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„Die Freiheit der Wissenschaft ist ein elementarer Wert der Demokratie“

Die Freie Universität Berlin unterstützt den „March for Science“ am 22. April / Ein campus.leben-Interview mit Präsident Professor Peter-André Alt

20.04.2017

Der „March for Science“ startet am Sonnabend, 22. April, um 13 Uhr vor der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6.

Der „March for Science“ startet am Sonnabend, 22. April, um 13 Uhr vor der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6.
Bildquelle: Sheraz Khan - March for Science Berlin / CC-BY-4.0, Collage: Freie Universität Berlin

Weltweit werden am kommenden Sonnabend Menschen für die Wissenschaft auf die Straße gehen. Die Demonstration richtet sich gegen eine zunehmende wissenschaftsablehnende Haltung und gegen um sich greifende populistische Verfälschungen von Fakten. In Berlin startet der Demonstrationszug um 13 Uhr vor der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, von dort führt er zum Brandenburger Tor. Auf der Abschlusskundgebung wird neben dem Regierenden Bürgermeister und Wissenschaftssenator Michael Müller auch der Physiker und Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar sprechen. Unterstützt wird der „March for Science“ von der Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Universitäten und Hochschulen (LKRP). Professor Peter-André Alt, Vorsitzender der LKRP und Präsident der Freien Universität, wird sich dem Demonstrationszug anschließen.

Herr Professor Alt, wer wird am Sonnabend am Protestmarsch noch teilnehmen?

Zusammen mit den Leitungen der anderen Berliner Hochschulen wird auch das Präsidium der Freien Universität daran teilnehmen. Ich lade zudem alle Kolleginnen und Kollegen ein, mitzukommen, und hoffe, dass auch viele Angehörige der Freien Universität dabei sein werden: Studierende, Lehrende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die Leitbegriffe der Freien Universität lauten Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit. Leitet sich hieraus für die Hochschule eine besondere Verantwortung ab, sich zu engagieren?

Die Freie Universität wird bei politischen Diskussionen über Phänomene, die auch die Wissenschaft betreffen – etwa Populismus, Einschränkung der geistigen Freiheit, Toleranz, religiöse Freiheit, aber auch Freiheit des Denkens – vielfach als eine Hochschule wahrgenommen, die eine besondere Rolle dabei hat, sich für die Sicherung dieser Werte einzusetzen. Wir sehen aktuell, dass unliebsamer Forschung die finanzielle Basis entzogen wird, Universitäten geschlossen werden oder der freie akademische Austausch verhindert wird. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden – politisch motiviert – in großer Zahl entlassen, ins Exil gedrängt oder verhaftet.

Professor Peter-André Alt ist Vorsitzender der LKRP und Präsident der Freien Universität Berlin.

Professor Peter-André Alt ist Vorsitzender der LKRP und Präsident der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft wächst, vielen scheint sie zu weit von ihrem eigenen Alltag entfernt. Ist diese Kritik berechtigt?

Die Wissenschaft hat in der Geschichte der Forschung niemals so viel getan wie heute, um ihre Ergebnisse öffentlich zu kommunizieren. Die Philosophenschulen der Antike waren praktisch geschlossene Gruppen, die mittelalterlichen Gelehrten haben in Klöstern geforscht, auch noch die Naturwissenschaften des 18. Jahrhunderts arbeiteten weitgehend im Verborgenen und waren im Grunde eine Geheimwissenschaft. Das hat sich komplett geändert. Durch intensive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit an den Universitäten stehen Wissenschaftler und Journalisten heute in regelmäßigem und engem Kontakt miteinander.

Auch wenden sich die Hochschulen immer stärker direkt an die Öffentlichkeit und laden sie ein, ihre Arbeit kennenzulernen und mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ins Gespräch zu kommen. Beispielsweise bei der gut besuchten Langen Nacht der Wissenschaften oder anderen Veranstaltungsreihen, die sich an alle interessierten Menschen richten.

Die Wissenschaft tut sehr viel, um ihre Ergebnisse mitzuteilen. Ich glaube, es gibt keinen Mangel an Kommunikation, sondern eher ein Unbehagen gegenüber bestimmten Wahrheiten, die manchem nicht passen, und eine Flucht in Gegenwelten von Fiktionen, die eine wichtige Rolle spielen. Wir müssten das Phänomen der Wissenschaftsfeindlichkeit der Populisten, der sogenannten Fake-News oder der „alternativen Tatsachen“, noch sehr genau untersuchen. Was zutage kommen würde, wäre wahrscheinlich ein sehr komplexes sozial-psychologisches Gemisch aus Angst, Widerstand gegen Fakten, die einem nicht behagen, aus Desinformation und dem Unvermögen, zwischen Tatsachen und Fiktion zu unterscheiden.

Kann ein Protestmarsch daran etwas ändern?

Der „March for Science“ ist natürlich zunächst eine symbolische Aktion – die man aber nicht unterschätzen sollte. Sie bringt immerhin Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Institutionen zusammen und verbindet Menschen weltweit. Es ist wichtig, dass wir uns positionieren und die Freiheit unserer Demokratie, die wesentlich mit der Freiheit der Wissenschaft verbunden ist, an dieser Stelle deutlich und couragiert vertreten. Denn man sieht überall: Wo die Freiheit der Gesellschaft infrage steht, steht immer auch die Wissenschaft infrage – und umgekehrt: Dort, wo man anfängt, den Wissenschaften Grenzen zu setzen, ist auch die Demokratie in Gefahr.

Was kann jeder Wissenschaftler, jede Wissenschaftlerin unabhängig von dem Marsch tun, um der wachsenden Wissenschaftsfeindlichkeit entgegenzutreten?

Zur Rolle der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehört es auch, die Öffentlichkeit über ihre Arbeit zu informieren, Rechenschaft darüber abzulegen, wofür öffentliche Gelder verwendet werden. Es ist ein enormes Privileg, dass die öffentliche Förderung in Deutschland auf einem so hohen Niveau stattfindet. Im Gegenzug müssen Forscherinnen und Forscher der interessierten Öffentlichkeit immer wieder neu zeigen und in verständlicher Sprache erklären, was sie tun und welche Relevanz ihre Forschung auch für jeden einzelnen hat. Diese Vermittlungskompetenz ist ein wichtiger Punkt, den es weiterzuentwickeln gilt.

Die LKRP ruft neben den Hochschulmitgliedern auch alle Berlinerinnen und Berlin dazu auf, sich an der Demonstration zu beteiligen. Warum sollten auch sie sich für die akademische Freiheit von Wissenschaft und Forschung einsetzen?

Weil die Gleichung, die ich oben beschrieben habe, auch für sie gilt. Eine Gesellschaft, die verantwortungsbewusste Wissenschaft beschränkt, beschränkt irgendwann auch ihre Bürger. Beides gehört zusammen: Es gibt keine freie Gesellschaft mit einer unfreien Wissenschaft, und es gibt umgekehrt keine freie Wissenschaft in einem undemokratischen System. Insofern ist mit der akademischen Freiheit der Wissenschaft ein elementarer Wert der Demokratie verbunden.

Die Fragen stellte Marina Kosmalla

Weitere Informationen

Zeit und Ort

  • Sonnabend, 22. April 2017, Start um 13 Uhr
  • vor der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6.