiner Art europaweit einmalig und zukunftsweisend.
Ein Herz für Pferde – und für Kultur und Wissenschaft
Zur Eröffnung gab es aber erst mal einen Blick zurück auf mehr als 200 Jahre Veterinärmedizin in Berlin, die Ende des 18. Jahrhunderts mit der Gründung der Königlichen Tierarzneischule und des Landgestüts Neustadt-Dosse begann, das damals vorrangig Maultiere züchtete. Als genügsame, schnelle und wenig krankheitsanfällige Tiere waren sie beim Militär zum Ziehen von Kanonen und Tragen von Lasten sehr beliebt. Bei der Feier in der großen Reithalle des Pferdezentrums hatten sie ebenso ihren Auftritt wie zwei Vierspänner-Wagen, drei Deckhengste, zwei im Landgestüt gezüchtete Dressurpferde und das nur 86 Zentimeter große Mini-Shetlandpony „Rosso“. Vorgeführt am langen Zügel zeigte Rosso, das auch kleine Tiere in der Disziplin Dressur Großes leisten können.
Der Initiator des Pferdezentrums und ehemalige Dekan des Fachbereichs Veterinärmedizin, Professor Leo Brunnberg, dankte besonders Ulrike Haselsteiner, Geschäftsführerin der Scharmützelsee Golfhotel- und Sportanlagen GmbH, der das Gelände gehört. Sie und ihr Ehemann Hans-Peter Haselsteiner, früherer Vorstandsvorsitzender des Baukonzerns STRABAG, hätten mit ihrer Unterstützung des Projekts nicht nur ein Herz für Pferde, sondern auch „für Kultur und Wissenschaft“ bewiesen.