Springe direkt zu Inhalt

Ach, wie gut, dass jemand weiß…

… warum eine Pflanze heißt, wie sie heißt: Lotte Burkhardt hat das umfassendste Verzeichnis zur Ehrung von Personen in Namen von Pflanzengattungen erstellt

02.01.2017

Lotte Burkhardt hat den Ursprung von mehr als 14.000 Gattungswidmungen recherchiert.

Lotte Burkhardt hat den Ursprung von mehr als 14.000 Gattungswidmungen recherchiert.
Bildquelle: Marina Kosmalla

Zu Burkhardts Lieblingsgeschichten gehört die der Leuchtenbergia, benannt nach Eugène Vicomte de Beauharnais Herzog von Leuchtenberg, dem Stiefsohn von Napoleon Bonaparte.

Zu Burkhardts Lieblingsgeschichten gehört die der Leuchtenbergia, benannt nach Eugène Vicomte de Beauharnais Herzog von Leuchtenberg, dem Stiefsohn von Napoleon Bonaparte.
Bildquelle: Marina Kosmalla

Es ist, als ob Lotte Burkhardt alte Bekannte treffen würde, wenn sie durch die Gewächshäuser des Botanischen Gartens der Freien Universität Berlin spaziert: „Hier ist Herr Dudley, dort Monsieur Perrier de La Bâthie – und da drüben haben wir die Schwestern Fitton.“ Zu jeder Person kann die Hobby-Botanikerin eine kurze Geschichte erzählen: etwa dass Prinzessin Sophie Charlotte von Mecklenburg-Strelitz – die spätere Frau des britischen Königs George III. – eine hervorragende Zeichnerin war. Oder dass Joseph Banks, ein englischer Botaniker und Gelehrter, als Pflanzensammler mit Kapitän James Cook auf Weltreise war. Dabei ist Lotte Burkhardt weder Historikerin noch Gesellschaftsreporterin.

Die Rentnerin, die beruflich im Bank- und Versicherungsbereich tätig war, hat den Ursprung von mehr als 14.000 Gattungswidmungen lebender und ausgestorbener Gefäßpflanzen, Moose, Pilze, Flechten und Algen recherchiert. Das umfangreiche Verzeichnis mit mehr als 1.100 Seiten ist seit Kurzem kostenfrei auf der Webseite des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin verfügbar.

Im Kopf hat Lotte Burkhardt rund 100 Geschichten. Etwa die von Leonhart Fuchs aus Tübingen, nach dem die Fuchsie benannt ist: Der deutsche Arzt und Botaniker praktizierte und lehrte als Professor der Medizin hauptsächlich in Tübingen, war dort mehrfach Rektor der Universität, gründete den Botanischen Garten und versuchte sich als Pflanzensystematiker. Oder die von Napoleon Bonaparte, der mit der Napoleonaea – einem Topffruchtbaumgewächs (Lecythidaceae), das zur Ordnung der Ericales, also Heidekrautartigen gehört – geehrt wurde. Als Pflanzennamen verewigt sind weitere Familienmitglieder: Napoleons Ehefrau Joséphine de Beauharnais, geborene Marie Josèphe Rose Tascher de la Pagerie, (Josephinia, Lapageria) – die sich den Rosen gewidmet hatte und daher auch „Rosenkaiserin“ genannt wird; ihr Sohn aus erster Ehe: Eugène Vicomte de Beauharnais Herzog von Leuchtenberg (Leuchtenbergia) sowie Napoleons Leibarzt auf St. Helena François Carlo Antommarchi (Antomarchia).

„Manchmal ist es so, als sticht man in ein Wespennest, wenn man eine Pflanze recherchiert“, erzählt Lotte Burkhardt. „Bei den südamerikanischen Widerstandskämpfern führen die Nachforschungen beispielsweise automatisch von einer Person zur anderen. Sie hatten zwar – bis auf wenige Ausnahmen – nichts mit Botanik am Hut, aber wurden für ihren Einsatz für die Freiheit geehrt.“

Eponymische Pflanzennamen leiten sich von einem Eigennamen ab. Mit der Einführung von Linnés binärer Pflanzenbenennung im Jahre 1753 werden Eponyme „offiziell“. Sie wurden aber auch schon vorher vergeben, und danach noch immer mit Argwohn bedacht. Zunächst wurden verdiente Wissenschaftler auf diese Weise geehrt, im Verlauf der Jahrhunderte kamen auch an der Wissenschaft interessierte Mäzene und Unterstützer, Herrscher, Eroberer, Politiker, Reisebegleiter, Schiffskapitäne, auf Expeditionen verunglückte Personen, Widerstandskämpfer, bedeutende Künstler und Schriftsteller, Freunde und Familie des Namensgebers hinzu. Auch fiktive Personen wie Robinson Crusoe (Robinsonia) und sein Begleiter Freitag (Vendredia, nach dem französischen Wort für den Wochentag) wurden in Pflanzengattungen verewigt.

Für das Verzeichnis der Pflanzennamen hat Lotte Burkhardt die Herkunft der einzelnen Gattungsnamen recherchiert und sie mit dem historischen Hintergrund der Geehrten verbunden. „Ohne Botanikstudium habe ich mich in die Materie vertieft und mir vieles angeeignet und dann mit der Geschichte verbunden", sagt Burkhardt „Anders als in der Schule macht Geschichte hier Spaß. Und die Botanik habe ich schon immer geliebt.“

„Man entwickelt ein Gespür dafür“

Ausgelöst wurde ihre Leidenschaft durch verschiedene Bücher, die sich mit Pflanzennamen beschäftigen, auf die sie vor rund zehn Jahren gestoßen war. „Ich fand das sehr interessant und habe mich gefragt, warum ich vorher noch nie darüber nachgedacht habe.“ Daraufhin hat sie zunächst die Namen der Pflanzen in ihrer Wohnung und der bekannten Gartenblumen nachgeschlagen. Schnell war sie bei 100 Namensgeberinnen und –gebern angelangt. Und jeder Besuch im Botanischen Garten förderte weitere zu Tage. Irgendwann, sagt Lotte Burkhardt, entwickle man ein Gespür dafür, ob hinter einem Gattungsnamen eine Person steckt oder nicht. „Von wegen alles nur Lateinisch oder Griechisch".

Bei der Gattung Timmia beispielsweise war Lotte Burkhardt eines Tages aufgefallen, dass etwas nicht stimmen kann. Denn nach botanischer Standardliteratur wurde damit bereits 1791 beziehungsweise 1801 angeblich ein Carl Theodor Timm geehrt, der aber erst 1824 geboren wurde. So begann Burkhardts Suche nach dieser und allen anderen Widmungen. Auch bestehen oftmals orthografische Varianten für ein und dieselbe Pflanzengattung. Die Mitarbeiter im Botanischen Garten haben ihr bestätigt, dass solche Fehler beim Kopieren der Gattungsbezeichnungen im Laufe der Zeit durchaus passieren können – durch unleserliche Handschrift oder nicht eindeutige Zuordnungen bei der originalen Widmung. Das hat Burkhardts Neugier angestachelt: In Onlineverzeichnissen, den Berliner Bibliotheken und im Botanischen Garten hat sie Unmengen an Widmungen nachgelesen – und so weitere Fehler aufspüren können.

„Es sollte nicht in der Schublade verschwinden“

Ihren Mann hatte Lotte Burkhardt schnell mit ihrer Leidenschaft angesteckt. Er half ihr bei der Schreibarbeit. Die Idee, tatsächlich ein Verzeichnis zusammenzustellen, sei jedoch recht spät entstanden: „Ich habe erstmal einfach nur gesammelt.“ Mit den Jahren hatte Burkhardt aber so viel Material zusammengetragen, dass es schade gewesen wäre, alles einfach nur in die Schublade zu stecken und verschwinden zu lassen.

Im „Verzeichnis eponymischer Pflanzennamen“, das seit Oktober 2016 auf der Webseite des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin einzusehen ist, hat die Autorin zu den Gattungsnamen jeweils kleine Biografien gesetzt. Außerdem hat sie Verweise auf Beziehungen zu anderen in der Liste aufgeführten Personen aufgenommen, Angaben zu weiteren Ehrungen in der Botanik, zur Widmungsliteratur sowie eventuell erforderliche oder erläuternde Hinweise zur Pflanze, dem oder der Geehrten, dem botanischen Autor – manchmal auch zu anderen interessanten oder lustigen Aspekten aufgeführt.

Auch mit mehr als 14.000 Einträgen ist Lotte Burkhardts Arbeit nicht abgeschlossen. Sie recherchiert weiter: „Das macht irgendwie süchtig.“