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„Die EU hat gar nichts falsch gemacht“

Wie geht es weiter nach dem Brexit? / Vierter Berliner Europa-Dialog am 28. Juni, 18 Uhr

27.06.2016

Lücke im Bild: Großbritannien wird die Europäische Union verlassen

Lücke im Bild: Großbritannien wird die Europäische Union verlassen

Prof. Dr. Tanja Börzel, Inhaberin des Jean Monnet-Lehrstuhls an der Arbeitsstelle Europäische Integration der Freien Universität

Prof. Dr. Tanja Börzel, Inhaberin des Jean Monnet-Lehrstuhls an der Arbeitsstelle Europäische Integration der Freien Universität
Bildquelle: JanPaulsFotografie

In Europa herrscht Katerstimmung: Großbritannien verlässt wohl als erster Mitgliedsstaat die Europäische Union. Wie konnte es so weit kommen? Und wie geht es nun weiter? Beim 4. Berliner Europa-Dialog, der vom UN-Dokumentationszentrum der Universitätsbibliothek organisiert wird, diskutieren darüber Elisabeth Kotthaus von der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, der Guardian-Journalist Philip Oltermann und Nicolai von Ondarza, Europaforscher von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Campus.leben sprach mit Tanja Börzel, Politikwissenschaftsprofessorin an der Arbeitsstelle Europäische Integration der Freien Universität, die die Diskussion moderieren wird.

Frau Professorin Börzel, 52 Prozent der Briten wollen die Europäische Union verlassen. Was hat die EU falsch gemacht?

Die EU hat gar nichts falsch gemacht. Bei diesem Referendum ging es gar nicht so sehr um die EU, sondern um Zuwanderung und soziale Unsicherheit. Die Probleme, die Großbritannien unbestritten hat, sind auf die EU projiziert worden. Das ist typisch für Populisten: Wenn man auf komplexe Probleme einfache Antworten sucht, ist man sehr schnell dabei, die EU verantwortlich zu machen.

Wie geht es für Großbritannien weiter?

Das wird stark davon abhängen, wie sich die Lage wirtschaftlich und politisch weiterentwickelt. Das Pfund ist eingebrochen, Aktienkurse britischer Unternehmen sind gefallen. Dass die Entscheidung für den Brexit wirtschaftliche Konsequenzen haben würde, war bekannt. Es bleibt die Frage, wie stark sie ins Gewicht fallen werden.

Hinzu kommt die politische Krise, in die der Brexit Großbritannien gestürzt hat. Die beiden großen Parteien sind, wie das ganze Land, tief gespalten. Mir ist nicht klar, wie das britische Unterhaus das Referendum unter diesen Umständen bestätigen will – das muss es aber, damit die britische Regierung den Austrittsantrag bei der EU stellen kann. Ich halte vorgezogene Neuwahlen nicht für ausgeschlossen.

Die weiteren politischen Auswirkungen sind noch unklar. Es kann gut sein, dass es ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum Schottlands geben wird. Auch die Iren fühlen sich nicht mehr gut vertreten, denn wenn Großbritannien aus der EU austritt, wird wieder eine Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland errichtet. All diese Dinge sind entscheidend dafür, wie es mit Großbritannien weitergeht. Die EU hat darauf keinen Einfluss mehr.

Ist die Entscheidung für den Brexit endgültig?

Nein. Die Briten haben ja immer noch die Hoffnung, Teil des europäischen Binnenmarktes zu bleiben. Das bedeutet allerdings auch, dass sie die Personenfreizügigkeit akzeptieren müssen, und dazu haben sie im Referendum nein gesagt. Wenn die britische Regierung jetzt versucht, ein neues Abkommen mit der EU auszuhandeln, und die Frage aufkommt, ob das Land dem Binnenmarkt angehören soll, dann könnte ich mir gut vorstellen, dass die britische Regierung ein weiteres Referendum abhalten wird: Zu der Frage, ob man ein Assoziationsabkommen mit der EU haben möchte. Und dabei kann alles Mögliche herauskommen.

Was erwarten Sie von der Diskussion beim Berliner Europa-Dialog am Dienstag?

Viele sind von dem Ergebnis überrascht worden. Ich glaube, wir haben alle mit einem knappen Votum gerechnet, aber immerhin mit einem Verbleib der Briten in der EU. Den Unterstützern des Remain-Lagers ist es offenbar nicht gelungen, die Menschen zu überzeugen, dass es gut wäre, in der EU zu bleiben. Ich bezweifle allerdings, dass bessere Argumente für den Verbleib in der EU einen Unterschied gemacht hätten. Denn die Abstimmung war letztendlich keine über Europa, sondern eine gegen Zuwanderung und Globalisierung. Die EU wird da als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung gesehen, was ich sehr bedauerlich finde. Wie wir das ändern können, darüber würde ich gerne mit dem Podium diskutieren.

Die Fragen stellte Jonas Huggins

Weitere Informationen

Berliner Europa-Dialog: Should I stay or should I go? Das Vereinigte Königreich nach dem Referendum

Zeit und Ort:

  • Dienstag, 28. Juni, 18 Uhr
  • Hörsaal A, Henry-Ford-Bau, Garystraße 35, 14195 Berlin (U3 Thielplatz)
  • Um eine Anmeldung unter info@eu-infozentrum-berlin.de wird gebeten.

Die Veranstaltung ist Teil der International Week der Freien Universität.

Der Berliner Europa-Dialog wird kooperativ organisiert vom Europäischen Informationszentrum Berlin (Träger: Deutsche Gesellschaft e.V.), dem Dokumentationszentrum Vereinte Nationen – Europäische Union der Freien Universität Berlin sowie der Europa-Union Berlin e.V.