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Übersetzer zwischen den Welten

Der mosambikanische Schriftsteller Mia Couto las und diskutierte seinen jüngsten Roman „Imani“ mit Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern des Instituts für Romanische Philologie

03.05.2018

„Identität ist vielfältig, plural und letztlich ein Trugbild“, sagte der mosambikanische Schriftsteller Mia Couto bei seinem Besuch am Institut für Romanische Philologie; rechts der Dolmetscher Michael Kegler.

„Identität ist vielfältig, plural und letztlich ein Trugbild“, sagte der mosambikanische Schriftsteller Mia Couto bei seinem Besuch am Institut für Romanische Philologie; rechts der Dolmetscher Michael Kegler.
Bildquelle: Sören Maahs

„Die meisten Menschen sind im Grundverhältnis zu sich selbst Erzähler“, heißt es bei Robert Musil über die narrative Verfasstheit der Identität. Eine ganz ähnliche Beobachtung macht auch der mosambikanische Schriftsteller Mia Couto, wenn er im Anschluss seiner zweisprachigen Lesung an der Freien Universität sagt: „Im Grunde können wir nur erklären, wer wir sind, wenn wir unsere Geschichten erzählen.“

Es ist voll im Seminarraum des Instituts für Romanische Philologie an der Freien Universität, Stühle werden aus angrenzenden Fluren herbeigeschafft, Zuspätgekommene müssen auf dem Boden Platz nehmen. Mia Couto liest mit ruhiger Stimme, spricht nicht lauter als nötig und strahlt, sacht gestikulierend, Bescheidenheit aus.

Mia Couto gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern des portugiesischsprachigen Afrikas. Sein mehr als 20 Bände umfassendes und in ebenso viele Sprachen übersetztes Werk, bestehend aus Romanen, Erzählungen, Gedichten, Essays und Kinderbüchern, wurde mehrfach ausgezeichnet. 2013 gewann er den Camões-Preis, den wichtigsten Literaturpreis der lusophonen Welt.

„Ich war vor Jahren nach Amerika eingeladen worden, an einen Lehrstuhl für afrikanische Literatur. In diesem Hörsaal kannte man vielleicht meine Literatur, aber niemand kannte mich von Angesicht. Ich stieg also aufs Podium und die Leute wunderten sich: Was macht denn der weiße Kerl dort? Wir warten auf eine schwarze Frau.“ Mia Couto gefallen solche Missverständnisse, weil sie identitäre Zuschreibungen als das entblößen, was sie sind: Trugbilder. „Ich bin Weißer und Afrikaner, der Sohn portugiesischer Einwanderer und mosambikanischer Staatsbürger. Ein Wissenschaftler, der in einem sehr religiösen Land lebt. Ein Schriftsteller in einer mündlichen Gesellschaft. Das sind scheinbar widersprüchliche Welten, die ich gerne in mir vereinige, weil sie ein Teil von mir sind.“

Was für seine Person gilt – das Vereinen verschiedener Welten –, trifft umso mehr auf seine Literatur zu. Bei seinem Besuch der Freien Universität las Mia Couto im Wechsel mit dem Dolmetscher Michael Kegler auf Portugiesisch und auf Deutsch aus seinem Buch Imani, einem vielstimmigen Roman über die schmerzliche Kolonialgeschichte Mosambiks und ihre innerafrikanischen Konflikte. Eine der Stimmen gehört dem polyglotten Mädchen Imani. In ihrer Muttersprache bedeutet das so viel wie „Wer ist da?“. („Das ist wirklich das, was man fragt, wenn jemand an die Tür klopft: ‚Imani?‘“, erklärt Couto während der sich anschließenden Frage- und Antwortrunde.)

Die Titelheldin lebt Ende des 19. Jahrhunderts in doppelter Bedrängnis: Die Portugiesen haben weite Teile des Landes zu ihrer Kolonie erklärt, und der Bantukönig Ngungunyane leistet zwar den Europäern Widerstand, bedroht aber auch Dörfer anderer Stämme. In einer Missionsschule erzogen, spricht und schreibt Imani die Sprache der Kolonialmacht perfekt. Sie wird deshalb zur Übersetzerin zwischen ihrer Dorfgemeinschaft und den portugiesischen Kolonialherren. Wie ihr Erschaffer Mia Couto vermittelt sie zwischen „widersprüchlichen Welten“.

Den anderen Erzählstrang des Romans bilden die Briefe des portugiesischen Unteroffiziers Germano an seinen Vorgesetzten. Germano ist der einzige Vertreter der Kolonialmacht auf diesem Außenposten an der Grenze zum Reich des Bantukönigs. Der Offizier schreibt aus der Sicht eines portugiesischen Außenseiters – er wurde strafversetzt, nachdem er sich in der Heimat an republikanischen Umtrieben beteiligt hatte.

Im Hauptberuf Biologe, arbeitet Couto im Umweltschutz sowie als Professor für Biologie. Auf seinen Forschungsreisen findet er in den Begegnungen und Gesprächen mit den Menschen den Stoff für seine Geschichten. „Schriftsteller zu sein heißt für mich, dem anderen zuzuhören, sich dem anderen zu öffnen.“ Die vielen kleinen Geschichten, die er auf diese Weise gesammelt hat, möchte er der großen Kolonialerzählung entgegenstellen. Denn für Mia Couto ist die Pluralität von Geschichten und nicht die Geschichte entscheidend: „Ich messe der Geschichtsschreibung weniger Bedeutung bei als den Geschichten. In jeder kleinen Begebenheit steckt die ganze Welt.“

Der Roman macht es den Leserinnen und Lesern nicht einfach, bemerkte die Romanistikprofessorin Susanne Zepp in ihrer kurzen Werkeinführung: „Mia Couto bietet keine schlichte binäre Erklärung für koloniale Geschichte an, sondern bildet die historische Komplexität mit ihren Brüchen und Widersprüchen in Wortkunst ab.“ Als Schriftsteller, umreißt Couto sein Verständnis von Realismus in der Literatur, „muss man mit der Wirklichkeit auf Du und Du sein, sie betrachten, als sei sie ein Familienmitglied.“ Und mit dem Schalk im Nacken fügt er hinzu: „Familienmitglieder lügen. Glaubt mir nicht.“

Susanne Zepp betont, es gehe in Mia Coutos Werk nie um schlichte Zuordnung von „europäisch“ auf der einen und „afrikanisch“ auf der anderen Seite. „An die Stelle einer herkunftsfixierten Sicht auf das vermeintlich Eigene und Fremde tritt eine Poetik der Polyphonie, die identitäre Zuschreibungen unterläuft.“ Der fantasievolle Akt, jemand anders als wir selbst zu werden, ist für Couto gerade beim Schreiben und Lesen von Literatur unerlässlich. „Ich bin nicht dafür geboren, eine Person zu sein“, erklärt Imani geradezu programmatisch am Anfang des Romans. „Ich bin eine Rasse, ein Volk, ein Geschlecht, ich bin alles, was mich daran hindert, ich selbst zu sein.“